Müssen sich ALG II Empfänger im Kreis Pinneberg in Zukunft fleischlos ernähren?
Noch mehr sparen ist angesagt für die Hartz-IV-Empfänger in Pinneberg. Das Pinneberger Jobcenter hat eine Comic-Broschüre herausgegeben, mit Spartipps für ALG II Empfänger.Tipps zum Sparen vom Pinneberger Arbeitsamt - Comic-Broschüre weist den Weg
Menschen mit geringem Einkommen als auch Hartz-IV-Empfänger sind immer dankbar, wenn sie Tipps zum Sparen erhalten. Das Pinneberger Arbeitsamt hat einen Arbeitslosengeld II Ratgeber zusammengestellt, der jede Menge Spartipps enthält. Aber auch viel Unfug.
"Wir müssen sparen - aber wie?" lautet die Überschrift auf Seite 83 des insgesamt 112 Seiten umfassenden Ratgebers für ALG II Empfänger. In der Einleitung erklärt Martina (nicht mehr arbeitslos) ihrer Freundin Sylvia Fischer, worauf es beim Einkauf ankommt.
Einmal einkaufen pro Woche ist wesentlich besser. So wandert wirklich nur das dringend notwendige Zeug in den Einkaufswagen und nicht - wie bei jedem einzelnen Einkauf pro Tag - eventuell noch zusätzliche Sachen, die eigentlich gar nicht auf dem Einkaufszettel stehen. Da ist durchaus was dran. Aber es ist nichts Neues.
Während Martina mit Sylvia und deren Tochter Lara durch den Supermarkt schlendert, achtet sie genau darauf, was die Freundin in den Wagen legt und gibt ihr sofort gute Ratschläge. So erklärt sie, das Mineralwasser viel zu teuer ist.
Leitungswasser besitzt eine hervorragende Qualität und könnte bedenkenlos getrunken werden. Das es nicht jedermanns Geschmack ist, ist nebensächlich und halt nur eine Sache der Gewöhnung. Aber ist das Trinkwasser aus dem Wasserhahn wirklich preiswerter als Mineralwasser? Und wie gesund ist Leitungswasser?
Zurück zum eigentlichen Thema: Es geht um die Spartipps, die das Jobcenter Pinneberg in der Broschüre auflistet. Der erste Eintrag nach dem Vorwort bezieht sich auf den Rundfunkbeitrag. Wer Hartz IV bezieht, muss keine Rundfunkgebühren entrichten, sofern der Nachweis der Bedürftigkeit erbracht wird. Familien mit geringem Einkommen, die ein oder mehrere Kinder in Kindertageseinrichtungen im Kreis Pinneberg unterbringen möchten, erhalten eine Beitragsermäßigung.
Ist das nicht toll? Da können die armen Leute doch wirklich eine Menge Geld sparen. Kostenlose Kitaplätze wären natürlich noch besser. Um Himmels willen, so etwas gab es nur in der DDR. Heute muss alles Geld kosten, viel Geld. Darum lieber eine Ermäßigung für einkommensschwache Familien anbieten, als Kindergartenplätze für lau. Die ersten Tipps, die das Jobcenter Pinneberg in der Broschüre vorstellt, sind nicht wirklich neu.
Wie geht es weiter? Mit dem Einkauf im Sozialkaufhaus! Wer wenig Geld hat, kann sich keine teuren Möbel kaufen. So ist es doch besser, wenn die "Hartzer" einfach alles gebraucht erwerben. Kleidung - von der Socke, über den Slip bis hin zur Mütze - oder Bettwäsche, in denen schon andere Leute geschlafen haben, und Möbel gibt es günstig im Pinneberger Sozialkaufhaus. Das ist gut, so kann gespart werden. Egal, wie alt die Sachen sind. Schließlich sollten alle Menschen, die schon großzügige Sozialleistungen in Form von Arbeitslosengeld II erhalten, nicht auch noch Ansprüche stellen. Wir leben hier in Deutschland, nicht im Schlaraffenland. Gebrauchte Ware tut es auch.
Dagegen spricht absolut nichts, sofern die Gebrauchsgegenstände, Möbel und Kleidungsstücke in einem ordentlichen Zustand sind. Die armen Luder dürfen alles preiswert im Sozialkaufhaus erwerben, es gibt aber nichts kostenlos. Gespart werden kann ebenfalls beim Möbeltransport. Diesbezüglich wird für die Lieferung der Möbel nur eine geringe Gebühr verlangt. Ist das nicht genial?
Warum erregt die Pinneberger Jobcenter Broschüre die Gemüter?
Die Spartipps in der Jobcenter-Broschüre sind weder ungewöhnlich, noch außergewöhnlich und auf keinen Fall der Aufregung wert. Warum erregt sie dennoch die Gemüter und sorgt für hitzige Debatten? Die Tipps und Ratschläge auf besagter Seite sind nicht der Stein des Anstoßes. Es sind eher die "versteckten" Hinweise, welche im Vorwort des einen oder anderen Kapitels erwähnt werden, in dem Familie Fischer zu Wort kommt. Eine vorbildliche deutsche Familie, wie Vater Staat sie sich nur wünschen kann. Einsichtig und lernwillig, zu allem bereit, wenn es darum geht, Verzicht zu üben.
Wenn das Arbeitslosengeld ausläuft und ALG II beantragt werden muss, gibt es kein Fleisch mehr
Knut Fischer, 51 Jahre alt, hat trotz zahlreicher Bewerbungen keinen neuen Job bekommen. Sein Arbeitslosengeld läuft aus, weshalb die vierköpfige Familie ALG II beantragen muss. Seine 45-jährige Ehefrau Sylvia hat nur einen Minijob. Die zwei Kinder wollen auch ernährt werden. Weil das Geld nun noch knapper wird, muss an allen Ecken und Kanten gespart werden.
Da Familie Fischer gerade beim Essen ist, beschließt der Familienrat spontan, eine Woche lang auf Fleisch zu verzichten. Töchterchen Laura - gerade mal 11 Jahre alt - stimmt begeistert zu und erklärt, dass sie ohnehin Vegetarier werden möchte. Weiß sie eigentlich, was das ist? Der Begriff wird im Pinneberger ALG-II-Ratgeber nämlich nicht erklärt, den Vater Knut ausführlich studiert.
Ja, wer eine Woche lang auf Fleisch verzichtet oder sich gänzlich vegetarisch ernährt, kein Wasser in Flaschen mehr kauft, sondern lediglich Leitungswasser trinkt, spart jede Menge Geld. Dass dem im Endeffekt gar nicht so ist, ist egal. Die kritisch beäugte Jobcenter-Broschüre zeigt auf jeden Fall, wie die "Obrigkeit" ihre armen Schäfchen gerne hätte. Arschkriecher und "Ja-Sager" sind erwünscht.
Meine Meinung zum Jobcenter-Leitfaden Pinneberg
Schade, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin, die Pinneberger ALG II Broschüre zu verfassen. Dann müsste ich keine Texte mehr im Kundenauftrag schreiben, sondern könnte kräftig Kohle machen. Schließlich ist diese Broschüre schon so etwas wie ein Bestseller. Aber ich bin nicht darauf gekommen...
Nur gut, dass auch Menschen zweiter Klasse nicht jeden Ratschlag befolgen und jeden Tipp annehmen müssen. Noch nicht! Vielleicht bekommen in naher Zukunft alle Hartz-Vier-Empfänger ein Schriftstück vorgelegt, in dem sie erklären, dass sie ihre teuren Möbel verkaufen und vom Erlös stattdessen gebrauchte Möbel im Sozialkaufhaus erstehen, nur noch Wasser trinken und auf Fleisch und Wurst verzichten. In der BRD ist nichts unmöglich.
Während Herr Schäuble in Griechenland weilt, um sich dort um die Mittelschicht zu kümmern, verkümmern in Deutschland die ganz Armen (denn die Mittelschicht ist längst schon weg) weil sie mit unmenschlichen Sparmaßnahmen gequält werden. Wenn die Pinneberger Jobcenter Broschüre "Schule" macht, kann ich nur sagen: "Deutschland, gute Nacht!".
Bildquelle:
Kerstin Schuster
(Hartz IV Empfänger - die menschlichen Versuchskaninchen)