SOPHIENSӔLE Berlin: Kritik von "Die kosmische Oktave" – Ulrich Rasche
Der Autor Nis-Momme Stockmann befindet sich weiterhin auf dem Egotrip. Am Ende gibt's ein überraschendes Plädoyer der Liebe.Auf dem Fließband (Bild: © David Baltzer)
Gravitätisch-getragener Tonfall
Den Prolog, falls es so etwas gibt, bestreitet die Spezialtragödin Corinna Kirchoff. Die Melpomene aus selbsternannter Berufung spreizt die Wörter, streckt sie uferlos und scheint sie zunächst auf der Zunge zu kauen, ehe sie ihren Lippen entströmen. Langgezogen und untergründig kommen sie heraus. Corinna Kirchhoff diesmal: Eine Mischung aus dem gravitätisch-getragenen Tonfall der Helena in Faust II (Inszenierung Peter Stein) und der Phädra im Berliner Renaissance Theater (Premiere 30.1.2013), wo sie die Laute wie aus einem dunklen, mythischen Urgrund herausgestoßen hat, um die Tragödie noch tragischer zu machen. Bettina Hoppe hingegen knallt die Wörter förmlich heraus, scharf und spitz und trocken. Ihre Figur tritt sehr dominant auf, als habe sie leise Herrschaftsansprüche.
Narzissmus und kollektive Sehnsucht
Corinna Kirchhoff
© David Baltzer
Liegt die Problematik dieses Schriftstellerdaseins am System? Hat der böse Kapitalismus abgewirtschaftet? Wohl kaum, er ist die Lebenswirklichkeit, ob man will oder nicht. Dieser Schriftsteller hätte im Sozialismus die gleichen Probleme, nur in abgewandelter Form. Wer zwischen unaustilgbarem Narzissmus und Teilhabe an der Gesellschaft oszilliert, den kann kein System irgendwelcher Art ‚retten'. Das ist das alte Grundproblem des Lebens: Man möchte individuell sein, herausstechen und sich gleichzeitig in den Strom pulsierenden Lebens einreihen. Seit Nietzsche wissen wir: Das Wechselspiel von vita activa und vita contemplativa ist möglich. Nis-Momme Stockmann arbeitet sich an dem Thema ab – und der Text ist nicht der schlechteste. Trotz aller Individuation bleibt die kollektive Sehnsucht erhalten.
Verlassen der Insel
Wir hören von psychischen Quälereien in der Kindheit, von moralischer Desorganisation. Und wir hören vom mütterlich arrangierten Verlassen der Insel Föhr, in Reklame-Broschüren für Touristen ist das die friesische Karibik. Der werdende Schriftsteller-Sohn ist entsetzt über den privaten Karibik-Verlust. Aus Insel wird unter den Händen eines Schauspielers In-Sell. Die Musik versucht verzweifelt, dramatische Klänge beizusteuern, aber die Kräfte sind überschaubar – zumindest wird eine Kakophonie vermieden. Infolge der mangelnden Spannung gelingt es der Musik nicht, die Inszenierung ansprechend zu untermalen, da helfen auch die langen dröhnenden Bass-Parts nicht. Gegen Ende will die Figur von Corinna Kirchhoff auch noch heiraten, sie erklärt ihr Liebe, erklärt sie ohne jegliche Romantik. Ein derartiges Eingeständnis passt gar nicht zu ihr, es wirkt wie herausgewürgt aus den Tiefen einer Tragödin, die das erhaben Gehobene goutiert. Eine Interaktion besteht fast überhaupt nicht, die Figuren reden mitunter tatsächlich miteinander, aber meistens aneinander vorbei. Die Dialoge entpuppen sich als Monologe, denen eine dramatische Handlung abgeht. Das Finale gehört Toni Jessen, der ein Loblied auf die Liebe singt. Liebe über alles – nach alldem ein seltsamer Schluss. Insgesamt eine durchwachsene Inszenierung mit Licht und Schatten.
Die kosmische Oktave
von Nis-Momme Stockmann
Regie und Bühne: Ulrich Rasche, Musik: Ari Benjamin Meyers, Kostüme: Sara Schwartz.
Mit: Corinna Kirchhoff, Dominik Paul Weber, Bettina Hoppe,Toni Jessen, Kornelia Lüdorff, Dorothea Arnold, Timo Weisschnur,, sowie: Guillaume Francois (Tenor) und Mitgliedern des Zafraan Ensemble: Miguel Pérez Iñesta, Zoé Cartier, Thomsen "Slowey" Merkel.
Premiere am 21.3. 2014, Kritik vom 25.3. 2014
Dauer: ca. 3 Stunden, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)