Die Performerinnen Margret Schütz ...

Die Performerinnen Margret Schütz und Bettina Grahs (Bild: © Gernot Wöltjen)

Steuerung von Präferenzen

Ohne Zweifel, die fünf Performer sind jetzt warm. An Georg Werner können Fragen gerichtet werden, die die Messbarkeit von Lebensäußerungen betreffen. Leider sind die Möglichkeiten der Technik begrenzt: Weder sind unartikulierte Babyschreie messbar noch gibt es Apps für identifizierbare Zeitgenossen, die einen in die psychische Tiefgarage versetzen. Auch Apps für Personen mit ähnlichen Träumen sind nicht verfügbar, der Prozessor arbeitet wohl besser bei der modifizierten Rasterfahndung. Um den Abend in Gang zu bringen, werden im Publikum Zettel mit einem Auftrag verteilt, etwa: ‚Geben Sie den Zettel an eine Person weiter, die Sie für sympathisch halten'. Niemand sucht sich gern jemand aus, den er für einen Kotzbrocken hält. Auf diese Weise werden Präferenzen gesteuert, die sonst gar nicht zum Ausdruck kommen würden. Spezieller wird es bei der Anweisung, den Zettel an eine Person weiterzureichen, mit der man eine urban-nonkonforme Gruppe bilden möchte.

 

Der durchnummeríerte Wartesaal

© Gernot Wöltjen

 

Sehnsucht nach Gleichgesinnten

Auch wenn man noch so sehr seiner Individualität verpflichtet ist und der Selbstausdruck über alles geht, existiert insgeheim der Wunsch nach Zugehörigkeit, die Sehnsucht nach Gleichgesinnten, die gewisse Interessen teilen, ohne dass größere Abstriche bei der eigenwillig gehüteten Exklusivität gemacht werden müssen. Die experimentierfreudigen Feldforscher von Turbo Pascal erwischen die Zuschauer bei der uneingestandenen Tendenz, die Menschen in Kategorien und Fraktionen einzuordnen, teilweise allein aufgrund optischer Signale. Das was man bei sich selbst nicht möchte – die Rubrizierung in Schubladen -, nimmt man insgeheim bei anderen vor. Und es scheint auch Automatismen im Menschen zu geben, sich unwillkürlich geistesverwandten Personen zu nähern, zum Beispiel der Schaubühnen-Schauspieler Felix Römer, der zu Beginn den Kollegen und Pascal-Motor Frank Oberhäußer umarmt.

 

Frank Oberhäußer beim Zettelausdrucken

© Gernot Wöltjen

 

Anbahnung sozialer Interaktion

Im weiteren Verlauf wird eine grobe Unterteilung vorgenommen: Leute, die aus beruflichen Gründen anwesend sind, werden zusammengesetzt, ebenso die Kreditwürdigen, Abenteuerlustigen und Vielversprechenden. Es sind dies Gruppenbildungen, an verwaltungstechnische Maßnahmen erinnernd, um Vereinfachungen bei der Einstufung und Erfassung zu ermöglichen. In Angelegenheiten des veranschlagten jährlichen Bruttoeinkommens ist man sehr vorsichtig, zumal hier keine karrierehungrigen Existenzen mit Vorstadtvilla und Porsche als Zweitwagen zu vermuten sind. Doch die vereinfachten Raster werden schnell wieder aufgebrochen und eine unausgesetzte Wanderung findet statt, wild und dynamisch, aber doch reglementiert. Leute, die gut mit einer Waffe umgehen können, eine Weile im Ausland gelebt haben oder permanent ihre Wohnung wechseln, bilden immer neue Gruppen, die zur Unübersichtlichkeit verschwimmen. Während der Spieltrieb erwacht, droht gleichzeitig die Langeweile, da das Bedürfnis nach "mehr" aufsteigt. Wann kommen die ersten bizarren Aufrufe? Turbo Pascal ist nicht mutig genug, dieses erweckte Entfaltungsbedürfnis weiter zu forcieren. Trotz all der Sortierungslust fehlen die gewagten Parteibildungen, die auch ohne die nahe liegende Zuordnung nach sexuellen Anziehungen und Präferenzen realisierbar wären. Auch bei mir treffen die verschiedensten Zettel ein, so auch das Angebot, ein Gruppenfoto von zwei, drei Personen zu machen. Nun, mit einem raschen Klick wird das Potentielle zur Realität erhoben. Ist Turbo Pascal neuerdings ein Institut der sozialen Interaktion, der zwischenmenschlichen Anbahnung? Vielleicht sind sich noch einige Zuschauer bei der Premierenfeier näher gekommen.

Algorithmen. Eine biografische Formelsammlung
von Turbo Pascal
Von und mit: Frank Oberhäußer Bettina Grahs, Friedrich Greiling, Margret Schütz, Georg Werner.

Ausstattung: Gabriele Vöhringer, Musik: Friedrich Greiling, Dramaturgie: Angela Löer.

SOPHIENSÆLE Berlin

Premiere vom 9. Oktober 2014
Dauer: ca. 1 Stunde 45 Minuten

 

 

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