Selbstliebe lernen – wie geht das?
Selbstliebe entwickeln – wie geht das ganz praktisch und ist es wirklich so wichtig, wie alle behaupten? Praktische Tipps, Buchempfehlungen und AchtsamkeitsübungSelbstliebe ist "in"
Louise L. Hay, die man vielleicht als die "Königin der Selbstliebe" bezeichnen könnte, schreibt in ihrem Bestseller "Gesundheit für Körper und Seele": "… dass es nur eine Sache gibt, an der ich immer mit jedem arbeite, ungeachtet dessen, woran sie anscheinend leiden. Liebe ist die Wundertherapie. Die Eigenliebe bewirkt Wunder in unserem Leben."
Ihre liebste Übung ist die sogenannte Spiegelarbeit ("mirror work"): "Ich bitte die Klienten, sich einen kleinen Spiegel zu nehmen, sich in die Augen zu schauen, ihren Namen zu nennen und zu sagen: Ich liebe und akzeptiere dich genauso, wie du bist."
Anita Moorjani, die einen Bestseller über ihre spektakuläre Nahtoderfahrung und anschließende Spontanheilung geschrieben hat, gibt vor allem eine Erkenntnis weiter: Liebe dich selbst. Du bist großartig. Sei dein eigener bester Freund.
Auch Kamal Ravikant hat mit seinem Amazon-Bestseller "Love Yourself Like Your Life Depends On It" (Liebe dich selbst, als ob dein Leben davon abhängen würde) für viel Furore gesorgt. Sein Weg zur Selbstliebe: "Ich liebe dich" wird zum Mantra, das man sich immer und immer wieder vorsagt – einer Art Meditation oder Selbsthypnose gleich.
Praktische Tipps
Zu den praktischen Tipps, um mehr Selbstliebe zu entwickeln, gehören meist folgende Ratschläge:
- Akzeptiere dich voll und ganz – auch deine Fehler und Schwächen.
- Sprich immer nur liebevoll und aufbauend mit dir selbst.
- Kritisiere dich nicht.
- Übernimm Verantwortung für dein Leben und dein Glück.
- Gönne dir bewusst gute Dinge.
- Sorge gut für deinen Körper.
- Erlaube dir regelmäßige Auszeiten.
- Erkenne deine eigenen Grenzen an und stehe auch vor anderen dafür ein.
- Spende dir selbst Anerkennung.
- Mache dir deine Stärken bewusst.
- Vergleiche dich nicht mit anderen.
- Sei dankbar.
- Entwickle dich über deine Komfortzone hinaus.
- Lass es dir nicht nehmen, deine Träume zu verwirklichen.
- Höre auf deine innere Stimme.
- Umgib dich mit Menschen, die dir gut tun.
…
Selbstliebe zu entwickeln ist harte Arbeit - und ein langer Weg
Ja, das Praktizieren von Selbstliebe scheint ganz schön anstrengend zu sein. Und mancher stellt vielleicht fest, dass nicht alles so funktioniert, wie man es sich erhofft hatte:
Vielleicht kommt man sich ein bisschen albern vor, wenn man vor dem Spiegel steht und "Ich liebe dich" zu seinem Spiegelbild sagt. Vielleicht nimmt man sich die Worte der Anerkennung nicht ab. Vielleicht kann man es einfach nicht lassen, sich immer wieder mit anderen zu vergleichen. Vielleicht schafft man es nicht, dem inneren Kritiker den Mund zu verbieten. Vielleicht fühlt sich die Welt außerhalb der Komfortzone doch ziemlich beängstigend an ...
Was dann? Womöglich fühlt man sich doppelt schlecht (und un-liebenswert), weil man es trotz aller Anstrengung einfach nicht schafft, sich selbst (mehr) zu lieben.
Die Selbstliebeprofis haben auch dafür eine Lösung: Geduld haben. Einfach dran bleiben. Selbstliebe zu entwickeln, das ist schließlich eine lebenslange Aufgabe.
Vorsicht, Stolperfallen!
Es gibt jedoch inzwischen auch immer mehr Stimmen, die leise Zweifel anmelden: Tut sie uns wirklich immer so gut, die Selbstliebe?
Mehr Selbstliebe entwickeln zu wollen, das kann manchmal sogar kontraproduktiv sein.
Geht es wirklich nur um uns selbst?
Wieviel hat Selbstliebe überhaupt mit uns selbst zu tun, fragen manche.
Wenn ich mir sage, dass ich ein liebenswerter Mensch bin, dass ich Respekt verdient habe, dass mein Körper trotz seiner vermeintlichen Mängel attraktiv ist - ziele ich damit wirklich (nur) auf meine eigene Einschätzung ab oder geht es dabei nicht eher darum, wie ich auf andere Menschen wirken möchte?
Es gibt gar kein Selbst.
Ein Gegenargument vieler spiritueller Lehrer wie z.B. Eckhart Tolle: Es gibt überhaupt kein stabiles Selbst, auf das sich unsere Selbstliebe beziehen könnte.
Das Selbst bzw. Ego ist nur ein Konstrukt unserer Gedanken, eine Illusion. All die Eigenschaften, die wir diesem Selbst "angedichtet" haben, sind unbeständig und subjektiv.
Selbstliebe oder Selbstverbesserung?
Für manchen stellt sich auch die Frage: Ist das Praktizieren von Selbstliebe nach den oben genannten Ratschlägen nicht doch nur ein weiterer Selbstoptimierungsversuch?
Warum muss ich erst etwas verändern oder verbessern, damit ich mich selbst lieben kann – widerspricht das nicht der bedingungslosen Selbstakzeptanz, die eigentlich so eng mit der Selbstliebe verbunden ist?
Nicht in die Positiv-Falle tappen!
Wer Selbstliebe praktiziert, kann Gefahr laufen, sich zu sehr auf das Positive zu konzentrieren – dabei ist es wichtig und gesund, auch negative Gefühle und Stimmungen ganz bewusst zulassen zu können.
Lucia Scholz beschreibt das sehr schön in ihrem Ratgeber:
Gedanken und Worte – ob "gut" oder "schlecht" - sind gar nicht so wichtig
Diejenigen, die regelmäßig Meditation und Achtsamkeit praktizieren, wissen es: Wir sollten unsere Gedanken nicht so ernst nehmen. Gedanken kommen und gehen, wir müssen nicht an ihnen festhalten oder uns mit ihnen identifizieren.
Noah Elkrief, Autor des Amazon-Bestsellers A Guide to the Present Moment, hat einen eher ungewöhnlichen, aber dafür umso interessanteren Ansatz zum Thema Selbstliebe:
Immer wieder negativ über uns selbst und andere zu denken: Ganz normal!
Dass unser Gehirn uns täglich mit einer ganzen Menge negativer Gedanken bombardiert, das ist ganz natürlich.
Autor und Psychologe Russ Harris erklärt es in seinem (übrigens sehr empfehlenswerten!) Buch "Raus aus der Glücksfalle": Im Laufe der Entwicklungsgeschichte haben wir gelernt, nach Problemen Ausschau zu halten, um zu überleben. Unser Verstand neigt deshalb dazu, überall nach Mängeln zu suchen und Unzufriedenheit zu schüren.
Russ Harris meint, dass wir den Kampf gegen unsere negativen Gedanken nicht gewinnen können und vergleicht das Ganze mit einem Schachspiel: Rücken wir mit unseren "guten Gedanken" ein Stück auf dem Spielfeld vor, dann warten schon die "Bösewichte", um uns mit dem nächsten Zug Schachmatt zu setzen. Dieser Kampf sei endlos und pure Zeitverschwendung.
Die Lösung: Weniger Energie auf den Kampf verschwenden und sich stattdessen voll ins Leben einbringen.
"Negativ" muss nicht immer negativ sein – und manchmal ist der innere Kritiker sogar hilfreich
Barbara Sher, die durch ihren Bestseller "Lebe das Leben, von dem du träumst" bekannt geworden ist, weißt darauf hin, dass wir Menschen ganz unterschiedliche Wege haben, um uns zu motivieren. Der eine tut das gerne mit positiven Selbstgesprächen oder Affirmationen: "Du schaffst das schon!" oder "Du bist doch eine ganz tolle Mutter!"
Bei anderen Menschen funktioniert jedoch das genaue Gegenteil: Diese erreichen ihre Ziele dadurch, dass sie sich selbst unter Druck setzen, sich (negativ) mit anderen vergleichen, sich selbst ausschimpfen, den inneren Antreiber aktivieren, etc.
Barbara Sher findet: "Eine Methode ist genauso legitim wie die andere."
Was tun, wenn es mit der Selbstliebe einfach nicht so richtig funktionieren will?
Bedeutet Liebe eigentlich etwas anderes, als dass man zum anderen vorbehaltlos "ja" sagen kann? Bedingungslos und aus ganzem Herzen?
Vielleicht gilt Ähnliches auch für die Selbstliebe:
Ich sage "ja" zu mir. Bedingungslos. Aus ganzem Herzen.
Oder anders formuliert: Ich lasse mich so sein, wie ich im Moment eben gerade bin.
Selbst dann, wenn ich mich nicht so nett behandle, wie ich das eigentlich tun "sollte" oder möchte. Oder dann, wenn ich meinen Körper nicht wirklich akzeptieren kann. Sogar dann, wenn ich mich immer noch von der Meinung anderer Menschen abhängig mache. Oder mich womöglich ab und zu selbst im Stich lasse. Auch dann, wenn ich immer noch in meiner Komfortzone festhänge und mir der Mut fehlt, meine Träume endlich wahr zu machen …
Vielleicht stellt man fest, dass es einen Unterschied macht, ob man sich darüber ärgert, nicht nett genug mit sich selbst umzugehen oder ob man auch dann noch "ja" zu sich sagen kann, wenn einem das eben nicht gelingen möchte.
Ina Rudolph schreibt in Ich will ja loslassen, doch woran halte ich mich dann fest?:
Ich liebe es, dass ich es nicht liebe, dass ich mich nicht liebe.
Möglicherweise bedeutet Selbstliebe auch mutiges Selbst-Vertrauen zu haben:
Ich vertraue darauf, dass es in dem Moment schon richtig ist, wie ich bin und was ich tue.
Ich vertraue mir.
Byron Katie formuliert es sehr treffend: Ich muss genauso sein, wie ich bin, um ich zu sein.
Mein persönlicher Lieblingstipp ist das Buch von Robyn L. Posin (leider bisher nur in englischer Sprache verfügbar). Es beeindruckt mich, wie konsequent die Autorin es schafft, sich selbst einfach "so sein zu lassen" – mit ganz viel Akzeptanz und liebevoller Selbstfürsorge. Wer ins Buch hineinschnuppern möchte, kann das auch auf Robyn Posins Website tun (siehe Texte unter tale finder).
Achtsamkeitsübung: Zu mir kommen
Meistens funktioniert es doch so: Bevor man jemanden lieben lernt, lernt man ihn erst einmal kennen. Sich selbst ein bisschen besser kennenzulernen, dabei hilft diese kleine Achtsamkeitsübung: