Precious - berührendes Drama ohne Voyeurismus
Kein Feel-good-Movie und trotzdem optimistisch: Lee Daniels' Sozialdrama "Precious" mit Gabourey Sidibe und Mo’Nique (Oscar!) ist ein ungeschönter Blick hinter Fassaden.Precious – Das Leben ist zu kostbar für Resignation
Claireece ‚Precious' Jones (Gabourey Sidibe) wurde vom Schicksal beileibe nicht verwöhnt. Die 16-jährige wurde wiederholt von ihrem eigenen Vater vergewaltigt, der sie mit dem HI-Virus infizierte, ist Mutter eines am Down-Syndrom leidenden Kindes und erneut schwanger. Familiäre Unterstützung erhält sie keine, ganz im Gegenteil: Ihre Mutter (Mo'Nique) beleidigt, erniedrigt und schlägt sie tagtäglich. Den würdelosen Umgang mit ihr übersteht Precious stoisch, indem sie sich in Tagträume von einem Leben als Star oder als Weiße an der Seite ihres heimlich verehrten Englischlehrers flüchtet.
Einen Wendepunkt in ihrer trostlosen Existenz stellt die Aufnahme in das alternative Schulprojekt "Each One Teach One" dar, wo sich die idealistische Lehrerin Miss Rain (Paula Patton) rührend um den misshandelten Teenager annimmt. Gemeinsam mit der gleichfalls engagierten Sozialarbeiterin Mrs. Weiss (Mariah Carey) geleitet sie Precious Schritt um Schritt des Weges in ein selbstbestimmtes, würdevolles Leben. Sehr zum Missfallen von Precious' Mutter …
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Black Cinema ohne Tabu- und Rassengrenzen
Zum ersten Mal aufhorchen ließ Regisseur Lee Daniels im Jahre 2001 als Produzent des Dramas "Monster's Ball". Acht Jahre später inszenierte er mit "Precious: Based On The Novel ‚Push' By Sapphire" ein weitaus realistischeres Sozialdrama. Der offen homosexuell lebende Daniels weiß aus eigener Erfahrung, was "Anderssein" jenseits märchenhafter Filmwelten bedeutet. Diese Erfahrung bringt er sichtlich in die Leinwandadaption des Kultromans ‚Push', dessen Bedeutung für viele Afroamerikaner jener des Salinger-Klassikers ‚The Catcher In The Rye' entspricht, ein.
Mit der zuvor in einem Harlemer Callcenter arbeitenden Gabourey Sidibe besetzte er die Hauptrolle mit einer geradezu atemberaubend lebensnahen Schauspielerin. Die zum ersten Mal überhaupt vor einer Kamera stehende Sidibe gewinnt die Sympathien des Publikums nicht durch Attraktivität oder auf Grund der verheerenden Biographie ihrer Figur, sondern dank ihrer ungeschönten Ausstrahlung.
"Precious" ist Black Cinema ohne jegliche Tabu- und Rassengrenzen. Wiewohl fast sämtliche Darsteller Afroamerikaner sind und sich die Ereignisse in einem Ghetto abspielen, findet der Zuschauer sofort Zugang zu den Figuren. Ein Verdienst der erstaunlich leichten Inszenierung, die sich dankenswerterweise nicht plumper voyeuristischer Effekte bedient.
Mitten im sozialen Brennpunkt
Einer der wesentlichen Kritikpunkte an "Precious" stellte die Fülle an Schicksalsschlägen dar: So wird die Protagonistin vom eigenen Vater vergewaltigt und mit dem HI-Virus infiziert, bringt in jungen Jahren ein behindertes Kind zur Welt, wird von ihrer Mutter bei jeder sich bietenden Gelegenheit misshandelt und sollte eigentlich einem völlig perspektivelosem Leben in bitterster Armut entgegenblicken.
Doch Daniels manipuliert sein Publikum nicht, indem er auf die Tränendrüse drückt oder an das schlechte Gewissen angesichts des bebilderten Elends appelliert. Stattdessen gelingt ihm ein ungemein optimistischer Film, indem er Precious nicht zum willenlosen Spielball des Schicksals erklärt, sondern ihr eingedenk all der ihr zugefügten Verletzungen und Demütigungen Würde zugesteht.
Auch wenn manche Szenen hart an der Grenze zum Kitsch vorbeischrammen und die herzensgute Lehrerin Miss Rain mitunter eher einem Engel, als einem realen Menschen gleicht, verliert das im sozialen Brennpunkt der US-Ghettos spielende Drama niemals seine Botschaft aus dem Fokus, die da lautet: "Gib niemals auf!"
Oscar für Mo'Nique, Lob für Mariah Carey
Neben Hauptdarstellerin Gabourey Sidibe stechen vor allem zwei Schauspielerinnen heraus. Zum einen die entfesselte Mo'Nique, bislang hauptsächlich durch Rollen in grottenschlechten Komödien wie "Soul Plane" oder "Phat Girlz" zu zweifelhaftem Ruhm gelangt. Sie verkörpert Precious' Mutter mit beängstigender Intensität und schafft es, der eigentlich hassenswerten Figur emotionale Tiefe zu verleihen. 2010 erhielt sie für ihre grandiose Darstellkunst völlig verdient den "Oscar" als Beste Nebendarstellerin.
Eine kaum für möglich gehaltene Überraschung liefert Musikstar Mariah Carey ab. Dezent geschminkt und ohne jeglichen Glamour verkörpert sie eine engagierte Sozialarbeiterin und empfiehlt sich durchaus für weitere Filmrollen. Eine Leistung, die ihr nach Flops wie "Glitter" wohl kaum jemand zugetraut hätte.
Hoffnung im Zentrum des Elends
Fazit: Mit "Precious" gelang Lee Daniels ein ganz großer Wurf. Filmfreunde sollten sich vom vermeintlich deprimierenden Plot nicht abschrecken lassen. Denn trotz der düsteren Thematik und des Blickpunktes ins Zentrum des Elends versprüht der Streifen ungemein viel Optimismus und lehrt den Zuschauer auf uneindringliche Weise, dass hinter jedem Menschen ein ganz individuelles Schicksal steckt. Manchmal auch ein kleines, kostbares Juwel.
Originaltitel: "Precious: Based On The Novel ‚Push' By Sapphire"
Regie: Lee Daniels
Produktionsland und -jahr: USA, 2009
Filmlänge: ca. 110 Minuten
Verleih: Prokino
Deutscher Kinostart: 25.3.2010
Bildquelle:
http://www.amazon.de
(Horrorfilme: Nach wahrer Begebenheit oder frei erfunden?)