„Ich gehe bis nach Karlsruhe!“
Vom Streit ums Kopftuch bis zum Euro-Rettungsschirm: Für viele Rechtsuchende ist die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht die letzte Hoffnung.Nur zwei von hundert Verfassungsbeschwerden erfolgreich
Die Verfassungsbeschwerde ist nur eine unter vielen Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht. Zahlenmäßig ist die Verfassungsbeschwerde jedoch mit Abstand
die bedeutendste. Nach Zahlen des Bundesverfassungsgerichts gab es von 1951 bis 2005
157.233 Anträge – darunter 151.424 Verfassungsbeschwerden. Erfolgreich waren nur wenige.
Lediglich 3.699 Verfassungsbeschwerden waren begründet. Das sind weniger als drei
Prozent der ursprünglich eingelegten Verfassungsbeschwerden. Ein Grund: Viele Verfassungsbeschwerden werden in der Sache gar nicht entschieden. Das Bundesverfassungsgericht prüft zunächst, ob eine Verfassungsbeschwerde – dargelegt in Schriftsätzen, die häufig Aktenordner füllen – überhaupt zulässig ist. Auch Verfassungsrichter sind chronisch überlastet. In aller Regel muss der Kläger mit seinem Anliegen alle Instanzen der normalen Gerichte durchlaufen haben. Erst dann befasst sich das Bundesverfassungsgericht auch inhaltlich mit der Verfassungsbeschwerde. Prüfungsmaßstab ist dabei stets allein das Grundgesetz.
Die Verfassungsbeschwerde mit den bislang meisten Beschwerdeführern – über 37.000 – ist die Klage gegen die Zustimmungsgesetze zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), dem permanenten, milliardenschweren Euro-Rettungsschirm, und Fiskalvertrag im Jahr 2012.
Verfassungsbeschwerde einmalig in deutscher Geschichte
Dass der Einzelne überhaupt mit der Verfassungsbeschwerde gegenüber dem Staat die Einhaltung der Grundrechte einklagen kann, ist nicht selbstverständlich. In dieser Form gibt es diese Möglichkeit zum ersten Mal in der deutschen Geschichte. Im internationalen Vergleich ist Deutschland einer der wenigen Staaten, der seiner Bevölkerung ein derart hohes Maß an Grundrechtsschutz gewährt.
Nach den Wirren der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes das Bundesverfassungsgericht mit beispielloser Macht ausgestattet. Nie wieder sollte die Gewalt über das Recht triumphieren. Trotz der alles beherrschenden Stellung der Grundrechte im Grundgesetz fehlte jedoch zunächst die Verfassungsbeschwerde. Sie kam erst mit der Einführung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes von 1951. Heute, nach über sechs Jahrzehnten, gehört das Bundesverfassungsgericht zu den angesehendsten Staatsorganen der Bundesrepublik Deutschland – als Garant für die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Grundgesetzes. Das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes in der Bevölkerung gründet sich vor allem auf der Möglichkeit zur Verfassungsbeschwerde.
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