Entwicklungsländer - Zielscheibe für Landkäufe

Warum greift land grabbing so ransant um sich?

Begonnen hat alles mit der großen Agrar-Krise im Jahr 2008, als es zur Verknappung von Reis und Weizen kam. Die dramatisch gestiegenen Preise für diese Grundnahrungsmittel waren von den reichen Industriestaaten noch bezahlbar, die armen Länder konnten sie sich jedoch nicht mehr leisten. Die großen Industrieländer fürchteten um die zukünftige Getreide-Grundversorgung ihrer weiter wachsenden Bevölkerung.
Dieser steigende Bedarf sei jedoch auch für bis zu 12 Milliarden Menschen zu decken, so der Globalisierungskritiker Jean Ziegler, wären da nicht die riesigen Getreidemengen, die in die Intensiv-Massentierzucht fließen und heute bereits 50 Prozent der Welternte ausmachen.

Wirtschaftsvertreter und private Investoren aus Industriestaaten, aber auch aus Schwellenländern wie China und Indien, bereisen seither unermüdlich Länder Afrikas, Südamerikas und Asiens, um preiswert und großflächig Ackerland zu kaufen oder zu pachten und/oder sich Wasserrechte zu sichern, um darauf die nächsten 50-100 Jahre Nahrungs- bzw. Futtermittel wie Reis, Getreide, Soja, Mais, Zuckerrohr und Energiepflanzen wie Ölpalmen (für Agrartreibstoffe) oder Baumwolle anzubauen. Der für das Ökosystem so lebenswichtige Regenwald, aber auch Dörfer und fruchtbares Land werden dafür rigoros abgebrannt. Kritiker des land grabbing bezeichnen diese neue Art der Landaneignung als den "Modernen Wilden Westen".

Auf riesigen Flächen wird dort anschließend industrielle Landwirtschaft betrieben: viel Agrarchemie und Gentechnik, wenig Menschen. In Brasilien spricht man bereits von "Grünen Wüsten".

Einige änder sehen im Verkauf von Boden die einzige Möglichkeit, ihre Verschuldung gegenüber den kapitalistischen Ländern abzubauen, was jedoch ein Trugschluss ist, denn durch den Verkauf wertvollen Landes bleiben sie abhängig von den Investoren, die die Preise und Mengen für Lebensmittel diktieren können. Großinvestoren, wie zum Beispiel der Inder Ram Karuti, der im großen Stil in Kenia und Äthiopien Rosen und Lebensmittel anbaut, werden zudem oft noch großzügig beschenkt. Karuti braucht sechs Jahre lang überhaupt keine Pacht zu zahlen und anschließend lediglich sieben Euro pro Hektar und Jahr.

Das anfänglich für arme wie auch reiche Länder als win-win-Situation gedachte land grabbing bringt den Investoren große Vorteile und Traumrenditen. Die Versorgung der Menschen Afrikas ist jedoch stark gefährdet, denn Kleinbauern und ihren Familien wird die Lebensgrundlage entzogen und sie sind gleich zweifach benachteiligt: sie verlieren als Produzenten ihr Land und können als Konsumenten die hohen Nahrungsmittelpreise nicht mehr bezahlen.

Es wird zudem kritisiert, dass die ökologischen Auswirkungen wie Zerstörung der Umwelt durch Rodung, zu hoher Wasserverbrauch, Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, noch viel zu wenig geklärt sind.

Obwohl Afrikas Export kontinuierlich wächst, ist sein Anteil am weltweiten Wirtschaftsprodukt in den letzten 20 Jahren stetig gesunken. Die Ausbeutung afrikanischer Ressourcen durch ausländische Investoren war schon eines der Zentralthemen auf dem Weltsozialforum (WSF), das im Februar 2011 im senegalesischen Dakar stattfand und zu dem sich 1200 Organisationen und circa 75.000 Menschen zusammen fanden. Auch in den Folgejahren und zuletzt im März 2118 in Salvador de Bahia/Brasilien standen diese und damit verbundene Themen wieder auf der Tagesordnung.

Wo und in welcher Größenordnung wird investiert?

Hauptsächlich betroffen von großflächigen Landverkäufen- und verpachtungen sind Angola, Äthiopien, Kenia, Demokratische Republik Kongo, Republik Kongo, Madagaskar, Mali, Mosambik, Sambia, Süd-Sudan und Tansania. Genau diese Länder mit großen Ressourcen gehören zu den Nahrungsmittel-Importeuren mit hoher Armut und Nahrungsunsicherheit. Die Dürre am Horn von Afrika seit Anfang des Jahres 2011 machte das wieder erschreckend deutlich.

Über die Größe der angekauften und gepachteten Flächen gehen die Schätzungen weit auseinander. So hieß es in einem Artikel des Stern (Ausgabe 23/2011) es seien fast 80 Millionen Hektar weltweit.
In der Dokumentation "Wie die EU Afrika in die Armut treibt" aus demselben Jahr sprach man von
50 Millionen Hektar - allein in Afrika. Das entspicht etwa der Fläche von Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien zusammen.

Schätzungen der internationalen Entwicklungsorganisation Oxfam zufolge, wurden in allen Entwicklungsländern seit 2001 bis heute insgesamt über 220 Millionen Hektar Land von ausländischen Investoren aufgekauft oder gepachtet.

Die am häufigsten verwendete Datenbank zu Landgeschäften ist die Land Matrix.
Deren Aufzeichnungen zufolge soll es sich insgesamt 'um etwa 50 Millionen Hektar handeln, die bereits erworben wurden und etwa 20 Millionen Hektar, deren Käufe in Planung seien.

Präzise Daten zum Ausmaß an Geschäften nach Regionen sind anscheinend schwierig zu ermitteln, da vermutlich nicht alle öffentlich gemacht werden und es sich oftmals auch um komplexe, undurchsichtige Firmen- und Bankengeflechte handelt.

 

Trailer der Doku "Vergiftete Geschenke"

Banken, Pensionsfonds und private Investoren spielen fleißig mit im Roulette um Land, Wasser und Wälder

Die globale Finanzkrise ab 2007 hat das land grabbing weiter angetrieben. Dieselben risikoliebenden Banken, Finanzinstitute und Investmentunternehmen, die diese Krise verursacht haben, später teilweise noch großzügig von Regierungen gestützt wurden, suchen nun wiederum nach sicheren Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital.
"Land Bank" (Bodenbank) ist die neue Bezeichnung für Ackerland, das Manager der Hedgefonds, der Private Equity-Branche und der großen Pensionsfonds propagieren", so der Finanzexperte Chris Mayer. "Landerwerb sei eine Wertanlage wie Gold, nur besser."

So soll, laut Report Mainz vom 8.11.2010, die Deutsche Bank schon seinerzeit mit drei DWS-Fonds in Höhe von 10,9 Millionen Euro und Investitionen von insgesamt einer Viertel Milliarde Euro am land grabbing beteiligt gewesen sein.

Laut einer Informationsbroschüre der Menschenrechtsorganisation FIAN steigen inzwischen immer mehr Pensionsfonds in den Agrarsektor ein, sichern sich riesige Ackerflächen und hoffen auf hohe Renditen für ihre Kunden. Pensionskassen gelten als Schwergewicht der Finanzwelt. Sie verwalten weltweit unglaubliche 32 Billionen US-Dollar und sind damit, global betrachtet, die größten Kapitalanleger.

Ein Beispiele aus der FIAN-Broschüre:

Die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (AVWL) als Pflichtversicherung für ÄrztInnen, zahlt - im Gegensatz zur staatlichen Rentenversicherung - die Beiträge nicht direkt an die RentnerInnen aus, sondern vermehrt sie auf dem Kapitalmarkt. 2011 hat sie ihre erste Investition in Agrarland vorgenommen und 100 Millionen US-Dollar bei einer Tochterfirma des US-amerikanischen Versorgungswerkes TIAA-CREF angelegt, das eines der größten Versorgungswerke weltweit ist.
In den USA verwaltet es Rentengelder für Personal von Universitäten und verfügt über ein Vermögen von 487 Milliarden US-Dollar. Es ist damit Vorreiter bei den Investitionen in Agrarland und industrielle Agrarproduktion.
Mit der Tochterfirma TIA-CREF Agriculture (TCGA) hat es weltweit mittelerweile 5 Milliarden US-Dollar für Anlagen in Agrarland gesammelt. Bis heute hat TCGA etwa eine halbe Million Hekter Land in Osteuropa, Brasilien, den USA und Australien gekauft.

Staatlich kontrolliert werden nur finanzielle Risiken, menschenrechtliche Risiken wie Vertreibung, hohe Landkonzentration oder Vergiftung von Mensch und Umwelt werden von Aufsichtsbehörden ignoriert. Durch die Öffentlichkeit ist all das nicht zu überprüfen und Pensionskassen teilen ihren Beitragszahlern in der Regel nicht mit, wo und wie sie das verwaltete Geld anlegen.

Entwicklungshilfe - Wer sind die wirklichen Profiteure?

Deutschland, aber auch andere Staaaten, schlägt seit Jahren einen ganz neuen Kurs in der Entwicklungshilfe ein. So haben alle G8-Staaten im Jahr 2012 strategische Partnerschaften mit 35 internationalen Agrarunternehmen ins Leben gerufen. Zukünftig sollen Millionen Menschen von Hunger, Durst und Armut befreit werden, indem man mit "wirtschaftlicheren" Anbaumethoden und Weiterverarbeitung die dortige kleinbäuerliche Landwirtschaft für den Welthandel fit macht.

Genauer betrachtet nutzen solche Partnerschaften in erster Linie den Agrar-und Chemikonzernen, die durch ihre Präsenz vor Ort mehr Einfluss und Kontrolle über die Ressourcen erhalten. Von den dortigen Regierungen fordern die Industrieländer gleichzeitig Marktöffnung und Sicherheiten für Wirtschaftsinvestitionen.

Die Kleinbauern, um die es eigentlich gehen sollte, werden aber in die Entwicklung von Zielen und Programmen meist nicht einbezogen. Das, was jahrhundertelang galt, nämlich Ernährungsvielfalt, selbstbestimmte Landwirtschaft im Einklang mit Natur und Umwelt, werden ignoriert.

Stattdessen setzen die Investoren auf großflächige industrielle Landwirtschaft mit Monokulturen, viel Chemie, aber wenig Arbeitskräfte. Gefördert wird die Nutzung von Hybridsaatgut, Dünger und Pestiziden, wodurch die Rechte der Unternehmen an dem genutzten Saatgut gestärkt werden, so wie es Monsanto seit Jahrzehnten praktiziert und damit zu Recht in der Kritik steht.

Traditionelles Saatgut, das an die speziellen Bedingungen des Klimas und des Bodens angepasst ist und von allen Bauern selbst vermehrt werden kann, wird dagegen verboten.

Durch die Monokulturen mit oftmals genetisch verändertem Saatgut und hohem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln werden die Böden langfristig unfruchtbar. Viele Beispiele der Vergangenheit in Nord- und Südamerika oder auch Indien haben das gezeigt. Auf den ersten Blick erscheinen diese Maßnahmen zwar als eine positive Entwicklung der Landwirtschaft, auf den zweiten Blick aber treibt es die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in die Abhängigkeit von Konzernen.

Gemeinsam mit der Deutschen Bank hat Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) den Fond AATIF gegründet, der Kredite an Banken, Finanzinvestoren und Agrarunternehmen vergibt, die ihrerseits das Geld in die dortige industrielle Landwirtschaft investieren.

Viele Nichtregierungsorganisationen (NGO's) wie FIAN oder Oxfam, der Weltagrarbericht fordern, aus diesen "Entwicklungspartnerschaften" auszusteigen und damit nicht weiter die Dominanz von Agrarkonzernen zu stärken.
Statt dessen sollte in diesen Ländern die kleinbäuerliche Landwirtschaft gefördert werden, die die Grundlage eines selbstbestimmten Lebens und Wirtschaftens darstellt. Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sollten und müßten in die den Nahrungsmittelanbau aktiv mit einbezogen werden.

 

Kritik am Land grabbing besteht nach wie vor, doch was ändert sich?

Kritiker, wie zum Beispiel Jean Ziegler oder Vandana Shiva, befürchten durch die bisher noch nicht absehbaren Ausmaße der Landnahme eine neue Art von Plantagen-Kolonialismus. Die Vor-und Nachteile der Landnahme müssten viel intensiver diskutiert und auch die Rahmenbedingungen in den Ländern verbessert werden – sowohl für Regierungen als auch für die Zivilbevölkerung. Noch zu häufig fehlten Rechtsgrundlagen und Verträge seien nicht gleichberechtigt.

Inzwischen setzen sich immer mehr Nichtregierungsorganisationen (NRO beziehungsweise NGO) wie FIAN, Oxfam, das afrikanische Netzwerk Copagen, Grain oder der Agrarbericht dafür ein, dass das Menschenrecht auf Nahrung gewahrt und bäuerliche Rechte geschützt werden, denn die jetzt betriebene Landwirtschaftsweise mit gigantischen Monokulturen und dem Einsatz von teilweise genmanipuliertem Saatgut ist keineswegs nachhaltig und ökologisch vernünftig.

Das Geschäft mit dem Land ist allerdings derzeit das Lukrativste, was es für Spekulanten und Agrarkonzerne gibt. Seit Beginn der Landkäufe sind die Bodenpreise um das Dreifache gestiegen, was man auch teilweise in Deutschland, aber auch in Ländern Osteuropas, wie der Ukraine, feststellen kann.

Es bedarf internationaler Gesetze, um dem exzessiven Verkauf fruchtbaren Bodens Einhalt zu gebieten.

 

Was sinnvoller wäre

Für eine nachhaltige Entwicklung Afrikas seien ganz andere Maßnahmen wichtiger und dringender, so hieß es schon auf dem Welternährungsgipfel der FA0 (Welternährungsorganisation) im November 2010, wie zum Beispiel:

  • eine breit angelegte Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und verarbeitenden Firmen durch Mikrokredite

  • eine Verbesserung der Infrastruktur

  • bessere Ausbildung der Bauern und Bäuerinnen in Sachen Anbau, Ernte, Weiterverarbeitung, Lagerhaltung, Vertrieb, Biodiversität

  • Stopp der Einfuhr von Dumpingprodukten, die die Preise der lokalen Anbieter untergraben

Das sieht der Weltagrarbericht, als fortlaufender Prozess, ebenfalls so.

Nötig sei außerdem ein völlig neues globales Denken und ein Infragestellen des jetzigen Finanzsystems. Ein System, das derartig drastisch in das ökologische Gleichgewicht und das der Bevölkerung eingreift, hat mit Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit nichts mehr zu tun. Durch das hemmungslose land grabbing drohen zudem Umweltkatastrophen, politisch und sozial unruhige Verhältnisse und ein weiter zunehmendes Hungerproblem.

 

Quellen, unter anderem:

  • Diverse Dokumentationen von FIAN Deutschland:
    "Landgrabbing und Menschenrechte: Die Rolle von EU-Akteuren im Ausland /
    "Investitionen in Hunger - Aktiv gemanagtes Agrarland - eine zweifelhafte Kapitalanlage für institutionelle Anleger" /
    "Food First - Ausgabe 2/217 - Menschen statt Konzerne nähren"
    "Vielfalt säen - Hunger bekämpfen; Saatgut und das Recht auf Nahrung"
    "Pensionskassen greifen nach Agrarland"

  • Landmatrix.org

  • GRAIN

  • "Der Hass auf den Westen", Jean Ziegler, Goldmann-Verlag (siehe Buch-Empfehlung oben)
  •  Weltagrarbericht
  •  Doku im Ersten "Goldgrube Bauland" vom 3.1.20
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