Traue keinem Schulbusfahrer!

Kim Soo-hyeons (Lee Byung-hun) schwangere Verlobte wird brutal ermordet. Nicht nur für den jungen Agenten einer Spezialeinheit, sondern vor allem für ihren Vater Jang, den ehemaligen Polizeichef, ein nicht zu verwindender Schlag. Kim setzt alles daran, den Mörder zu fangen und kommt ihm dank tatkräftiger Unterstützung Jangs tatsächlich auf die Spur. Schulbusfahrer Kyung-chul (Choi Min-sik, "Oldman") ist ohne Zweifel der Täter! Anstatt ihn der Polizei auszuliefern, stellt ihm Kim nach und ertappt ihn dabei, wie er eine weitere junge Frau missbrauchen und töten möchte.

Kyung-chul wird überrumpelt, zu seiner eigenen Überraschung aber nicht verhaftet, sondern zusammengeschlagen und mit einem Umschlag, der eine Menge Geld enthält, zurückgelassen. Allmählich dämmert dem Serienkiller, was der junge Mann plant. Er möchte langsame, bittere Rache an ihm üben, um ihn für seine Untaten büßen zu lassen. Aber Kim hat den grobschlächtigen Psychopathen unterschätzt und muss erkennen, dass sein Plan für viele weitere Unschuldige verheerende Folgen hat...

Deutscher Trailer "I Saw the Devil"

Westlich von Hollywood

Wer die Nase voll hat von den meist formelhaft gleichen amerikanischen Thrillern, möge seinen Blick nach Ostasien richten. Aus Japan und insbesondere Südkorea kommen immer wieder originelle, spannend inszenierte Filme, die nicht selten von Hollywood ein nach Schema A(merika) aufbereitetes Remake erfahren. Abgesehen von einzelnen Glücksfällen wie Gore Verbinskis "The Ring", der um Ecken spannender und optisch interessanter daherkommt als das mystisch verquaste Original aus Japan, sollte sich der geneigte Zuschauer lieber den ursprünglichen Werken zuwenden.

Cover "I Saw the Devil"Es lohnt sich, wie "I Saw the Devil" eindrucksvoll belegt. Mit Ausnahme von Charakterdarsteller Choi Min-sik, der kosmopolitischen Genrefans aus "Oldboy" vertraut ist, tummeln sich in Regisseur Kim Jee-woons Thriller aus 2010 vornehmlich unbekannte Gesichter. Und exakt darin liegt einer der Reize dieses Streifens. Der Rezipient wird nicht von Hollywood-Stars abgelenkt, sondern kann sich voll und ganz auf das schweißtreibende Spiel konzentrieren.

Spiel? Ja, Spiel! Zunächst scheint die Handlung noch vertraut: Psychopathischer Serienkiller überwältigt junge Frau, hält sie in einer düsteren Fabrikhalle gefangen und martert sie emotionslos zu Tode. Wenig später wird ihr Kopf in einem Fluss treibend gefunden - vor den Augen ihres Freundes und ihres Vaters. Die beiden trauernden Männer fassen den Entschluss, den Mörder auf eigene Faust zu fassen, wobei der ehemalige Polizeichef Jang vertrauliche Akten an den Freund seiner ermordeten Tochter liefert. Hier enden aber die vertrauten Pfade und den Zuseher erwartet Neuland, durch das ihn Kim Jee-woon mit eiskalten Händen führt. Denn mit der aus westlichen Produktionen gewohnten Hochglanzoptik verbindet "I Saw the Devil" rein gar nichts. Vielmehr wird auf Authentizität der Häuser, Städte, Straßen und Autos gelegt, was interessante Einblicke in eine den meisten Europäern wohl fremde Welt gestattet.

Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein
Natürlich steht Rache im Zentrum der Handlung. Aber es ist keine Rache der Gerechtigkeit willen, sondern eine, die aus niedersten Instinkten heraus erfolgt und allmählich in eine furiose Katz-und-Maus-Jagd übergeht. Der junge Polizist Kim Soo-hyeon stößt rasch auf die Spur des Killers, erledigt ihn aber nicht an Ort und Stelle, wie es zu erwarten gewesen wäre. Bereits in dieser Szene beginnt der Zuschauer zu ahnen, dass er Zeuge eines ungewöhnlichen Duells wird, in dessen Verlauf der Teufel in Gestalt des Serienkillers ein würdiges Pendant findet. Denn der vermeintliche Racheengel ist ausschließlich mit der Verfolgung seiner eigenen Ziele beschäftigt und nimmt leidenschaftslos die Folgen seines Handelns in Kauf. Zwar stattet er den Psychopathen mit einem Peilsender aus, um ihn jederzeit orten zu können. Dies hindert den ehemaligen Schulbusfahrer aber nicht daran, seinen Lebensweg mit weiteren Opfern seiner sadistischen Gelüste zu pflastern.

Nietzsches berühmtes Zitat: "Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein", passt zu kaum einen anderen zeitgenössischen Film besser, als zu "I Saw the Devil". Auch wenn Kim Soo-hyeon nicht der Verführung des Bösen erliegt, so wird sein Mangel an Empathie und Moral im Laufe der Hetzjagd immer offensichtlicher. Eben jene Jagd erfolgt mit unverhohlener Brutalität, die in Südkorea Zensoren auf den Plan rief. In Deutschland selbst ist das Werk bislang nur stark geschnitten im freien Handel erhältlich. Ob die Darstellung von Gewalt und Folter bedenklich ist, mögen andere diskutieren. In einem Film wie eben dem vorliegenden ist sie schlichtweg unabdinglich. Man kann nun einmal kein Omelett ohne zerschlagene Eier zubereiten, und ganz ähnlich verhält es sich bei Thrillern. Wer mit expliziten Gewaltdarstellungen Probleme hat, möge von derlei Genreware einfach Abstand nehmen.

 

Extrem spannend: "I Saw the Devil"

Neben dem fesselnden und unvorhersehbaren Plot sind es vor allem die hervorragenden Darsteller, die diesen Film zu einem der interessantesten Thriller der letzten Jahre machen. Insbesondere Choi Min-sik glänzt einmal mehr als verstörend faszinierender, gleichzeitig abstoßender Charakter. Was ihn treibt, ist nur allzu menschlich: Reiner Hedonismus! Seiner Abscheulichkeit ist er sich stets bewusst und er reflektiert dies mitunter ironisch verklärt.

Regisseur Kim Jee-woon liefert die entsprechend passenden Bilder, ohne sich in billige Manierismen zu verheddern oder allzu aufdringlichen Symbolismus zu betreiben. Schonungslos hält die Kamera auf mitunter unangenehme Darstellungen drauf. Den einzigen Schwachpunkt des Plots bildet ein verzichtbarer Hannibal-Lecter-Verschnitt, der zur eigentlichen Story nichts beiträgt und wie ein Zugeständnis an gegenwärtig schicke Horrorklischees wirkt. Manche Filmkritiker orteten darin ein satirisches Element, was durchaus zutreffend sein könnte.

Fazit nach zwei Stunden Laufzeit: Wer originelle, wendungsreiche Filme liebt, sich nicht vor expliziten Gewaltdarstellungen ekelt und keine Scheu vor Filmen aus Fernost hegt, liegt mit "I Saw the Devil" goldrichtig. Zwar wird er nicht den Teufel, aber einen extrem spannenden Thriller mit einem furiosen Hauptdarsteller sehen.

Originaltitel: 악마를 보았다

Regie: Kim Jee-woon

Produktionsland und -jahr: Südkorea, 2010

Filmlänge: ca. 144 Minuten (ungeschnittene Version)

Verleih: Splendid Film / WVG

Deutscher Kinostart: -

FSK: Freigegeben ab 18 Jahren

Laden ...
Fehler!