Kirschkerne schlucken: Ja oder nein?

Sauerkirschen am Baum (Bild: Ruth Rudolph/pixelio.de)

Das sagen Befürworter

  • Kirschen mit Stein schmecken einfach besser.
  • Die Steine putzen den Darm durch. Dann ist er wieder sauber.
  • Das Gespucke bei Tisch ist einfach unappetitlich. Wer mag schon Dinge auf dem Tisch liegen haben, die schon jemand anders im Mund hatte?
  • An so einer kleinen Kirsche ist ja sonst nichts dran.

  • Es ist ein gutes Training für den Fall, dass ich einmal große Tabletten schlucken muss.
  • Kirschkerne schlucken traut sich nicht jeder! Hier kann ich einmal zeigen, was ich für ein toller Hecht bin!

Das sagen Gegner

  • Das Schlucken von Kirschkernen ist ungesund und gefährlich: Kirschkerne enthalten Blausäure und wenn sie im Blinddarm stecken bleiben, verursachen sie eine gefährliche Blinddarmentzündung.
  • Auf einem Baum zu sitzen und Kirschkerne nach Passanten zu spucken, macht einfach Spaß.
  • Kirschkerne spucken hat Tradition und ist eine alte Kulturtechnik.
  • Kirschkerne über die linke Schulter spucken bringt Glück.
  • Dann aber nicht meine Toilette benutzen! Ich will keine Hagelschäden!
  • Wer Kirschkerne schluckt, riskiert, dass ein Kirschbaum im Bauch wächst.
  • Wie soll ich mein Kirschkernkissen füllen, wenn ich die Steine schlucke?

Wussten Sie ...

... dass der Weltrekord im Kirschkern-Weitspucken bei 21,71m liegt? Er wurde 2003 von Oliver Kuck aufgestellt.

Ist das Verschlucken von Kirschkernen gesund oder gefährlich?

Betrachtet man die Argumente, muss man feststellen, dass die meisten Punkte der Kategorie "Ansichtssache" zuzuordnen sind. Auf der anderen Seite werden Gesundheitsfragen diskutiert und hier fällt auf, dass die Gegner des Kirschkern-Schluckens mit weitaus größerer Vehemenz gesundheitliche Argumente anführen als die Befürworter.

Das einzige Argument, das für die gesundheitsfördernde Wirkung des Kirschkern-Schluckens spricht, ist der Reinigungseffekt. Meine Großmutter hat das immer gesagt: "Tut sie nur schön schlucken, das putzt den Darm durch!" Wissenschaftliche Untersuchungen dazu sind mir nicht bekannt und ich mag das einmal bezweifeln. Ein Kirschkern ist doch keine Bürste und ein Darm kein Rohr, das durchgeputzt gehört!

Auf der anderen Seite stehen die Gegner des Kirschkern-Schluckens mit gar fürchterlichen Aussichten: Kirschkerne würden Blinddarmentzündungen hervorrufen und da sie Blausäure enthalten, könne man sich schlicht vergiften. Gehen wir diesen Argumenten auf den Grund.

Verursachen Kirschkerne eine Blinddarmentzündung?

Kirschkerne, so wird oft gesagt, können im Blinddarm stecken bleiben und dort die gefürchtete Blinddarmentzündung hervor- rufen. Das führt unweigerlich zu einer Operation. Was ist da dran? Eigentlich fast nichts: Bei einer Blinddarmentzündung entzündet sich nämlich nicht der Blinddarm an sich, sondern der Wurmfortsatz (lateinisch: Appendix) des Blinddarms. Theoretisch kann das auch einmal durch Fremdkörper geschehen, der Wurmfortsatz ist jedoch meistens nur wenige Millimeter dick. Ein Kirschkern passt da gar nicht hinein.

Wurmfortsatz (Bild: Nemo, pixabay)

Australische Forscher untersuchten über 2000 Krankengeschichten von Kindern, die wegen einer akuten Blinddarmentzündung operiert worden waren. Ein Kirschstein im Wurmfortsatz wurde nur in einem von 1409 Fällen gefunden.

Kann man durch das Schlucken von Kirschkernen eine Blausäure-Vergiftung bekommen?

Kirschkerne enthalten Amygdalin, das im Körper zu Blausäure umgewandelt wird. Blausäure ist giftig: Ein bis zwei Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht wirken tödlich. Allerdings hat der menschliche Organismus ein wirksames Entgiftungssystem für Blausäure, sonst könnte man keine Bittermandeln, keine Haferflocken, Erbsen oder Tomaten essen. Auch diese Nahrungsmittel enthalten Blausäure. 

Spuren von Blausäure kommen in fast allen Lebensmitteln vor und auch in Kirschkernen findet sich nur wenig Blausäure, beziehungsweise Amygdalin. Die Menge ist jedoch stark von der Kirsch-Sorte abhängig: User Pontius hat bei wer-weiss-was-de ausgerechnet, dass ein 80 kg schwerer Mann 1824 Schattenmorellen-Kirschkerne essen müsste, um sich tödlich zu vergiften. Allerdings müsste der gute Mann die Kirschkerne voher knacken oder sie zerbeißen, denn Kirschkerne werden bekanntlich nicht verdaut und dann wird auch die Blausäure nicht freigesetzt. Welches Gebiss hält das aus?

Das ist zuviel!

Das ist zuviel! (Bild: Dieter Schütz/pixelio.de)

Darf man die Kerne jetzt also einfach runterschucken?

Tatsächlich scheint das Kirschkern-Schlucken oder Spucken mehr auf Geschmacksfragen oder auf Tradition und Familienüberlieferung zu beruhen, denn eine echte Gefahr zu sein. Expertenmeinungen verbannen die zwei Hauptgefahren − Blinddarmentzündung und Blausäurevergiftung − ins Reich der Mythen und Märchen. Als bekennende Kirschkern-Schluckerin kann ich bestätigen, dass es mir wirklich nie geschadet hätte. Wer Bauchschmerzen bekommt, wird es ohnehin bleiben lassen. Warum sollte man etwas tun, was Schmerzen hervorruft?

Kirschen

Dass es normalerweise harmlos ist, wenn man ein paar Kirschkerne verschuckt, gilt für gesunde Leute. Während das Internet voll mit Hilferufen der Art "Ich habe einen Kirschkern verschluckt, werde ich sterben?" ist, gibt es nur wenige Diskussionen über die Folgen verschluckter Kirschkerne bei Leuten, die vorbestehende Probleme im Magen-Darm-Trakt haben. Kirschkerne sind unverdaulich und ich kann mir vorstellen, dass es sehr schnell problematisch wird, wenn es irgendwo im Verdauungstrakt Engstellen gibt. Vielleicht noch nicht bei einem Kern, aber was passiert, wenn fünf Kerne gleichzeitig die Engstelle passieren wollen? Das stelle ich mir jetzt sehr unangenehm vor und auch gefährlich. 

Verengungen können durch Narben nach Operationen oder Entzündungen entstehen, auch mit einem Magenband würde ich keine Kirschkerne schlucken und nach einer frischen Operation ohnehin nicht. Was mir auch gefährlicher als die Blinddarment- zündung erscheint: Viele Leute haben Ausbuchtungen, sogenannte Divertikel, im Dickdarm und auch diese können sich entzünden. Diese Divertikel können durchaus so groß werden, dass ein Kirschkern hineinpasst. Auch, wenn es zu diesen Themen erstaunlich wenige wissenschaftliche Erkenntnisse gibt: Im Zweifelsfall würde ich frei nach Hausverstand einfach keine Kirschkerne schlucken.

Ob Sie die Kerne mitessen oder ausspucken: Allen wünsche ich jedenfalls viel Freude mit den köstlichen Früchten und guten Appetit!

Zum Nachlesen:

Ein Artikel der Neuen Luzerner Zeitung zum Theme "Kirschsteine schlucken" von Dr. Bruno Reichlin, FA für Innere Medizin (pdf)

Blausäure in Nahrungspflanzen - eine Gefahr für Lebensmittel? (Bontanisches Institut und Botanischer Garten der Universität Braunschweig)

Robert H. Schmerling: The Seeds of Worry - Medical Myths (InteliHealth.com)

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