Rausgemobbt
Wie fühlt sich ein Mobbing-Opfer, wenn es endlich einen Schlussstrich unter eine monate- oder jahrelange Mobbing-Situation gezogen hat? Ein Erfahrungsbericht.Gemischte Gefühle
In immer kürzeren Abständen eskaliert die Situation am Arbeitsplatz. Die selbst ernannte Bürodiva nimmt sich alle möglichen Freiheiten und Unverschämtheiten heraus und geht dabei immer offener und dreister vor. Zuerst nur, wenn der Chef Urlaub hat, später auch in seiner Anwesenheit. Der Vorgesetzte – ein eher ruhiger Typ ohne Durchsetzungsvermögen – schaut nicht hin. Wenn er mal ungehalten ist, trifft es das Opfer, das gewagt hat, sich zu beschweren, nicht die Täterin. Er will seine Ruhe haben und darin nicht gestört werden.
Die Mobberin nutzt das aus. Sie witzelt mit dem Chef rum, streut Gerüchte über das Opfer aus, bringt es fertig, dass sich andere Kollegen vom Opfer zurückziehen, bis es fast vollständig isoliert ist. Schließlich wird die Situation so grotesk – Täterin übervorteilt Opfer, Opfer beschwert sich, Chef schimpft Opfer aus –, dass das Opfer aufsteht und tut, was ihm schon seit Monaten täglich durch den Kopf geistert: Es geht auf Nimmerwiedersehn.
Solch ein Schritt ist mit Ängsten verbunden. Kaum einer kann es sich leisten, seinen Job einfach hinzuschmeißen. Was wird jetzt aus mir? Wovon soll ich leben? Muss ich jetzt Hartz IV beantragen?
Es ist interessant, die eigenen Gefühle in dieser Situation zu beobachten. Die sind anders, als man erwarten würde.
Befreiung
Das Erste – gleich auf dem Heimweg und auch in den Tagen danach – ist ein überwältigendes Gefühl der Befreiung. Der Ausbruch aus dem geistigen Kerker ist gelungen. Das Joch, die Knute sind abgeschüttelt. Ich muss mich nicht mehr stundenlang verbiegen und verleugnen, den Mund halten, alles hinunterschlucken, mir hämische Bemerkungen anhören, mir alle ungeliebten Aufgaben zuschanzen lassen und zusehen, wie die Leckerbissen an Leute verteilt werden, die mir fachlich nicht das Wasser reichen können. Es grenzt schon an Euphorie und macht zugleich Angst: Wann kommt der Rückschlag? Wann gewinnt die Vernunft wieder Oberhand? Man gibt doch nicht einfach freiwillig einen Arbeitsplatz auf (selbst wenn er noch so prekär und schlecht bezahlt ist und man von einem Tag auf den anderen geschasst werden kann)!
Die Vernunft
Der Rückschlag kommt nicht. Im Gegenteil. Ich bereue den Schritt keinen Augenblick lang.
Meine Vernunft sagte mir schon lange: Diese Situation ist nicht gut für dich, und es wird sich dort nichts ändern, weil keiner ein Interesse daran hat. Leute, die für'n Appel und ‘n Ei oder gar "zum Spaß" arbeiten, gibt's wie Sand am Meer. Du bist ersetzbar, deine Kompetenz ist gar nicht gefragt, ganz im Gegenteil, die stört nur …
Die ständige innere Auseinandersetzung mit der unerträglichen Situation, die vergeblichen Versuche, etwas daran zu ändern, die permanente Demütigung, die vergeblichen Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Was habe ich falsch gemacht? Ich habe doch nichts verbrochen! Wieso tut niemand etwas dagegen?, die dauernde Hab-Acht-Haltung, das Vorsehen gegen die nächste Gemeinheit … das alles macht dich krank, das alles frisst so viel Energie, dass kaum noch etwas für einen normalen Alltag, geschweige denn für andere Aufgaben übrig bleibt. Mein Haushalt liegt seit Monaten darnieder, Ideen für Artikel, die geschrieben werden wollen, stapeln sich, meine Ernährung ist eine einzige Katastrophe, ich muss mir ständig neue Kleidungsstücke kaufen, weil ich nicht dazu komme, eine Kleinigkeit an den alten zu flicken, oder weil sie mir zu eng geworden sind …
Neue Energie
Damit ist jetzt Schluss. Ich habe keine Heißhungerattacken mehr, auch nicht auf Süßigkeiten. Die zehn bis fünfzehn Kilo, die ich während der Mobbing-Zeit zugenommen habe, sind jetzt bald wieder weg, da bin ich ganz sicher. Ich habe so richtig Lust, meine Wohnung mal wieder aufzuräumen, auszumisten und die Berge von Klamotten, die hier ungenutzt rumliegen, zu sortieren und auf Vordermann zu bringen. Ach ja, einen Zweitjob hab ich ja auch noch, aber da mobbt mich niemand, das pack ich dann schon! Und vielleicht klappt's ja nun endlich auch mit der Hauptbeschäftigung, die mir eigentlich vorschwebt. Meine Schreibblockade jedenfalls, die mich seit einem Jahr fest im Griff hielt, ist wie weggezaubert …
Ärger und Wut
Die Freude über die neue Freiheit, Gelassenheit und Optimismus lassen kaum Platz für negative Gefühle. Aber ab und zu kocht heiße Wut in mir hoch. Denn die Mobberin und ihre Handlanger können sich jetzt ins Fäustchen lachen, sie haben ja genau das erreicht, was sie wollten: mich loswerden. Und sie können noch dazu sagen: Keine Ahnung, worüber die sich aufregt, sie ist doch freiwillig gegangen! Ja, "freiwillig" gehen oder Selbstmord, echter oder psychischer, darauf läuft es hinaus. Ich frage mich nur, wer etwas von solchen Vorkommnissen hat (außer der Mobberin selbst). Ich habe ja alles versucht, etwas zu ändern, habe die Probleme immer wieder angesprochen, aber es war alles vergeblich. Ganz offensichtlich war niemand an einer Änderung interessiert. Ich war eine engagierte Mitarbeiterin, bin sehr gut qualifiziert für meinen Job und war vor dem Beginn der Mobbing-Attacken sehr kollegial und hilfsbereit. Aber an Leuten wie mir besteht offenbar kein Bedarf. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass die Verantwortlichen die Hände in den Schoß legen und glauben, wenn sie in eine andere Richtung gucken, wäre das Problem damit gelöst. Es gibt halt genug Austauschmaterial, und billig ist es außerdem.
Sprung aus dem Mobbing-Sumpf (Bild: Burkard Vogt / pixelio.de)