Das Ensemble: Wie bei einem ...

Das Ensemble: Wie bei einem Hippie-Revival (Bild: © Katrin Ribbe)

Wie in einer Gemeinschaftszelle

Die reduzierte Bühne ist ein zwischen Gelb und Gold changierender Kasten, der einige Meter in die Tiefe geht. Als Dekor fungiert ein schwarzer Kunstledersessel, der aufgrund der übertrieben spartanischen Einrichtung wie ein Thron wirkt. In diesem eingepferchten Raum rücken die Schauspieler näher aneinander, als handele es sich um eine Gemeinschaftszelle. Vordergründig hat sich die soziale Lage der Familie wegen monetärer Inkompetenz verschärft, aber sie gehört dem Bürgertum oder gar der Oberschicht an. Ein hübsches Beiwerk, das den schleichenden Verfall zu bestätigen scheint, sind die zotteligen Langhaarperücken, die, da es sich um keine Hippie-Familie handelt, den Eindruck gesteigerter Ungepflegtheit hervorrufen. Lars Eidinger, dessen Oberkörper mit Schriftzeichen übersät ist, sieht aus wie ein hantelerprobter Heavy-Metal-Freak im fortgeschrittenen Stadium. Und Kay-Bartholomäus Schulze läuft mit seinem bleichen Gesicht herum wie eine wandelnde Leiche, die aus dem Schattenreich zurückgekehrt ist.

 

Unter dem Deckmantel des Christentums

Orgon fällt auf den angeblichen Frömmler Tartuffe herein, weil er seinen materiellen Wohlstand mit dem Glanz eines Sendboten des Pontifex Maximus vermischen möchte. Und der Kurier des Oberhirten ist so clever, die Leichtgläubigkeit des Hausherren auszunutzen. Der verkündet die Heirat seiner Tochter Mariane (Luise Wolfram) mit Tartuffe, obwohl sie schon mit Valère verlobt ist. Wütende Liebesszenen, Schmerz und Seelenpein sind die Folge. Und nicht nur das: Orgon überschreibt dem geldgierigen Tartuffe auch noch sein Haus. Die Botschafter des heiligen Stuhls – alles nur Taktierer und Heuchler? Hier lässt Molière seinen Abneigungen gegen religiöse Strömungen im Frankreich des 17.Jahrhunderts freien Lauf: Unter dem Deckmantel des Christentums ließ es sich fein leben, das ist teilweise heute noch so. Nur stellt sich Tartuffe äußert ungeschickt an, denn er versucht auch noch, mit Orgons Frau (Regine Zimmermann) anzubandeln. Insgesamt wird dem Publikum eine mit Blut durchtränkte Leichenhalle präsentiert. Allein die Zofe Dorine (Judith Engel) erweist sich als forsch und handlungsanweisend, allerdings ist auch sie in der um sich greifenden Lethargie befangen, ihre Worte redet sie zumeist apathisch herunter. Ein kraftloses Wünschen überall.

 

Alles steht auf dem Kopf

Als der Schwindel entschwindelt wird, wird einem beinahe schwindlig. Die Spielfläche beginnt zu rotieren, der Kasten dreht sich und der schäbige Sessel hängt mal an der Seite, mal an der Decke. Wenn alles auf dem Kopf steht, lässt es sich nicht unbedingt besser denken. Immerhin hat Orgon noch so viel Klarsicht, dass er den Betrüger aus dem Haus werfen möchte, wenn da nicht besagter Gerichtsvollzieher wäre. Am Ende taucht auch noch Orgons Mama (Felix Römer mit Halskrause) auf, die völlig aus der Art geschlagen ist, eher matriarchalische Töne anschlägt und schließlich vom Betrug überzeugt werden kann. Eine fast geläuterte Gottesfürchtige. Dies ist eine Inszenierung, die schon allein wegen des Regisseurs und der Besetzung das Publikum anlockt. Kein großer Thalheimer, nur ein durchwachsener. Nun, eine serielle Produktion von Großleistungen ist auch kaum möglich. Vielleicht sollte sich Thalheimer wieder einer klassischen Tragödie annehmen, irgendein Gegenwartsbezug lässt ich immer finden.

Tartuffe
von Molière

Deutsch von Wolfgang Wiens
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Bernd Stegemann, Licht: Erich Schneider.
Mit: Tilman Strauß, Ingo Hülsmann, Urs Jucker, Regine Zimmermann, Lars Eidinger, Judith Engel, Kay Bartholomäus Schulze, Luise Wolfram, Franz Hartwig, Felix
Römer.

Schaubühne Berlin

Premiere vom 20.Dezember 2013

Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

Fotos: © Katrin Ribbe

 

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