Cover der uncut blu-ray "Mum and Dad"

In den Keller foltern gehen

Die junge Polin Lena (Olga Fedori) ist auf der Suche nach einem besseren Leben in England gelandet, wo sie am Flughafen Heathrow Büros und Toiletten putzt. Zu ihren Kolleginnen hat sie kaum persönlichen Kontakt, sieht man von der aufdringlichen Birdie (Ainsley Howard) ab. Diese ist es auch, die daran Schuld trägt, dass Lena ihren letzten Bus nach Hause versäumt. Kein Problem aus Birdies Sicht: Ihr Dad (Perry Benson) könne ja die schweigsame Polin in ihr Motelzimmer bringen. Mangels Alternativen folgt Lena der nervigen Kollegin nach Hause - und erhält zur Begrüßung einen Schlag auf den Kopf, der sie außer Gefecht setzt.

Das Erwachen könnte grausamer kaum sein: Zum einen findet sie sich in einem Folterkeller an ein Bett gekettet, zum anderen kann sie ihr Entsetzen nicht einmal in die Welt hinausbrüllen, da ihr die Stimmbänder entfernt wurden. Im Gegensatz zu einer anderen Gefangenen, die im Nebenraum unüberhörbar zu Tode gefoltert wird. Kaum sind ihre Todesschreie verstummt, betritt Birdies Vater mit einer blutverschmierten Axt das Kellerabteil und erklärt der Neuen die Hausordnung: Absoluter Gehorsam oder Bestrafung. Fortan muss Lena ihm und seiner nicht weniger verrückten Gattin (Dido Miles) zu Willen sein. Jeder Widerstand wird im Keim erstickt, jeder Fehler bei den täglichen Sklavenarbeiten zieht Bestrafungen nach sich. Bis die gequälte junge Frau am Weihnachtsabend im Kreise der neuen Familie alles auf eine Karte setzt...

Trailer "Mum and Dad"

Comeback der autoritären Erziehung

Eines vorneweg: Bei "Mum and Dad" handelt es sich um einen Horrorfilm der alten Schule. Hart, schonungslos und mit makabren Scherzen auf Kosten der Opfer. Alberner "Saw"-Splatter um des Blutes wegen ist hier strengstens verpönt. Wer dem Genre aus moralischen Gründen skeptisch gegenübersteht, möge sich selbst einen Gefallen tun und diesen Film schlichtweg ignorieren. Denn was Regisseur Steven Sheil, der auch fürs Drehbuch verantwortlich zeichnet, in seinem Debütfilm serviert, ist die cineastische Antithese zu oberflächlichen Schlachthofszenarien.

Sein Streifen heftet sich an die Fersen einer polnischen Immigrantin und verlässt diesen Blickwinkel an keiner Stelle. Dass Protagonistin Lena kein glamouröses Leben führt oder, wie in Horrorfilmen Usus, vergnügungssüchtige Studentin mit überschaubaren Zerebralfunktionen ist, taucht den Film in realistisches Licht. Stattdessen verrichtet sie im wortwörtlichen Sinne Scheißarbeit. Um dem deprimierenden Einblick in ein unspektakuläres Dasein die Krone aufzusetzen, befindet sich Lena ganz alleine in der neuen Heimat. Nur Kollegin Birdie leistet ihr Gesellschaft, auf die sie allerdings mit Freuden verzichten könnte. Denn Birdie kompensiert ihre geringen Arbeitsleistungen mit ihrem pausenlosen Schnattern, das wie ihre ganze Persönlichkeit hohl und oberflächlich ist.

 

Frühstücksporno

Cover der DVD "Mum and Dad"Sie ist es auch, die Lena ins Verderben führt. Durchaus beabsichtigt, wie sich später erweisen wird. Schließlich dient sie als Lockvögelchen, das Jugendliche ins Haus des pervertierten Elternpaares führt. Regisseur Sheil hält sich nicht erst lange mit Vorgeplänkel auf, sondern stößt seine Protagonistin früh in die seelischen Abgründe gewissenloser Bestien. Im Folterkeller von Mum and Dad werden der bewusstlosen jungen Frau die Stimmbänder entfernt. Die ohnehin noch mit der englischen Sprache hadernde Polin wird somit in ihrer Kommunikationsfähigkeit buchstäblich beschnitten.

Gleichzeitig wird der Zuschauer mit wenigen Worten in die Welt der beiden Haustyrannen eingeführt, wenn Dad mit blutverschmierter Axt das Kellerabteil betritt oder Mum den Rücken ihrer mittel Zwang adoptierter Tochter malträtiert - natürlich nur zum Besten des Kindes! Überhaupt karikiert der Film zahlreiche familiäre Verhaltensweisen, was in der vielleicht makabersten Szene des Streifens mündet: Das Opfer muss am Frühstückstisch der Familie sitzen und Birdies geistlosem Geplappere lauschen, während Dad die Zeitung liest und Mum das Frühstück serviert. Beinahe könnte dies als stockkonservatives Familienidyll durchgehen, würde nicht Birdies stummer Bruder die Reste des letzten Opfers in den Mülleimer stopfen und aus dem Fernseher das monotone Stöhnen eines Hardcore-Pornos dröhnen.

Mum and Dad, beängstigend eindringlich von den britischen TV-Schauspielern Perry Benson und Dido Miles verkörpert, sind war lupenreine Psychopathen, kaschieren ihre Abartigkeiten jedoch hinter einer gutbürgerlichen Fassade. "Ihren" Kindern lassen sie eine unerbittlich harte Erziehung angedeihen, die letztendlich in den meisten Fällen letal endet. Die Aufteilung der Geschlechterrollen ist klassisch, wobei Dad auf rohe Gewalt setzt, während Mum weitaus subtiler Schmerzen zuzufügen weiß. Andererseits lernt die von der Ukrainerin Olga Fedori gespielte Lena sehr rasch, wie sie die Zuneigung "ihrer" Mutter erringen kann, um nicht von Dad gnadenlos zu Tode gemartert zu werden.

 

Spannender Horrrorfilm "Mum and Dad"

Trotz der düsteren Thematik und einigen von der Kamera detailliert eingefangenen Gewaltexzessen, kommen der Humor und die Spannung nicht zu kurz. Die junge Lena kann sich der Sympathien des Zuschauers gewiss sein; insbesondere deshalb, weil sie sich nicht in ihr vermeintliches Schicksal fügt und auf ihre Errettung wartet, sondern den Schock des Erwachens im Folterkeller rasch überwindet und alles daran setzt, zu überleben. Ob ihr dies gelingen wird, soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden.

Fazit nach knapp eineinhalb Stunden Laufzeit: Mit dem Horrorfilm "Mum and Dad" liefert Steven Sheil ein kompaktes kleines Genrejuwel ab, das trotz einiger kleiner Unstimmigkeiten und des etwas überhasteten Showdowns hervorragende Unterhaltung auf hohem Niveau bietet. Und er ist pädagogisch wertvoll. Denn plötzlich sieht man die eigenen Eltern mit ganz anderen Augen und ist froh, nicht an dieses grauenhafte Psychopathenpaar geraten zu sein. Das heißt: So man ganz sicher ist, dass es sich tatsächlich um die eigenen Eltern handelt...

Originaltitel: Mum & Dad

Regie: Steven Sheil

Produktionsland und -jahr: UK, 2008

Filmlänge: ca. 85 Minuten

Verleih: NSM Records

Deutscher Kinostart: -

FSK: Freigegeben ab 18 Jahren

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