Resilienz - Wie wird man ein "Stehaufmensch"?
Menschen, denen es wie einem Stehaufmännchen gelingt, aus jeder noch so misslichen Lage wieder herauszukommen, werden von der Wissenschaft als "resilient" bezeichnet.Das Persönlichkeitsprofil resilienter Menschen
Das Persönlichkeitsprofil resilienter Menschen kann mit Hilfe eines Modells der Persönlichkeitspsychologie beschrieben werden, demzufolge die Persönlichkeit des Menschen im Wesentlichen durch fünf Faktoren (Big Five) geprägt ist, nämlich Neurotizismus, Introversion/Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Der Faktor "Neurotizismus" kann verdeutlicht werden durch den Gegensatz von emotionaler Labilität und emotionaler Stabilität bzw. Ich-Stärke. So erleben emotional stabile Personen seltener negative Gefühle. Beim zweiten Faktor "Introversion/Extraversion" geht es um das Interesse des Menschen an sozialen Kontakten und Unternehmungen mit anderen. Der dritte Faktor "Offenheit für Erfahrungen" kann näher bestimmt werden als Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem oder Unkonventionellem. Der vierte Faktor "Verträglichkeit" kann charakterisiert werden durch den Dualismus von altruistischem Verhalten zwecks Kooperation mit anderen und kompetitivem Verhalten zwecks Durchsetzung eigener Interessen. Beim fünften Faktor "Gewissenhaftigkeit" geht es um die Organisiertheit, Zuverlässigkeit und Effizienz menschlichen Handelns. Resiliente Menschen zeichnen sich aus durch eine geringere Neigung zu Neurotizismus, ein höheres Maß an Extraversion, eine größere Offenheit für neue Erfahrungen, eine stärkere Neigung zu altruistischem bzw. kooperativem Verhalten und größere Gewissenhaftigkeit. Insgesamt bedeutet dies, dass resiliente Menschen nicht unempfindlicher gegenüber Leid sind als andere, dass sie also in ihren Krisen durch genauso tiefe Täler gehen wie jeder andere Mensch auch. Nur, dass sie es eben schaffen, dort auch wieder herauszukommen.
Die Lebenseinstellung resilienter Menschen
Das "Geheimnis" resilienter Menschen ist die Kopplung ihres Persönlichkeitsprofils mit einer bestimmten Lebenseinstellung. So übernehmen resiliente Menschen, da sie aufgrund ihrer Ich-Stärke über ein hohes Maß an Selbstvertrauen verfügen, die Verantwortung für ihr Leben und Handeln. Sie sind davon überzeugt, Situationen durch ihr Handeln positiv beeinflussen zu können. Sie vertrauen also nicht auf Glück oder Zufall, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand und ergreifen Möglichkeiten, wenn sie sich bieten. Sie sehen sich nicht in der Opferrolle und erleben Belastungen oder sogar schwere Krisen nicht als unlösbares Problem, sondern als Herausforderung, die es zu meistern gilt, wenn nicht sogar als Chance, sich weiterzuentwickeln. Dabei kommt ihnen zugute, dass sie ihr Leben vorwiegend nach den Richtlinien der sog. Selbstverpflichtenden Zielbindung und nicht der sog. Leistungsorientierten Selbstwertbindung ausrichten. Das heißt: Resiliente Menschen haben ihr Selbstwertgefühl von negativen Ereignissen abgekoppelt und erleben deshalb bei Niederlagen keine sogenannten Selbstwerteinbrüche. Folglich lassen sich resiliente Menschen auch durch Misserfolge und Fehlschläge weder von den eigenen beruflichen und privaten Vorhaben, noch von ihren ethisch-moralischen Werten und auch nicht von ihrer wertschätzenden Haltung sich selbst und anderen gegenüber abbringen. Bei der Bewältigung von Krisen ist auch ihre optimistische Grundhaltung sehr hilfreich. Hinzu kommen ihr Potential an kreativen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ihre Flexibilität. So betrachten resiliente Menschen aufgrund ihres Optimismus Krisen als vorrübergehend und sind der Überzeugung, dass sich alles zum Guten wenden wird. Und dank ihrer Kreativität und Flexibilität entwickeln sie neue und ungewöhnliche Lösungswege, um auch in anscheinend ausweglosen Lebenssituationen wieder lebens- und überlebensfähig zu werden. Resilienten Menschen gelingt es auch, einer Krise im Nachhinein einen Sinn abzugewinnen. Ferner sind resiliente Menschen bereit, Hilfe von außen anzunehmen, und bauen sich Freundschaften auf, die ihnen in schweren Zeiten Unterstützung bieten.
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Förderung von Resilienz im Kindesalter
Vor allem in den USA sind umfangreiche Studien durchgeführt worden, in denen die Bedingungen untersucht wurden, unter denen Menschen, die sich als resilient erweisen, aufgewachsen sind. Ein wichtiges Ergebnis ist, dass die Grundlagen für die seelische Widerstandskraft schon in frühester Kindheit gelegt werden. So sind Menschen, die als Babys die Erfahrung machten, dass sie für ein Lächeln mit positiver Zuwendung belohnt wurden, die also schon sehr früh die Erfahrung gemacht haben, nicht hilflos zu sein zu sein, sondern ihr Leben selbst steuern zu können, später selbstbewusster und verfügen über eine größere Gelassenheit. Resilienten Menschen ist es also schon früh gelungen, die sie betreuenden Personen durch ihre Freundlichkeit für sich einzunehmen. Das heißt: Die Disposition für Resilienz zeigt sich schon sehr früh, und es ist deshalb zu vermuten, dass hier auch genetische Faktoren eine Rolle spielen. Weiter wurde festgestellt, dass in Familien, in denen resiliente Kinder heranwachsen, sehr viel Wert auf Bildung gelegt wird, und zwar auf Bildung als Selbstzweck, und dass es von Vorteil ist, wenn beide Eltern berufstätig sind. Sehr wichtig ist auch, dass die Eltern den Kindern vorlesen. Materieller Reichtum scheint keine so große Rolle zu spielen. So wurde in einer Studie die These aufgestellt, dass Kinder aus ärmeren und Mittelschichtfamilien mehr Empathie an den Tag legen als diejenigen aus reicheren Familien. Denn die weniger wohlhabenden Kinder seien im Alltag wesentlich stärker auf Kooperation mit Anderen angewiesen und entwickelten so eine verbesserte Fähigkeit zum Mitgefühl. Es wurde sogar bei vielen Kindern aus wohlhabenden Familien ein Mangel an Resilienz festgestellt, was auf die in diesen Familien anzutreffende Kombination aus Überbehütung und unzureichender Wertevermittlung zurückgeführt wurde.
Familie (Bild: geralt/pixabay.com)
Bezugsperson (Bild: wondermar/pixabay.com)
Ausbildung von Resilienz in einem problematischen Umfeld
Zahlreiche Studien beschäftigten sich auch mit der Entwicklung resilienter Kinder in sogenannten Problemfamilien, also in Familien, in denen die Eltern arbeitslos waren oder einer nur schlecht bezahlten Berufstätigkeit nachgingen, sich häufig stritten, sich schließlich scheiden ließen und mit neuen Partnern zusammenlebten, psychisch krank oder drogenabhängig waren. Hier wurde festgestellt, dass Eltern resilienter Kinder trotz ihrer Probleme den Kindern gegenüber eine positive Haltung einnehmen, also freundlich, einfühlsam und unterstützend sind, Anteil am Leben ihrer Kinder nehmen, an deren Erfolg in der Schule interessiert sind und sich insofern nicht von "normalen Eltern" unterscheiden. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist – und das ist von entscheidender Bedeutung - suchen sich resiliente Kinder oft Bezugspersonen außerhalb der Familie, die kompetent und emotional stabil sind, sensibel auf die kindlichen Bedürfnisse eingehen und ihnen dadurch Halt geben können. Diese Bezugspersonen kommen zum Großteil aus dem Umfeld der Kinder. Es sind z.B. die Großeltern, ältere Geschwister, Onkel und Tanten. Resiliente Kinder scheinen ein besonderes Geschick darin zu haben, solche "Ersatzeltern" für sich zu gewinnen. Bei zerrütteten Familienverhältnissen verlassen resiliente Jugendliche auch oft nach der Schulzeit das negative Milieu ihrer Familie und suchen sich eine bessere Umgebung. Sie verlassen sich dann vorwiegend auf Gleichaltrige oder Ältere in ihrem Umfeld, wenn sie emotionale Unterstützung suchen oder einen Rat in besonderen Krisenzeiten brauchen. Dies können Lieblingslehrer sein, fürsorgliche Nachbarn, Eltern eines Freundes oder einer Freundin, ältere Betreuer, Pastoren oder Pfarrer, Jugendleiter oder Mitglieder kirchlicher Gruppen. Diese Personen dienen dann häufig als positives Rollenmodell. Im mittleren Lebensalter gelingt es vielen resilienten Menschen, die in einem problematischen Umfeld aufgewachsen sind, vor allem durch eine Ehe mit einem stabilen Partner/einer stabilen Partnerin oder auch durch Hinwendung zu einer Glaubensgemeinschaft bzw. Kirchengemeinde, in der aktives Engagement verlangt wird, ihre Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen.
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Erlernen von Resilienz im Erwachsenenalter
Die Ergebnisse der Resilienzforschung relativieren die Annahme, dass einmal gemachte schlechte Erfahrungen für das gesamte weitere Leben prägend sind und der Mensch seinem Schicksal hilflos ausgeliefert ist. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass jeder Mensch gewisse Resilienzfaktoren mitbringt und dass diese Faktoren bewusst verstärkt oder auch einzeln trainiert und erweitert werden können. Der Erwerb von Resilienz kann folglich gezielt gefördert werden, und zwar auch noch bei Erwachsenen. Hier geht es jedoch nicht darum, sich "abzuhärten" und unempfindlich gegenüber seinen eigenen Emotionen zu werden, sondern es geht darum, einen besseren Umgang mit seelischen Schmerzen zu erlernen, damit man letztlich gestärkt aus einer schweren Prüfung hervorgehen kann. Wichtig ist hier, dass man sich das "Krisenmanagement" zu eigen macht, das resiliente Menschen auszeichnet. Diese sind ja in der Lage, in Krisen auch etwas Positives zu sehen, geben ihnen damit eine tiefere Bedeutung und können sie so in die Lebensgeschichte integrieren.
Die Bedeutung der selbstverpflichtenden Zielbindung
Ein wichtiger Ansatzpunkt bei der Förderung von Resilienz im Erwachsenenalter ist auch die Befolgung der Richtlinien der sog. selbstverpflichtende Zielbindung, wie sie typisch ist für resiliente Menschen. Das heißt: Die meisten Menschen leben nicht nach den Richtlinien der selbstverpflichtenden Zielbindung, sondern nach den Richtlinien der Leistungsorientierten Selbstwertbindung. Demzufolge haben sie den Eindruck, dass sie, wenn sie einen Erfolg erzielen, o.k. sind, also ehrenwerte Mitmenschen, und dass sie, wenn ihnen etwas missglückt ist, nicht o.k. sind, also auch persönlich ein Misserfolg, im schlimmsten Falle totale Versager. Diese unglückselige Verknüpfung von Leistung und Selbstwertgefühl führt nach Expertenmeinung dazu, dass die Betroffenen es zwecks Rettung ihres niedrigen Selbstwertgefühls ablehnen, Verantwortung für Misserfolge zu übernehmen, die Schuld daran anderen "in die Schuhe schieben" und dadurch häufig auch die Schadensbegrenzung verhindern, was letztlich zu einer großen Lebensunzufriedenheit führt. Die Ersetzung der Leistungsorientierten Selbstwertbindung durch die selbstverpflichtende Zielbindung ist eigentlich eine leichte Übung, weil jeder Mensch die Beschäftigung mit einer Aufgabe oder einem Thema kennt, die er selbst gewählt hat, die für ihn passend sind, für die er die geeigneten Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringt, und weil sich sicherlich jeder daran erinnern kann, dass er als Kind von einer Aufgabe oft so fasziniert war, dass er seine Umgebung völlig vergessen und so lange "herumexperimentiert" hat, bis er die Aufgabe gelöst hat, sich also auch von Fehlschlägen nicht beirren ließ. Es geht hier also darum, dass der Mensch etwas von den Phantasiewelten, in denen er als Kind gelebt hat, in das Erwachsenenleben hinüberrettet, weil ihn dies dazu befähigt, das Leben bewusster zu gestalten und an Probleme mutig heranzugehen.
Fazit
Resilienz ist eine Widerstandskraft der Seele, die naturgemäß vor allem in Krisenzeiten und bei Schicksalsschlägen sehr hilfreich ist. Entscheidend ist dabei, dass resiliente Menschen sich nicht von Krisen und leidvollen Erfahrungen überwältigen lassen, sondern darauf vertrauen, dass sich für jedes Problem eine Lösung finden lässt. Und wenn sie selbst keinen Ausweg aus einer verfahrenen Lage finden, scheuen sie sich nicht, Rat und Hilfe bei anderen zu suchen. Bei Kindern, die unter äußerst ungünstigen Bedingungen aufwachsen und sich dennoch "normal" entwickeln, die sich also als resilient erweisen, spielt wohl eine genetische Veranlagung eine Rolle, sicherlich aber auch das berühmte "Quäntchen Glück", da dieses ihnen wenigstens eine Bezugsperson beschert hat, zu der sie eine stabile Beziehung aufbauen konnten, auch wenn sie sich niemals auf das Glück verlassen.Die wichtigste Botschaft aber lautet: Resilienz ist ein Komplex von Eigenschaften und Fähigkeiten, die sich jeder aneignen kann. (Weitere Informationen sind zu finden in meinem Artikel "Resilienz als Seelenruhe" (http://pagewizz.com/resilienz-als-seelenruhe-29788/)).
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