Schaubühne Berlin: Kritik von "Voyage" - Philipp Preuss
Premiere im Studio. Der Regisseur präsentiert eine Figur, die einen Tour-de-Force-Ritt durch alle Kontinente macht. Das Frohlocken überwiegt die Misshelligkeiten.Im Nebel stehen (Bild: © Thomas Aurin)
Die besten Gedanken kommen beim Wandern
Gleich zu Beginn wird die Nebelmaschine angeworfen, eine Menge Dampf entsteht, aber mehr als nur heiße Luft. Felix Römer von hinten, fast so wie bei Friedrichs "Der Wanderer über dem Nebelmeer". Als der Schauspieler sich umdreht, fühlt man sich an den leicht elegant gekleideten E.T.A Hoffmann erinnert, nicht zuletzt wegen des Backenbartes. Der Wanderer ist entzückt über die Beglückungen der Natur, über das freie Spiel der Kräfte und würde am liebsten eine Landschaft umarmen. Das Denken, hören wir, funktioniert beim Gehen und Unterwegssein besonders gut, die hellsten Gedanken kommen beim Wandern und nicht beim stupiden Hocken auf dem Schreibtischstuhl. Der Sils-Maria-Pilgerer Nietzsche lässt grüßen. Natürlich gibt es auch Ärgernisse beim Reisen, wetterbedingte Widrigkeiten in den kälteren Jahreszeiten oder Pechsträhnen bei einer längeren Schifffahrt, bei der es unter Umständen nur noch ums bloße Überleben geht. Beinahe naturgemäß wird auch Joseph Conrads "Herz der Finsternis" erwähnt, ein klassischer Reiseroman in den Kongo. Manch Zuhörer*in mag sich dabei entdecken, wie er/sie darüber nachsinnt, welches Zitat nun welchem Schriftsteller zuzuordnen ist. Aber der Sinn dieser Inszenierung liegt weder im Ratespiel noch im Entfachen der Entdeckungslust. Was man diesem Projekt vorwerfen kann: Römer wechselt zu oft die Kleidung und schlüpft zu hastig in immer wieder neue Rollen. Dadurch verliert das Ganze etwas an Stringenz, Stichhaltigkeit und Fasslichkeit. Kaum tobt sich eine Identität aus, enthuscht sie auch schon wieder, um einer anderen Platz zu machen.
Felix Römer
© Thomas Aurin
Der lästige Tourist
Aus dem solventen Reisenden des 19.Jahrhunderts, der noch mit der Kutsche unterwegs war, wird bald im Zuge des technischen Fortschritts der Urlauber, der selbst in die entlegensten Winkel der Erde vordringt und alles, was er noch nie zuvor wahrgenommen hat, wie rasend fotografiert. Römer kleidet sich wie ein typischer Strandtourist, mit engem Kurzhöschen, hässlichen Sandalen und einem Umhängesack. Auf der Bühne werden schnell Beine und Oberkörper rot bemalt: Das soll ein Sonnenbrand sein, nur da, wo er das Unterhemd getragen hat, ist es weißlich-fleischfarben. Gerade solche modernen Formen des Tourismus sind es, der, mit oder ohne Rollkoffer in Massen auf den Straßen zu sehen, den Einheimischen auf den Wecker geht. Zum Schluss hält es die Figur nicht mehr auf der Erde aus und fliegt zum Mond. Wir sehen Römer in einem Raumfahreranzug mit Helm, ohne so genannte Astronauten-Kost, Trinknahrung mit allen Nährstoffen, Mineralstoffen und Vitaminen. Kurz: Daheim hält man es manchmal einfach nicht mehr aus. Insgesamt eine ungezwungene, flockige Inszenierung mit einem gut aufgelegten Felix Römer, der seinen Hang zur Bizarrerie voll ausspielt.
Voyage
von Philipp Preuss
Regie und Bühne: Philipp Preuss, Kostüme/Projektionen: Isabel Robson, Musik: Kornelius Heidebrecht, Dramaturgie: Maja Zade
Mit: Felix Römer
Schaubühne Berlin, Premiere vom 3. Oktober 2018
Dauer: 90 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)