Interview mit der einzigen deutschen Stierkämpferin
Ein provokantes Interview mit der einzigen deutschen Torera – nichts für zarte GemüterTorera im 19. Jahrhundert (Bild: Archiv J. Bleeker)
Fasziniert von der Corrida
Wer weiss schon, dass in Spanien weibliche Toreros vor allem im 18. und 19. Jahrhundert gang und gäbe waren? Dass sie dann - weit vor Franco - 1908 verboten wurden, wie böse Zungen behaupten, weil sie so großen Erfolg hatten und die Arenen füllten. Noch im 20. Jahrhundert glänzten Toreras wie Juanita Cruz und Conchita Cintron - nach Aufhebung des Verbots 1974 - die jedoch hauptsächlich in Südamerika auftraten. Das erzählt Janette Bleeker, die Hamburgerin, die Dramaturgin und Produzentin von Dokumentar- und Werbefilmen.
Links: die geborene Friesin Janette Bleeker, die als Dokumentarfilmerin arbeitet, sich vor fast 30 Jahren zur Stierkämpferin ausbilden ließ (Foto: Gabriele Hefele).
Wie kamen Sie zum Stierkampf?
"Das begann mit meinem ersten Besuch eines Stierkampfes(= corrida) bei der Feria in Sevilla 1987, zu dem mich damals mein bester Freund mitnahm, der bereits in Andalusien lebte. Da geschah etwas mit mir: Ich war fasziniert von der Atmosphäre, von der Begeisterung der Leute, von der Schönheit des Toreos (Stierfechterkunst), von der Auseinandersetzung mit dem Stier, von dem Spiel in Sonne und Schatten. Ich war sozusagen von Anfang an mit dem Corrida-Virus, infiziert, war aber selbst zunächst entsetzt über meine eigene Reaktion. Ich fuhr dann zurück nach Hamburg, setzte mich erst einmal ein halbes Jahr täglich in die Universitätsbibliothek und verschlang alles an Büchern was ich zu Stieren, deren Geschichte und Mythos sowie den uralten Opferritualen finden konnte."
Aber vom Besuch eines Stierkampfes bis zum selbst in der Arena Kämpfen - das ist doch ein Riesenschritt?
"Das ist wahr, das ging irgendwie auch schleichend bei mir. Zunächst einmal wollte ich einen Spielfilm über eine Stierkämpferin drehen – schließlich ist mein Beruf Dramaturgin und Regisseurin. Und um das Drehbuch glaubwürdig schreiben zu können, mich in die Hauptfigur hineindenken zu können, dachte ich mir, ich lerne das am besten selbst vor Ort. Und so begann ich mit 29 Jahren die Ausbildung in der Stierkampfschule in Jerez, die ich zwischen 1988-1992 besuchte. Einer meiner Lehrer war Antonio Lozano, der damals nicht viel von Frauen in der Arena hielt. Heute ist er Apderado der Stierkämpferin Sandra Moscoso, die nach meiner Meinung teilweise besser kämpft als ihre männlichen Kollegen".
Und die hatten in Jerez sonst nichts gegen Frauen auf dem Gebiet?
"Na ja, mit offenen Armen wurde ich nun nicht empfangen. Aber ich wurde auch nicht gemobbt. Übrigens haben zu der Zeit noch zwei weitere Frauen an der Ruta del Toro unterwegs. Eine von ihnen war die 15jährige Cristina Sanchez. Es ist sehr anstrengend - besonders als Fremde – sich in die Tauromaquia hinein zu versetzen und diese intellektuell und körperlich zu bewältigen. Nicht nur, dass man zum Beispiel die einzelnen Figuren mit Capote und Muleta bis zu 200mal täglich hintereinander übt, damit sie ins Unterbewußtsein übergehen, denn in der Arena kann man nicht mehr nachdenken, da darf man sich keinen Fehler erlauben."
Janette Bleeker beim Tentadero
Es geht nicht um Fairness, es ist ein Opferritual
Sie sind nun also "gelernte Torera"?
"Um es korrekt zu sagen: Novellera, das heisst, ich kann in der Arena auftreten im Kampf mit Jungstieren, ebenso beim Tentadero (dem unblutigen Test der Zuchtkühe).2
Das beinhaltet also auch "eine Lizenz zum Töten? Und das macht Ihnen nichts aus?
"Ich habe zwar nie in der Arena getötet, aber ja, das bedeutet, dass ich die Ausbildung als Torera absolviert habe - vor nun mehr als 20 Jahren. Ich möchte dazu erwähnen: Ich bin als Bauernkind im ländlichen Nord-West-Niedersachsen aufgewachsen, wo ich von Kindesbeinen an ein natürliches Verhältnis zum Tod hatte. Mit fünf Jahren habe ich meinen Vater beim Schlachten von Schweinen und Rindern begleitet, wobei ich sogar manchmal den Eimer zum Blutsammeln halten musste. Ja, deshalb habe ich ein relativ natürliches und aufrichtiges Verhältnis zu Tieren. Mir war schon sehr jung bewusst, dass das Fleischessen mit Blut und Tod zu tun hat. Etwas, dass heute gern verdrängt wird.
Doch was mich wirklich an der Tauromaquia fasziniert, ist die Kunst des Stierfechtens, - für die Spanier ist das kein Sport, sondern eine Kunstform -, das Spirituelle, das Philosophische und Symbolische am Auftritt in der Arena. Und ja! Auch die Bedeutung des Stiers. Ein Stier, der in der Arena stirbt, hat für die Menschen ursprünglich eine symbolträchtige Bedeutung, denn dieser Tod steht eng mit der gesamten Kulturgeschichte in Verbindung. Besonders in Spanien, wo die Stierkultur bis Ende des letzten Jahrhunderts eine kulturelle Identität darstellte."
Züchterargument: Die Stiere hätten doch lange herrliche Jahre (Bild: Gabriele Hefele)
Falsch verstandene Emanzipation?
Handelt es sich nicht um falsch verstandene Emanzipation? Müssen wir wirklich in allem den Männern nacheifern? Stehen wir Frauen nicht vor allem für das Leben?
"Was ist das für eine Frage! Frauen hatten seit jeher, besonders in den Zeiten des Matriarchat und im Altertum, eine besondere Beziehung zum Stier, denken Sie nur an die Gründungslegende unseres Europa. Die Verbindung von Frauen und Stieren war während des Matriarchats bedeutsamer als die zu Männern. Weshalb hat man wohl den Minotaurus erfunden? Als Ausgeburt der Sünde von Frau und Stier wurde er zur Legitimation eines tödlichen Kampfes gegen den Stier und somit auch der Wendepunkt ins Patriarchat. Als Fruchtbarkeitssymbol wurde er im Lauf der Jahrhunderte das wertvollste Opfertier der Menschheit, das der Göttin Artemis dargeboten wurde. Im Mittelalter, als sich der Katholizismus immer stärker durchsetzte, wurde er dann der Kampfpartner der Männer und besonders der Adeligen, die sich mit ihm als Sparringspartner auf Kriege vorbereiteten, wobei die positive Symbolkraft des Stiers bis heute für das Volk bei den Stiertreiben große Bedeutung hat."
Aber muss einem nicht der Stier, der friedliche Pflanzenfresser leid tun, der – und ich denke, das frage ich jetzt stellvertretend für viele unserer Leser/innen - die Regeln des Kampfes nicht kennt, der unbefangen in die Arena stürmt? Ist das nicht unfair?
"Es geht überhaupt nicht um Fairness! Denn eigentlich kennt das menschliche Prinzip keine Fairness - das ist lediglich ein Legitimationsbegriff, um sich vermeintlich ethisch sauber zu halten. Eigentlich handelt sich sich bis heute irgendwie um ein Opferritual, und die Toros bravos, die dafür gezüchtet werden, spüren bereits in der Arena, dass es um Leben und Tod geht, die riechen den Tod in der Arena und sie kämpfen bis zum Tod. Die Kuh, die zum Schlachter geführt wird - ist das nicht viel unfairer? Die riecht auch den Tod, wenn sie ins Schlachthaus kommt, aber die wird viel zu häufig bei lebendigem Leib im Schlachthaus ausgeblutet. Keiner hat ein Problem damit, weil es nicht öffentlich geschieht. In der Arena hat ein guter Stier die Chance zu überleben, begnadigt zu werden. Und er wird immer würdig behandelt, noch über seinen Tod hinaus. Er erhält einen eigenen verdienten Applaus des Publikums am Ende in der Arena, wo dann seine Seele mit Peitschenschlägen in den Himmel entlassen wird. Welches Schlachtrind hat diese Chance?"
Was wurde eigentlich aus dem Spielfilm?
"Leider gibt es ihn bis jetzt noch noch nicht. Ich erhielt damals für das Filmscript sogar Förderung, dann wurde ich zu einer Diskussion zu einem großen Privatsender eingeladen, bei der auch der damalige Vorsitzende des Deutschen Tierschutzbundes Gast war, - und danach ging nicht nur eine Hexenjagd auf mich los, mir wurden auch die Gelder gestrichen. Heute, nach mehr als 20 Jahren möchte ich dieses Projekt - jetzt anders - erneut aufgreifen. Und dabei geht es dieses Mal mehr darum, die Schizophrenie der Menschheit zu verdeutlichen."
Die Figuren werden pro Tag hunderte Mal geübt (Bild: J. Bleeker)
Anmerkung zum Gespräch
Dieses Interview führte ich im Frühjahr 2009. Es erschien zunächst in SURdeutsche Ausgabe, Málaga. Als ich es einer bekannten Frauenzeitschrift in Deutschland anbot, erhielt ich folgende Antwort: "Wir sind absolut gegen Stierkämpfe und finden, dass das Tierquälerei ist. Allerdings fordern wir das uneingeschränkte Recht für Frauen, ebenfalls Stierkämpferin werden zu können, das darf ihnen nicht aufgrund des Geschlechts abgesprochen werden."
Ich selbst brauchte einen Anlauf von 7 Jahren, bis ich nach meinem Umzug nach Andalusien mich traute, in Jerez einen Stierkampf zu besuchen: Nie wieder - das halte ich nicht aus, mir wurde schlecht! Die Stiere wussten nicht, was ihnen geschah - bis zu den letzten Todessekunden. Ich war immer auf Seiten der Stiere, aber leider verloren sie - da half auch der Extra-Schlussapplaus für sie nicht, als die Kadaver von Pferden, mit denen sie oft zusammen friedlich auf der Weide leben, aus der Arena gezogen wurden.
Makabrerweise haben die Spanier für Männer, die in der Ehe unter dem sogenannten Pantoffel stehen, das Sprichwort: "El toro siempre perde." = "Der Stier verliert immer".
Bildquelle:
Gabriel Steinschulte
(Die großen Feste in Spanien übers Jahr)
Piper Verlag
(70. Geburtstag von Reinhold Messner und ein früheres Interview)