Schwulsein und Mitglied der Kirche – Widerspruch oder Herausforderung?

In der schwulen Szene und auch außerhalb hört man ab und zu die These, dass Schwulsein und Religion bzw. Zugehörigkeit zu einer Kirche einfach nicht zusammengehen kann. Trotzdem gibt es viele schwule Männer, die sehr religiös sind, an Gottesdiensten teilnehmen und auch in ihrem Alltag versuchen, ihren Glauben zu leben. Wie kommt es, dass die Meinungen hier so auseinandergehen?

Laut Bibel ist Homosexualität eine Sünde

Liest man die Bibel, und hier vor allem das Alte Testament, so wird deutlich, dass sich die Heilige Schrift an einigen Stellen zum Thema Homosexualität äußert. Allen Stellen ist dabei gemeinsam, dass Homosexualität als Sünde bezeichnet wird. Allerdings muss man wohl beachten, dass diese Schriften im Kontext ganz bestimmter, gesellschaftlicher Gegebenheiten verfasst wurden, die man mit der heutigen Gesellschaft nicht vergleichen kann. Auch im Neuen Testament sind ganz vereinzelt Passagen zu finden, die das Thema Homosexualität zumindest indirekt ansprechen. Aber auch darf man den zeitlichen Kontext der Aussagen nicht vergessen.

Morallehre der Kirchen ist stark biblisch geprägt

Nachdem sich die großen Kirchen auf die Bibel als grundlegende Quelle berufen, wurde ihre Morallehre natürlich sehr stark von den dort getätigten Aussagen geprägt. Von daher ist es verständlich, dass die evangelische, stärker noch die katholische Kirche versucht, an entsprechenden Traditionen festzuhalten und die vor Jahrtausenden gemachten Aussagen in unsere Zeit herüberzuretten. Allerdings machen vor allem Äußerungen von katholischen Würdenträgern immer wieder deutlich, dass die oft in menschenverachtender Form kundgetanen Moralvorstellungen vollkommen an der Lebenswirklichkeit betroffener Menschen vorbeigehen, tiefe Wunden schlagen und großes Leid auslösen. Eine Kirche kann nicht auf der einen Seite die Liebe predigen und auf der anderen Seite Homosexuelle als Sünder verdammen, indem sie immer wieder verbal auf sie einschlägt und sie an den Pranger stellt.

Viele schwule Männer leiden an der Kirche

Es gibt sehr viele Schwule, die einerseits aufgrund ihres Umfeldes, ihrer Erziehung oder eigener positiver Erfahrungen eine sehr enge Bindung zur Kirche haben oder suchen und denen ihre Zugehörigkeit wichtig ist, die sich aber andererseits ausgeschlossen fühlen, weil sie nicht als die akzeptiert und toleriert werden, die sie sind. Zwar sagen die Kirchen, dass man Homosexuellen mit Respekt begegnen und sie unter keinen Umständen diskriminieren soll, im Alltag aber erfahren Schwule nur allzu oft Ausgrenzung, Respektlosigkeit und Diskriminierung. Daran leiden viele Betroffene zwar sehr, bleiben aber Mitglied, weil ihnen ihr Glaube wichtig ist, sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich die Kirchen irgendwann dem Thema weiter öffnen und weil sie ein Zeichen setzen möchten. Andere wollen nicht länger Opfer kirchlicher Anfeindungen sein, ziehen die Konsequenzen und wenden sich von ihrer Kirche ab.

Kirchenaustritt bedeutet auch Verlust der Identität

Wer über eine lange Zeit Teil einer kirchlichen Gemeinschaft war, der weiß, dass man sich mit dieser stark identifiziert, vor allem, wenn man sich vielleicht über viele Jahre hinweg aktiv eingebracht hat. Denn der Glaube, die Zugehörigkeit zu einer kirchlichen Gemeinschaft und die aktive Mitarbeit prägen die Persönlichkeit und sind Teil der Identität eines Menschen. Umso schlimmer ist es für einen religiösen Menschen, wenn er die Gemeinschaft irgendwann meint verlassen zu müssen. Hört man sich um, so wird deutlich, dass viele Schwule vom geradezu homophoben Verhalten ihrer Kirche tief enttäuscht sind. Es fällt den allermeisten zwar unendlich schwer, aber sie sind des Leidens, das ihnen ihre eigene Kirche verursacht, einfach so müde, dass sie einen Schlussstrich ziehen und aus der Kirche austreten. Damit ist nicht selten der Verlust eines Teils ihrer eigenen Identität verbunden, der oft noch Jahrzehnte später schmerzt.

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