Jeder Straßenhund hat eine eigene Persönlichkeit

Sabine KranichIch weiß, worüber ich schreibe, denn wir nehmen seit Jahren immer wieder einen Straßenhund auf, meistens ausgesetzte Hunde, die entweder orientierungslos auf der Straße umherirren oder an dem Ort, an dem sie zurückgelassen wurden geduldig auf die vermeintliche Rückkehr ihres Besitzers warten. Wie schnell ein Hund von sich aus bereit ist, sich auf ein neues Zuhause einzulassen, hängt von seinem Alter ab und von seinen Charaktereigenschaften, die natürlich auch rassebedingt sind. So wird unserer Pipa, einer Rafeiro-do-Alentejano-Hündin und somit einer portugiesischen Herdenschutzhündin wegen ihrer Rasse nachgesagt, dass sie sich in ihrem Leben nur an einen Menschen wirklich emotional anschließen wird. Dementsprechend hat es länger gedauert bis sie sich entspannt, vertrauensvoll und heimisch gefühlt hat, als wir sie im Alter von 5 Monaten aufgenommen haben. Rassetypisch will sie auch heute noch ihren Job erledigen, sprich Bellen und Haus und Hof verteidigen, Gassi gehen als Kontrollrunde und ansonsten neben Fressen sehr gern auf dem Sofa abhängen. Käme heute ihr früherer Besitzer vorbei, der sie damals an einem touristischen Ort zurückgelassen hat, würde sie vermutlich laut gähnen. Pipa ist eigenständig und hat gern mal ihre Ruhe. Streicheln erwünscht, aber bitte nicht niederknutschen.
Ganz anders ist Buddy, ein anderes Straßenhund-Familienmitglied. Er ist ein Galgo und damit ein Windhund, der in Spanien als Jagdhund gehalten wird. Windhundtypisch war er als Teenager ein anstrengender Flegel mit einem immensen Freiheitsdrang, aber nun im Alter von drei Jahren können wir aufatmen, denn Buddy verändert sich zu einem erwachsenen, besonnenen und ruhigeren Hund. Und wie alle Windhunde ist Buddy sehr verschmust, in seinem Fall ist niederknutschen sehr erwünscht und da wo Herrchen hingeht, will er auch hin. Am besten immer und überall. Nur gut, dass wir zwei Ledersofas haben.

Tipps im Umgang mit Straßenhunden

Meiner Erfahrung nach bedeutet die Entscheidung einen Straßenhund aufzunehmen ein Jahr intensiver Bemühungen. So lange dauert es nämlich, bis sich der Hund heimisch fühlt, neues Vertrauen ohne misstrauische Hintergedanken aufgebaut und seine endgültige Rolle in der neuen Hunde- und Menschenfamilie gefunden hat. Und noch entspannender wird es, wenn der Hund sein Lebensalter von drei Jahren erreicht hat und damit als "erwachsen" durchgeht.
Wir haben herausgefunden, dass es viel einfacher ist, einen neuen jüngeren Hund aufzunehmen, wenn die anderen, in der Familie lebenden Straßenhunde bereits etwas älter und vernünftiger sind. Der junge Neuzugang lernt dann übrigens viel von den älteren Hunden durch seine Eingliederung in die bereits bestehende Rangordnung im Rudel und durch Zusehen und Nachahmen von Verhaltensweisen der anderen Hunde. Einen Teil der Eingewöhnung und Erziehung übernehmen so die Familienhunde und entlasten damit die Menschen.
Die größten Anforderungen an die neue Menschenfamilie heißen "Geduld, Geduld, Geduld und gute Nerven". Da oft nicht bekannt ist, welche Vorerfahrungen Straßenhunde gemacht haben, ist es wichtig, einerseits freundlich und liebevoll zu bleiben, sich andererseits aber auch nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen. Ein Straßenhund bringt keine Bedienungsanleitung mit und sollte auf keinen Fall nach einem 08/15 Hunderatgeber erzogen werden. Der neue Hundehalter wird hier gefordert, sollte flexibel bleiben und vor allem seinen Hund aufmerksam beobachten. Das ist der beste Weg herauszufinden, wie er "tickt".

Wichtige Verhaltensbeobachtungen

Durch Verhaltensbeobachtungen des Hundes in unterschiedlichen Situationen können wichtige Fragen abgeklärt werden:

  • In welchen Situationen reagiert der aufgenommene Straßenhund mit Angst oder Aggression?
  • Ist er gut sozialisiert und wie verträgt er sich mit anderen Hunden? Mit welchen anderen Hundepersönlichkeiten verträgt er sich besser oder schlechter (sucht er Spielsituationen oder möchte er gleich eine Rangordnung herstellen)?
  • Wie kann er positiv bestärkt werden und auf welche Weise ist er "bestechlich"? Manche Hunde mögen lieber Leckerli und andere lieber Streicheleinheiten.
  • Wie kann ich ihn emotional stärker an mich binden? Wobei es sicherlich sehr hilfreich ist, wenn der Hund im Haus schlafen darf bei seiner neuen Familie und nicht allein draußen bleiben muss.
  • Mit welcher Erziehungsmethode komme ich am weitesten? Manche Hunde reagieren auf eine Hundepfeife besser als auf Zuruf und manche lieben Ballspiele und kommen wegen des Balles freudig zurück.
  • Und dann gibt es da noch diese wichtige Frage an den Menschen: Wie kann ich die Ruhe behalten, wenn heute einer von diesen Tagen ist, wo der Hund seine Ohren auf Durchzug schaltet und sich seiner eigenen Tagesgestaltung widmet?

Ich persönlich halte überhaupt nichts davon, einen Straßenhund mit autoritärem Auftreten erziehen zu wollen. Im Gegenteil, umso weniger Vertrauen wird er aufbauen und umso eher versuchen, wieder wegzulaufen. Denn es ist davon auszugehen, dass Straßenhunde bereits Erfahrungen gemacht haben, die mit Angst verbunden waren und solche Situationen weiterhin vermeiden wollen.

Galgo


Mein Fazit: Wer sich auf neue Entdeckungen an sich selbst und einem neuen Hund einlassen will, bereit ist Zeit, Verständnis und Liebe zu investieren, kann gern einen Straßenhund adoptieren und gibt damit nicht nur einem heimatlosen Hund ein neues Zuhause, sondern wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit einen Freund fürs Leben finden.

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