Schaubühne Berlin: Kritik von "Abgrund" - Maja Zade / Thomas Ostermeier
Zwei Ehepaare treffen sich in gepflegter Atmosphäre. Zwei weitere Personen kommen hinzu. Dann tritt eine Katastrophe ein.Laurenz Laufenberg, Alina Stiegler, Moritz Gottwald, Isabelle Redfern (Bild: Foto: Arno Declair)
Ein halbwegs akzeptables Level
Die Zuschauer*innen werden mit Kopfhörern ausgestattet, das soll sie näher ans Geschehen heranbringen und ein Stück Verbundenheit hervorbringen, vielleicht sogar Identifikation stiften. Aber gleichzeitig wird ein hauchzarter Gaze-Vorhang vor die Bühne gespannt, der Distanz herstellt. So wird das Publikum herangeholt und wieder weggestoßen. Aber in Wahrheit schafft der Kopfhörer-Effekt keine Intimität: Längst sind wir das gewohnt von Hörbüchern, die direkt ins Ohr fallen. Das Gastgeber-Paar bilden Christoph Gawenda und Jenny König, das Gästepaar besteht aus Moritz Gottwald und Alina Stiegler, hinzu kommen dann noch ein von Isabelle Redfern gespieltes Single und Laurenz Laufenberg als Homosexueller. Das Gesprächsniveau ist überschaubar, erreicht bestenfalls gehobenen Durchschnitt. Nun, wer derartige gesellige Runden des Öfteren mitgemacht hat, kennt diese Wortwechsel. Im Vergleich zu anderen Kreisen wird sogar ein akzeptables Level erklommen. Wer hier die Oberflächlichkeit kritisiert, sollte sich einmal in seinem Umfeld umhören: Was hat man eigentlich erwartet? Dass hier mit eschatologischen und metaphysischen Problemen gerungen wird? Geistige Tiefe ist bei solchen Anlässen gar nicht vorgesehen, nur gelegentlich blitzt ansatzweise Bildung auf. Gut, es sind Mitglieder des Genussbetriebs, Vergnügen und selbstgefällige Plaudereien scheinen das vordringlichste Ziel zu sein. Im Grunde ist das Publikum dazu aufgerufen, sich selbst zu hinterfragen, wie man sich denn selbst in solchen Situationen verhält.
Isabelle Redfern, Laurenz Laufenberg
Foto: Arno Declair
Ein Häufchen Elend
Selbstverständlich kann es nicht so weitergehen, auf Dauer ist diese Konversation arg ermüdend. Was sich die Autorin Maja Zade jetzt einfallen lässt, ist vielleicht eine Nummer zu groß. Ein Unglück musste her, um die Harmonie zu durchbrechen, aber Zade geht gleich in die Vollen. Die 5-jährige Tochter der Gastgeber schmeißt das Schwester-Baby aus dem Fenster. Jäh sinkt die gehobene Laune in sich zusammen und macht Betroffenheit und Bestürzung Platz. Wie ein Häufchen Elend sitzen sie zusammen und möchten am liebsten im Erdboden versinken. Ein hysterischer Heulkrampf der Mama – immer noch sind Frauen im Theater auf diese Rollen abonniert – bleibt aus. Was tun mit der mordenden, aber im Grunde naiv-unschuldigen Tochter? Sie hergeben? Das Stück als unverhohlene Kapitalismuskritik zu interpretieren, wäre verfehlt. Ein sozial schwaches Milieu oder ein heiß diskutierender Politzirkel wäre genauso schockiert. Letzterem müsste man dann vorwerfen, das er die Bodenhaftung verloren habe und sich nicht um Existentielles kümmere. Was man der Inszenierung vorhalten kann, ist, dass sie gar zu gedehnt dahinplätschert. Ostermeier fehlt es diesmal etwas an Feuer und Gift.
Abgrund
von Maja Zade
Uraufführung
Regie: Thomas Ostermeier, Bühne und Kostüme: Nina Wetzel, Video: Sébastien Dupouey, Musik: Nils Ostendorf, Sounddesign: Jochen Jezussek, Dramaturgie: Maja Zade.
Mit: Isabelle Redfern, Alina Stiegler, Christoph Gawenda, Moritz Gottwald, Jenny König, Laurenz Laufenberg, Nele Richter.
Schaubühne Berlin, Premiere war am 2. April 2019
Dauer: 105 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)