Wie im Spinnennetz

Wie im Spinnennetz (Bild: Thomas Aurin)

Textfragmente und einstudierte Kaspereien

Gelegentlich hat man den Eindruck, es werde nur geredet, um unangenehme Schweigemomente zu unterdrücken und – so seltsam das klingen mag – die Bewegungssprache zu untermalen. Ingo Günther, mit Zylinder, wie man sich einen Zauberkönig vorstellt, steuert an seinem Keyboard Klänge hervor, die neben Gemütstönen auch Geräuschtupfer erzeugen, die eben metallisch klingen sollen und die sportiven Gerüstübungen der Akteur*innen begleiten. Gleich drei Männer sehen aus wie aus Frankensteins Kuriositätenkabinett entnommen. Vierkantschädel, scharfes Gebiss, darüber eine schmierig geglättete, aber unkontrollierte Haarfülle. Dennoch, es sind keine Zombies wie in "Nora" (Theater Oberhausen 28.10.2010, Theatertreffen 2011). Und die Frauen – sie erscheinen wie Schulmädchen – haben und tragen gesichtstechnische Aufmachungen, die man mit "Das doppelte Lottchen" assoziiert. Horvaths Texte leuchten nur als eingekapselte Fragmente auf. Gut, hier ein Brocken aus "Kasimir und Karoline", dort etwas aus den Geschichten des "Wiener Waldes". Und auch Adolf Hitler. Plötzlich hört man eine mit dumpfem majestätischen Pathos vorgetragene Stimme. Das klingt ja wie damals der Propagandaboss, und in der Tat: Der Schreihals wird aktiviert. Der unpolitische Fritsch hat auch etwas parat, das einer Rede von Chou En-Lai entsprungen sein könnte – was aber nicht weiter ernst zu nehmen ist. Freilich, intime Kenner Horvaths, die im Nachlass wühlen, erleben ihren Wiedererkennungseffekt. Trotzdem: Die Sprache spielt bei Fritsch, der mehr dem Auge vertraut, eine untergeordnete Rolle, er ist, ob er es will oder nicht, der Meister der nonverbalen Verständigung. In diesem Sinne ist er verblüffend sprachübergreifend und international, also genau das Richtige für Ostermeiers mehr als transatlantisch gedachte Spielstätte.

 

Ingo Günther mit Zylinder liefert ...

Ingo Günther mit Zylinder liefert den Soundtrack (Bild: Thomas Aurin)

Ruth Rosenfeld, Carol Schuler, Alina Stiegler, Jule Böwe, Axel Wandtke, Florian Anderer

Foto: Thomas Aurin

 

 

Die Wohfühlhöhle ist eine Hölle

Das Schaubühnen-Dauergewächs Jule Böwe ist ebenfalls im Ensemble vertreten. Sie fügt sich gut ein, als hätte sie beispielsweise schon lange mit Bastian Reiber gearbeitet. Nach der Maske bzw. in der Maske ist sie kaum zu erkennen – die optische Gleichmacherei ist heftig – ihr Sopran-Genöle, das auch hohe Töne erklimmt, ist unverwechselbar neben der stimmversierten Ruth Rosenfeld. Und Böwe kann gut die Fritsch-Choreografie. Einmal hängen die Schauspieler*innen am Gerüst wie Spinnen, die ihr Netz entfaltet haben. Ein herrlicher Anblick, fast der visuelle Höhepunkt, bedrohlich und verheißungsvoll zugleich, mit dem der angestrengte "Rest" leider nicht ganz mithalten kann. Die Figuren klammern sich zuweilen aneinander, verschränken ihre Körper in akrobatische Schnörkel, dann laufen sie auseinander wie umherirrende Insekten, die den Halt verloren haben. Den finden sie nur in synchronisierten Darstellungen, wenn alle zu einem Kollektiv verwachsen und die Haltung als Einzelkämpfer aufgeben. Irgendwann hebt der Zeppelin mitsamt der Insassen ab. Wir träumen, wir fliegen und Erheben uns über das Alltägliche? Von wegen. Die Hybris, selbsttätig in den Himmel hochzufahren, zerberstet unter den Händen. Trotz des vordergründigen Spaßes: Die Freiheit versprechende Wohlfühlhöhle erweist sich als eine Hölle, vor der es - vor und nach dem Abflug - kein Entrinnen gibt. Aber nach einem höheren Sinn zu suchen macht beim Sinnentleerer Fritsch wenig Sinn (es sei denn, man forscht nach dem Untergründigen) - zu sehr steht die Beeindruckungskunst im Vordergrund. Die Hochkaräter kommen und gehen, aber die Schaubühne bleibt bestehen. Nach dem Weggang des um Sinnstiftung ringenden Thalheimer nun also der "sinnlose" Maître des Visuellen und der lustvollen Beliebigkeit, die zugleich fröhlich und traurig stimmen kann. Bedauerlicherweise hat Fritsch diesmal vergessen, ordentlich Drogen ans – ernüchterte? - Publikum zu verteilen. Immerhin kein schlechter Start, doch ein Erlebnisrausch mit stark angezogener Handbremse.

Zeppelin
nach Texten von Ödön von Horváth
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Musik: Ingo Günther, Dramaturgie: Bettina Ehrlich, Licht: Torsten König.
Mit: Bastian Reiber, Ruth Rosenfeld, Axel Wandtke, Florian Anderer, Jule Böwe, Werner Eng, Ingo Günther, Alina Stiegler, Carol Schuler.
Schaubühne Berlin, Premiere vom 19. September 2017

Dauer: 1 Stunde 50 Minuten inklusive Akklamation

 

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