Erinnerst du dich noch? In meinen Ohren klangst du etwas unwillig, als ich nach dem Sonntagsabendfilm anrief. Hatte ich dich gestört? Die Wehen hatten eingesetzt, aber du hieltest unseren Alarmruf für zu früh. War ich einer jener Väter, die so hervorragend für Karikaturen taugen? Ich hatte keine Zeit, mir Gedanken darum zu machen – ich musste Vorbereitungen treffen. Vorbereitungen, die notwendig waren, wenn eine Hausgeburt anstand.

Hebammen und die Hausgeburt

Mitte der neunziger Jahre kamen Kinder in Krankenhäusern zur Welt. Hausgeburten waren verpönt und galten als Missetat am Neugeborenen. Was da alles geschehen kann!, lautete das eine, warum die Segnungen der Medizintechnik ignorieren?, das andere Argument. Meine Schwiegermutter bezog unseren Entschluss für eine Hausgeburt auf sich persönlich und fragte ihre Tochter, wie sie ihr(!) so etwas antun könne? Das ungefähr war die Stimmung fünf Jahre nach Mauerfall: In Sachen Hausgeburt ragten die Wände weit nach oben. 

Aber du, liebe B., hast uns durch die Empörung geleitet. Du hast uns an uns glauben lassen und immer das Gute gesehen an unserer Absicht, Paula in unseren vier Wänden zur Welt zu geleiten, in die Welt zu heben.

Vorbereitungen für die Hausgeburt

Wir wohnten in einer kleinen 3-Zimmerwohnung. Wir, das waren Moritz, damals dreieinhalb, meine Frau Susanne und ich. Für eine Hausgeburt, so hattest du es uns in einer dieser warmherzigen, von Fröhlichkeit getragenen Begegnungen in deiner Praxis aufgetragen, braucht es Wasser (was auch sonst?). Wir sollten daran denken, die Teppiche abzudecken, denn es könnte blutig werden. Du würdest jemanden brauchen, der dir zur Hand geht, und ich sollte für Susanne da sein. 

Und was war mit Moritz?

Du machtest uns auf deine sanfte und zugleich feste Weise klar, dass das unsere Entscheidung sei. Moritz bei der Geburt? Wir würden einen Baybsitter für ihn brauchen. Wir fanden ihn in einer lieben Freundin. Und eine zweite Freundin würde für dich bereitstehen, liebe B.

Hausgeburt II

War schon die Hausgeburt an sich ungewöhnlich, die Sache mit Moritz setzte dem noch eins drauf: Von dem Moment an galten wir in unseren Kreisen als etwas eigensinnig. Gerade so als ob wir dafür plädiert hätten, Dinosaurierskelette auf geweihtem Grund beizusetzen. Vielleicht hat genau das uns bestärkt. Wir waren zuversichtlich, und wir waren naiv. Aber wir hatten dich.

Wir hatten uns dir anvertraut. Von der ersten Begegnung an. Es hatte etwas von, nein, nicht Liebe, sondern Wissen auf den ersten Blick: Mit dir würde alles gut gehen. Du erschienst mir wie ein fraugewordener Kern aus Stärke und Verständnis, aus Wärme und Weichheit, aus Ruhe und Aktion. 

Du kamst ins Zimmer, und alle Sorge fiel von uns. Als ob ein Engel den Raum betrat. Der Teppich hatte seinen Überzug aus Mülltüten, die Mülltüten hatten ihren Überzug aus dicken, dicken Decken. Kissen in Griffnähe, ein Bett, ein Sofa. Und Karen, die Hilfreiche, und Sabine für Moritz. Paula konnte kommen.

Es war Nacht. Sanftes Licht der Weihnachtslichterketten schmolz im Raum zu Inselchen aus hingetupfter Wärme. Die Gefühle wurden weich – Paula meldete sich. Aber es meldete sich auch Moritz, der von Sabine getragen wurde: Moritz wollte zu Mama, Moritz wollte zu mir. Es war Nacht und Moritz war laut. Ich ließ Sabine und Moritz ins Zimmer. Von da an war Moritz dabei und schaute zu. Es war ja alles in Ordnung, nur Mama bekam ein Kind. Kein Grund sich aufzuregen, aber allemal Grund, sich die Sache genau anzuschauen. Und so legte Moritz sich bäuchlings aufs Sofa und schaute genau hin, wie Paula aus Susanne kam. Ein berührender Moment voller Liebe.

Dank an meine Hebamme

Liebe B.! Du hast Paula zur Welt begleitet. Du hast uns bestärkt, das zu tun, was wir wollten. Du warst gelassen genug, ein Kleinkind während der Geburt zu ertragen. Und du hast mir für den Rest meines Lebens Erinnerungen geschenkt.

So vieles verblasst neben diesen Stunden im Januar. Ich hoffe, es geht dir gut, dort, wo du heute bist. Der Teppich trägt trotz aller Sorgfalt, mit der ich ihn abzudecken versuchte, eine kleine blutige Signatur. Es ist ein handgeknüpfter Perserteppich, den Paulas Großeltern, meine Eltern, zu ihrer Hochzeit geschenkt bekamen. Paula wird bald 20, und bald wird Paula ihre erste Wohnung beziehen. Den Teppich nimmt sie auf jeden Fall mit. 

jofl, am 29.05.2013
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Bildquelle:
EmbryoScope am Kinderwunschzentrum Ulm (Schwanger werden! Interview mit dem Leiter des Kinderwunschzentrums...)

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