Anstatt einer Einleitung

Der Hintergrund für die Antisemitismus-Vorwürfe und die harsche Reaktion der jüdischen Gemeinden, jüngst in Form eines Boykottaufrufs für das "The Wall" Konzert von Pink Floyd in Düsseldorf, hat offenbar mit Waters' geäußerten Ansichten zur Politik Israels zu tun.

Was hat es aber mit Antisemitismus zu tun, wenn man die Siedlungspolitik Israels und seine Terrorangriffe auf die Palästinenser missbilligt? Genauso, wie man auch die hasserfüllten "Antworten" der radikalen Vertreter auf der Gegenseite in diesem Nahostkonflikt missbilligt. Ist es Zufall, dass die jüdischen Vorwürfe gegen Pink Floyd nur wenige Wochen vor dem Beginn der erneuten Friedensverhandlungen im weiter schwelenden Pulverfass Israel / Palästina aufflammten? Diese Frage kann ich nicht beantworten.

Eins aber weiß ich sehr wohl: Was Antisemitismus ist und was nicht. Wozu er führen kann, hat die deutsche Geschichte auf grausamste Weise gezeigt. Nicht nur Antisemitismus, sondern auch Anti-Romatismus, Anti-Invalidismus, Anti-Minderheitismus, Anti-Homoismus, Monokultismus und ähnlich beschränkte, intolerante Sichtweisen. "The Wall" von Pink Floyd mit Frontmann Roger Waters mag zwar bis heute aufwühlen, provozieren oder gar verstören. Es gibt Punkte, da würde ich persönlich sagen: Das geht zu weit. Vor allem die Aspekte, die als Gewaltverherrlichung gedeutet werden können. Auch über die unsensibel verwendeten Symbole könnte man sich streiten.

Als antisemitisch betrachte ich dieses Werk aber ebenso wenig wie all die Filme, die sich im Laufe der Zeit kritisch mit Hitler und dem Nationalsozialismus auseinander setzten, Dokumentarfilme zu diesem Thema oder auch gelungene Parodien des Diktators. Wer beim Zuschauen das Hirn einschaltet, der dürfte in der Lage sein zu erkennen, wie bestimmte Szenen gemeint sind. Jedoch ist niemand gezwungen, sich das anzuhören und anzuschauen. Und niemand wird dafür bestraft, wenn er auf diese Show verzichtet.

Das aktuelle, von den jüdischen Vertretern kritisierte Konzertprogramm von Pink Floyd mit Roger Waters

"The Wall" von Pink Floyd - worum geht's überhaupt?

Das Album und der Film "The Wall", das in seiner ursprünglichen Fassung 1979 das Licht der Welt erblickte und seitdem mehrmals wieder aufgelegt wurde, stellt die Geschichte eines Jungen, der hier "Pink" genannt wird, dar, der eine gelinde gesagt sehr schwierige Kindheit verlebt und welche psychische Strategie er entwickelt, um mit diesen Erlebnissen umzugehen. Der Protagonist dieses künstlerischen Werks leidet in seiner Kindheit einerseits unter dem narzisstisch zu nennenden Verhältnis zu seiner Mutter, das zwischen Überbehütung und Liebesentzug, wenn die Mutter nicht ihren egoistischen Willen durchsetzen kann, hin- und herschwankt, und der Distanz zum Vater, der in dieser fiktiven Geschichte im Krieg fiel. Aufgrund dieser mit seiner Mutter erlebten Erfahrungen hat er auch später Probleme mit seinen Beziehungen zu Frauen.

Einen weiteren traumatischen Effekt haben seine Erfahrungen in der Schule, wo Individualität, eigenes Denken und Kreativität nicht gefragt sind, stattdessen Gleichmacherei betrieben wird. In der Folge baut er um sich herum eine mentale "Mauer" auf, isoliert sich immer mehr und meidet echte soziale Bindungen. Dadurch verarmt er emotional immer mehr, bis fast keine Gefühle übrig bleiben. Der klägliche Rest emotionaler Regungen wird gnadenlos unterdrückt, weil er nie gelernt hat, damit umzugehen. Nun nimmt sein Schicksal endgültig seinen Lauf: Nach einer Phase der Apathie wird er wahnsinnig und seine ganze Wut auf das erlebte Unrecht und die erfahrene Lieblosigkeit bricht hervor. Zielscheiben für diese blinde Wut in Form von unschuldigen "Sündenböcken" sind natürlich schnell gefunden.

Der Aspekt mit der Schule wird in dem bekannten Song "Another Brick In The Wall" – zugegeben auf eine recht dramatische Weise, wie es zum Stil der Musikband Pink Floyd zu gehören scheint, dafür umso eindringlicher – thematisiert. Am Ende des Musikvideos rebellieren die Schüler und die Lehranstalt geht in Flammen auf. Nebenbei regt der Song somit auch zum Nachdenken über bestimmte Pädagogikkonzepte an sowie darüber, welchen Schaden man bei einem Kind durch eine destruktive Kommunikation ohne Wertschätzung seiner individuellen Eigenarten oder gar mit Mobbing anrichten kann. Die Musik von Pink Floyd lässt sich somit von intelligenten Menschen durchaus vielschichtig interpretieren und lädt zum konstruktiven Weiterdenken und Finden positiver Alternativen zu den hier kritisierten Methoden ein.

"Another Brick In The Wall" - das Video

Die Geschichte der Figur "Pink" weist einige frappante Parallelen zur Biografie von Adolf Hitler und den Biografien anderer Diktatoren auf. Bei Hitler kamen noch die Gewalterfahrungen mit dem Vater hinzu, und seine Erfahrungen als Soldat im ersten Weltkrieg blieben offenkundig auch nicht ohne Folgen. Vielen bekannten Diktatoren der Historie ist offenbar gemeinsam, dass die Wurzeln des ausgewachsenen Übels in ihrer Kindheit zu finden sind. Ein narzisstisches Verhältnis zu den Eltern scheint oft eine Rolle zu spielen, dazu Erlebnisse von Gewalt und mangelnder echter emotionaler Rückhalt. Es mutet einleuchtend an: Wie sollte ein Mensch so etwas wie Empathie und Liebe im sozialen Miteinander lernen, wenn ihm in seiner Kindheit nichts davon vermittelt wurde, sondern er stattdessen nur den Wechsel zwischen (eigennützigem) Zuckerbrot und Peitsche erlebte, das er weder richtig einordnen noch psychisch verarbeiten konnte? Und auch die damals gängige Prügelstrafe in Schulen und zu Hause dürfte ihren Beitrag zu manch trauriger Biografie beigetragen haben.

Wehret den Anfängen... Das bedeutet hier zunächst einmal, sich Gedanken darüber zu machen, was den Erwachsenen von morgen vermittelt wird, ein Verständnis dafür zu erlangen, was sie eventuell durchmachen und ihnen zu helfen, den konstruktiven Umgang mit Ihren Erfahrungen und vor allem Gefühlen zu lernen. Dies gilt für alle Kinder, ganz besonders aber für solche, die traumatische Erlebnisse zu verarbeiten haben wie ganz aktuell die Kinder aus dem Krieg in Syrien.

Roger Waters wurde von jüdischen Gemeinden als Antisemit bezeichnet - Wie kam es dazu? Und wie antwortete er darauf?

Ende Juli dieses Jahres fühlte sich ein jüdischer Besucher des belgischen "The Wall" Auftritts von Pink Floyd durch die von der Decke hängende Schweinfigur verletzt, auf der (neben dem christlichen Kreuz und dem kommunistischen Hammer und Sichel Symbol) unter anderem auch der Davidstern, das Symbol des jüdischen Glaubens, zu sehen ist und das am Ende der Inszenierung durch das Publikum zerstört wurde. Dieser Umstand wurde von dem Rabbi Abraham Cooper vom Wiesenthal Zentrum aufgegriffen, der den Hauptdarsteller Roger Waters daraufhin des Antisemitismus bezichtigte.

In einem Offenen Brief stellte dieser anschließend das Missverständnis richtig. Er beruft sich dabei auch auf die Einschätzung der US-amerikanischen "Anti-Diffamierungs-Liga", die sich gegen die Diffamierung von Juden und ihrem Glauben einsetzt, dass die Show nicht antisemitisch zu werten sei. Roger Waters betont darin auch, dass er zahlreiche jüdische Freunde habe, darunter den Neffen des Gründers der oben genannten Wiesenthal-Organisation und eine jüdische Schwiegertochter. Außerdem erwähnt er den Tod seines Vaters, der als Soldat am 18. Februar 1944 im Kampf gegen die Nazis starb, und das Engagement seiner Mutter, die sich ihr ganzes Leben lang dafür einsetzte, dass alle Menschen, egal welcher Nationalität, Religion oder Kultur sie angehören, friedlich miteinander leben und sich, ohne diskriminiert zu werden, entfalten können.

Er schließt mit den Worten: "Die von Ihnen kritisierte Show "The Wall" ist vieles. Sie ist nachdenklich, lebensbejahend, ökomenisch, menschlich, liebevoll, gegen Krieg, gegen Kolonialisierung, für einen universellen Zugang zu Recht und Gerechtigkeit, für Freiheit, für Zusammenarbeit, für den Dialog, für den Frieden, antiautoritär, antifaschistisch, gegen Apartheid, antidogmatisch, von internationalem Geist, musikalisch und satirisch."

Das PS, wo das Pink Floyd Mitglied Roger Waters noch einmal auf das Schwein eingeht, ist teils vielleicht ein wenig unglücklich formuliert. Aber wer sich die Szene anguckt, der versteht, wie es gemeint ist: Sie verdeutlicht nämlich, was niemals wieder passieren darf. Jeder, der im Geschichtsunterricht gut aufgepasst hat, wird das erkennen. Und es will damit auch sagen, dass jede Form von Sündenbockmentalität gefährlich ist. Das Schwein hätte dazu noch Hunderte weiterer Symbole beinhalten können - es hätte nichts an der moralischen Aussage geändert. Das Schwein sind alle, die Intoleranz und Gewalt gegen andere (zum Beispiel die symbolhaft dargestellten Gruppen, wobei es viele weitere Beispiele in der Welt gibt) ausüben.

Wie viele Mauern darf die Kunst durchbrechen?

Es gibt einige diskutable Punkte in der Darstellungsweise von "The Wall", in dem passend zum Thema eine düstere Atmosphäre vorherrscht und auch sehr dramatische Elemente eine Rolle spielen. Die darin angedeutete Gewalt hinterlässt beim Zuschauer einen besonders beklemmenden Nachgeschmack. Man erhält eine bestechend gute Vorstellung davon, wie es sich angefühlt haben muss, inmitten solcher Verhältnisse in einer grausamen Diktatur zu leben.

Die Art der Inszenierung verfehlt natürlich ihre emotionale Wirkung nicht, es werden Assoziationen mit schlimmen Zeiten geweckt, und dies auf sehr direkte Weise. Das Publikum wird knallhart mit diesem schwierigen Thema konfrontiert, wodurch es sich wie ein Mahnmal in sein Gedächtnis einbrennt und er nur denken kann: Nie wieder!

Allerdings sehe ich auch ein paar Stellen, wo Roger Waters meiner Ansicht nach übers Ziel hinaus schießt. Diese Grenze wird aus meiner Sicht dort überschritten, wo eine Waffe ins Spiel kommt. Selbst, wenn es sich dabei um eine Fake-Waffe handeln sollte, finde ich, dass Waffen auf einer Konzertbühne nichts zu suchen haben. Hier besteht die Gefahr, dass ein falsches Signal gesetzt wird. Sicher gibt es noch weitere Beispiele, wo die Darstellungen etwas zu "krass" sind. Auch spielt Pink Floyd sicher manchmal etwas unsensibel mit den Gefühlen verschiedener Gruppen.

Ja, Pink Floyds Werk ist provokativ. Es zwingt praktisch dazu, das Dargestellte kritisch zu reflektieren – man hat keine andere Wahl, als sich vernünftig damit auseinander zu setzen, eben weil das Thema sonst zu schwer im Magen liegt. Über die gewählte Darstellungsform kann man ewig diskutieren – unbestreitbar ist jedoch, dass es so umso eindringlicher wirkt. Was der Einzelne daraus macht, liegt in seiner eigenen Verantwortung. Es bleibt nur – für die, die eines der "The Wall" Konzerte besuchen – zu hoffen, dass alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden.

Andere Beispiele für Hitler-Darstellungen in Filmen und Parodien

Im Laufe der Filmgeschichte hat es viele Filme gegeben, die sich mit Hitler im Speziellen und Diktatoren im Allgemeinen beschäftigten. Einer der besten Darstellungen zum Thema kam noch während dieser dunkelsten Epoche in der deutschen Geschichte in die Kinos - wenn auch nicht in die Lichtspielhäuser am Ort des Geschehens, sondern in den USA. Charlie Chaplin, der sonst als der große Meister des Slapsticks galt, gelang es in "Der große Diktator" ebenso meisterhaft, die Figur des Hitler - eine Figur, bei der einem eigentlich das Lachen im Halse stecken bleibt - mit viel psychologischem Gespür und Feinsinn darzustellen. Ihm gelang es zudem, trotz des dramatischen Verlaufs des Inhalts, ohne etwas zu beschönigen eine Art "Happy End" hinzubekommen, indem er den Diktator zum Schluss eine wichtige Einsicht gewinnen und seine Taten bereuen lässt. Auch wenn in der Realität solcher Geschichten die Wandlung vom Saulus zum Paulus wohl eher unrealistisch wäre, kommt die Moral aus der Geschichte so umso berührender zur Geltung. Die Schlussrede des Films binde ich als "Fazit" in meinen Artikel ein.

Erwähnenswert finde ich auch das etwas jüngere Historienepos "Der Untergang" mit Bruno Ganz in der gekonnt umgesetzten Hauptrolle als Adolf Hitler. Darin werden die letzten Kriegstage gezeigt. "Hitler - Aufstieg des Bösen", ein Film, der nicht lange vor dem deutschen Mehrteiler auf den Markt kam, stellt einen längeren Zeitraum und die amerikanische Sicht der Dinge dar. In diesem liegt der Schwerpunkt weniger auf historischen Details, sondern vielmehr auf die Umstände, soziale und psychologische Aspekte.

Humorvoll umgesetzt und dennoch im Kern treffend wurde der Diktator in "Mein Führer", einer Komödie, wo Helge Schneider den Hitler spielt. Darin bekommt Hitler plötzlich Selbstzweifel und zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Um den Krieg doch noch zu "gewinnen" (in Anführungsstrichen, da es meiner Ansicht nach im Krieg keine Gewinner gibt), lässt er sich schließlich die groteskesten Tricks einfallen und beansprucht die Hilfe eines Juden, den er zu diesem Zweck zuerst aus dem KZ holen muss.

Auch die witzige Hitler-Darstellung von Christoph Maria Herbst in der Krimikomödien-Serie "Der Wixxer" und der Fortsetzung "Neues vom Wixxer", die im Fernsehen ausgestrahlt wurde, empfinde ich als gelungen. Hier wird der Spieß teilweise umgedreht: Alfons Hatler, wie die Hitler-Adaption dort heißt, spielt darin einen Butler und mutiert in der Fortsetzung zum Leiter einer Psychiatrie. In diesem Fall ist er ein Helfer der beiden Ermittler, des von dem Komiker Bastian Pastewka gespielten Very Long und seines Kollegen Oliver Kalkofe alias Even Longer. Einfach urkomisch!

Bildquelle: Pixabay

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