Musen – Schutzgöttinen der Dichter und Denker
Warum wir uns auf der Suche nach Kreativität und Inspiration noch immer gern von ihnen küssen lassen.Muse (Bild: Clker)
"Sage mir, Muse...
...die Taten des vielgewanderten Mannes / Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung". Wie viele andere Autoren antiker Literatur lässt Homer seine "Odyssee" mit einem Musenanruf beginnen. Zwar mag es uns heute, gut 2800 Jahre nach Entstehung dieses griechi-schen Epos zunächst etwas befremden, dass sich Dichter in früheren Zeiten ihre Schaffenskraft als Gabe äußerer göttlicher Kräfte erbeten mussten oder wollten. Doch bei genauerem Hinsehen ist die Vorstellung, Kreativität nicht nur aus der eigenen Begabung, sondern auch aus perso-nalisierten Inspirationsquellen zu schöpfen, immer noch in unserem Denken und Sprechen present. Nach wie vor werden Menschen, die andere zu kreativem Schaffen veranlassen als "Musen" bezeichnet. Wird ein Musensohn (künstlerisch begabter Mensch) dann "von der Muse geküsst" kann er Werke schaffen, die später von "Musenfreunden" (kunstinteressierten oder kunstschaffenden Menschen) in "Musentempeln" (Theatern) oder Museen betrachtet werden. Gleichen Ursprungs ist das heute nur noch auf Tonkunst bezogene Wort "Musik", das in der Antike noch Kunst und Dichtung im Allgemeinen bezeichnete.
Das Leben der Musen: Von Lou Andreas-Salomé bis... | Musen auf vier Pfoten: Schriftsteller und ihre ... | Musen auf vier Pfoten: Katzen und ihre Schrifts... |
Die Musen in der griechischen Mythologie
In der griechischen Mythologie galten die Musen als Töchter des Göttervaters Zeus und der Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung. Als Schutzgöttinnen der schönen Künste, später aber auch aller geistig-wissenschaftlichen Tätigkeiten, werden sie als besonders sanftmütig und liebreizend beschrieben. Ihr Wohnsitz waren die Berge Pindos, Parnass und Helikon. Traditionell um Beistand angerufen wurden die "Erinnernden" (so die deutsche Übersetzung ihres Namens) von den Dichtern der Antike wohl auch deshalb, weil die in früheren Zeiten umherziehenden Dichtersänger (Rhapsoden) ihre Werke nicht niederschrieben, sondern aus dem Gedächtnis vortrugen.
Verbunden wurden die für ihren unnachahmlich schönen Gesang berühmten Musen mit Apollon, dem Gott der Musik und der Weissagung. Dieser trug daher auch den Beinamen "Musage-tes" (Musenführer). Immer dann, wenn die Schutzpatroninnen der Künste von den Göttern zum Sangesvortrag auf den Olymp geladen wurden, begleitete Apoll sie auf seiner Leier.
Nicht immer waren es neun
Nach heute gängiger Auffassung gab es insgesamt neun Musen, von denen jeder einzelnen sowohl eine bestimmte Kunst als auch ihrem Zuständigkeitsbereich entsprechende Attribute zugeordnet waren. Zurückgeführt werden kann diese Neunzahl auf den griechischen Dichter Hesiod (um 700 v. Chr.), der den Musen in seiner "Theogonie", einem langen Gedicht über den Ursprung der Götter, auch ihre Namen gab:
Kalliope (die mit der schönen Stimme)
Sie war zuständig für epische Dichtung und wurde mit Schriftrolle, Schreibstift und Tafel dargestellt. Sie gilt als Anführerin der Musen.
Thalia (die Fröhliche/Blühende)
Als Schutzpatronin des Lustspiels und der Schäferdichtung trägt sie einerseits Theatermaske und Schuhe der antiken Komödiendarsteller, andererseits Trommel und Hirtenstab.
Urania (die Himmlische)
Darstellungen zeigen sie mit einer auf einen Globus zeigenden Geste. Die Muse der Astronomie konnte durch Betrachtung der Sterne die Zukunft voraussagen.
Euterpe (die Freudenspendende)
Passend zu ihren Zuständigkeitsbereichen lyrische Dichtung und Flötenmusik hält sie eine Doppelflöte in ihren Händen, deren Erfinderin sie auch ist.
Klio (Die Rühmende)
Ihr Thema ist die Geschichtsschreibung. Abbildungen von ihr beim Entfalten einer Schriftrolle illustrieren dies.
Erato (die Leidenschaftliche)
Die Muse der Liebesdichtung widmet sich dem Spiel auf der Kithara (Leier)
Terpsichore (die Tanzfohe)
Die Übersetzung ihres Namens verrät es bereits. Gemäß ihrer Funktion wird sie tanzend dargestellt. Manchmal spielt sie dabei auch die Leier
Polyhymnia (die Liederreiche)
Markenzeichen der Muse für Hymnendichtung sind ein Rosengewinde und ein feierlich-todernster Gesichtsausdruck
Melpomene (die Singende)
Dass sie die Muse der tragischen Dichtung ist, lässt sich gleich an vier Attributen erkennen: Theatermaske und Schuhen der Tragö-diendarsteller, einem Dolch und einem Kranz aus Weinlaub. Letzterer stellt einen Bezug zum Gott Dionysos her, zu dessen Ehren im antiken Griechenland Festspiele mit Tragö-dienaufführungen abgehalten wurden.
Vor Hesiod hatte man in Delphi nur drei Musen unterschieden und diese nach den drei Seiten der Leier benannt: Nete (Unten), Mese (Mitte) und Hypate (oben).Auch bei Pausanias ist lediglich von einer Dreigruppe die Rede, allerdings mit den Namen Melete (Übung), Mneme (Gedächtnis) und Aoëde (Lied).
Eitelkeit und ihre Folgen
Wie jeder große Künstler, der etwas auf sich hält, waren auch die Musen nicht frei von Eitelkeit. Dies zeigte sich immer dann, wenn andere sich anmaßten, es ihnen an Schaffens- und Sanges-kunst gleichtun zu wollen. So forderten die neun Töchter des mazedonischen König Pieros, die von ihren Vater nach den Musen benannt worden waren, ihre göttlichen Namensvorbilder zu einem Gesangswettbewerb heraus. Selbstverständlich siegten die Musen und verwandelten die Töchter aus Strafe für ihren Hochmut in krächzende Elstern (Dohlen). Ähnliches widerfuhr den Sirenen, jenen Frauen mit Vogelkörpern, die mit ihren lieblichen Stimmen Seeleute ins Verderben zu locken pflegten. Ihnen wurden kurzerhand die Federn ausgerupft, aus denen sich die Siegerinnen Kronen anfertigten. Dritter Herausforderer war der Dichter Tamyris, der sich allerdings nicht im Singen, sondern im Verfassen von Gedichten messen wollte. Auch er verlor, nicht nur den ungleichen Wettstreit, sondern auch Augenlicht und Gedächtnis.
Mythologische Konkurrenz
Ernstzunehmende Konkurrenz in Sachen Sinnbildlichkeit für dichterische Kreativität und denkerische Höhenflüge erwächst den Musen nach heutiger Auffassung aus den eigenen Reihen, in Gestalt des geflügelten Wunderpferdes Pegasus.
Die Germanen wiederum ließen sich ihrer Mythologie zufolge nicht von Musen küssen oder Dich-terpferden tragen, sondern genehmigten sich zum Zwecke schöpferischer Inspiration lieber einen kräftigen Schluck Dichtermet (Skaldenmet)
Bildquelle:
jimmywayne / Flickr
(Die Legende der Bell-Hexe im Wilden Westen)