Stadtentwicklung Barcelona
Barcelona ist die Stadt am Meer. Wer heute den Namen der Metropole hört, der denkt an Strände, Yachten, Mittelmeer. Dabei war der Zugang zum Meer jahrhundertelang versperrt.Mit welchen Mitteln wurde die Stadt zur Stadt am Wasser?
Die Entstehung Barcelonas liegt wie bei den meisten Hafenstädten in seinem natürlichen Hafenbecken begründet. Ungefähr 2000 v.Chr. siedelten dort wegen der geschützten Lage des natürlichen Hafenbackens an einer Landzunge erstmals Iberer.
Erst die Römer befestigten mehr als 2000 Jahre später die Siedlung militärisch mit einer Mauer, die dadurch zur Stadt wurde. Zwischen 400 und 800 n.Chr. war sie in der Hand der Mauren, bevor sie von Karl dem Großen zurückerobert wurde. Dieser baute sie als letzten Posten seines Reiches zur Bastion gegen den Islam aus. Der dadurch entstandene große Handelshafen war der entscheidende Impuls für die weitere Entwicklung Barcelonas. Durch den Seehandel wuchs ihre Wirtschaftskraft enorm, und ließ sie zur wichtigsten Stadt Katalaniens und bald zu dessen Hauptstadt werden. In ihrer Blütezeit zwischen 1000 und 1300 konkurrierte Barcelona mit Venedig und Genua um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum als eine der wichtigsten Handelsstädte der Welt.
Trotz des beständigen Wachstums der Bevölkerung waren bis dahin die Stadtgrenzen die Stadtmauern der Römerzeit geblieben. Der ständige Strom an Zuwanderern machte eine Vergrößerung der Stadt unabdingbar. Daher wurde die Stadtfläche nach Westen hin erweitert und dort mit einer neuen Stadtmauer umschlossen. Die ehemalige Begrenzung der alten Stadtmauer war das ausgetrocknete Bett eines Flusses, der früher in das Hafenbecken geflossen war. Dieses breite Kiesbett wurde, nun mitten in der Stadt liegend, zur Prachtstraße, an der sich Klöster und öffentliche Gebäude aufreihten. Noch heute erinnert der Name "Ramblas" an den Ursprung der Straße, die seither die wichtigste Verbindung der Stadt zum Hafen ist.
Der Handelshafen erlangte in der Zeit der Kolonialisierung einen zweiten Höhepunkt seiner Bedeutung. Die Baumwolle aus Übersee und die damit entstehende Textilindustrie waren die Initialzündung der Industrialisierung. Durch die hervorragende Anbindung Barcelonas zum Meer setzte die Industrialisierung dort um das Jahr 1800 ein, fast einhundert Jahre früher als im Kernland Spaniens.
Die entstehende Industrie siedelte sich naturgemäß direkt um das Hafenbecken an und bildete schon bald einen dichten undurchlässigen Ring zwischen der Stadt und dem Meer. Mit der Industrie kam auch ein gewaltiger Zuwandererzustrom, der die jahrhundertealten Stadtmauern bald wiederum zu eng werden ließ.
Im Jahr 1859 wurde der Plan der Stadterweiterung "Eixample" beschlossen, entworfen von Ildefonso Cerdà. Dieser Rahmenplan mit seinen schachbrettartigen Straßenzügen prägt bis heute das Bild des modernen Barcelona. Er erweiterte das damalige Stadtgebiet auf ein zehnfaches und vertritt eine ähnliche Strategie wie der 1811 beschlossene Masterplan New Yorks. Ziel war eine antihierarchische, eine demokratische Stadt, mit gleichen Wohnqualitäten für alle Bewohner.
Wie entwickelte sich der Zugang der Stadt zum Meer?
Ramblas
Die erste direkte Verbindung zwischen Meer und Stadtzentrum ist die bereits erwähnte Ramblas, die durch ihre geologisch bedingte Breite immer eine Prachtstrasse und Hauptader war. Durch die Zusammenballung der Industrie am Meer ist sie jedoch lange Zeit nur eine Verbindung zum Hafen, die von den Bewohnern der Stadt nicht als Zugang zum Wasser genutzt werden kann.
Eixample - 1859
Die zweite einschneidende Veränderung der Stadt in Bezug auf das Meer ist die Umsetzung des Cerdà-Plans. Das neue Stadtgebiet wird geplant als ein unhierarchisches System rechtwinkliger Strassen, das nur durch große Achsen unterbrochen ist. Diese jedoch sind mehr Verbindung innerhalb des Netztes als Hinführung zu bestimmten Punkten. Wenige hervorgehobene Punkte sind Plätze inmitten der Stadt an Schnittpunkten der großen Achsen. Ein qualitativer Höhepukt der Stadt soll die Küstenlinie nicht sein. Zwar öffnen die großen Diagonalen an wenigen Stellen den Zugang zum Meer, aber das Grundproblem des versperrten Zugangs zum Wasser duch die Industrie bleibt bestehen.
Le Corbusier - 1932
Mit der fortschreitenden Industrialisierung der Städte werden auch die benötigten Flächen der Industrieanlagen immer größer. In Barcelona jedoch sind die Hafenanlagen eingezwängt zwischen den Wohnvierteln, dem Wasser und dem Berg Montjuic. Die Situation wird für beide Parteien immer beengender. Den Zugang der Bewohner zum Mittelmeer versperrt zudem eine zehnspurige Autobahn, die an der Küstenlinie entlangführt.
Auf der Landzunge, die das natürliche Hafenbecken formt, befindet sich das Fischerviertel Barceloneta. Auch dessen Bewohner können nicht direkt ans Wasser: dort haben sich unzählige illegale Kneipen und Strandlokale ausgebreitet.
Die Architektenvereinigung GATCPAC, in der auch Le Corbusier aktiv mitwirkt, sucht nach Möglichkeiten, das inzwischen erkannte Potential der Meereslage Barcelonas wieder für die Bevölkerung zu nutzen. Mit dem "Pla Marcia" wird 1932 vorgeschlagen, westlich des Montjuic einen neuen Industriehafen zu errichten und dort die Expansion der Hafenindustrie zuzulassen. Die Regierung Franco jedoch blockiert den Plan, da er eine unerwünschte Stärkung Barcelonas und damit eine dezentralisierung Spaniens zur Folge hätte. In den folgenden Jahren nimmt die Enge in der Stadt dramatische Ausmaße an.
Der Hafen - 1986
Ganze 54 Jahre dauert es, bis sich die Stadt an das große Projekt wagen kann. 1986 endlich wird entschieden, die Frachtnutzungen in einen neuen, hochmodernen Hafen auszulagern, dem Port de Barcelona. Zugleich bewirbt sich Barcelona mit gewaltigen Umstrukturierungsplänen für die Olypischen Spiele 1992 und erhält den Zuschlag. Mithilfe der frei werdenden Flächen soll die Stadt ein neues Gesicht erhalten. Das neue Zentrum am Meer wird der alte Hafen, der Port Vell sein, der zu einer riesigen öffentlichen Freizeitzone umfunktioniert wird. Zugleich soll den Bewohnern endlich der wertvolle Stadtstrand zurückgegeben werden.
Olympische Spiele - 1992
as Stadterneuerungsprogramm für die Olympiade 1992 greift an mehreren Punkten an, um Barcelona endlich zur "Stadt am Meer" zu machen.
Zusätzlich zur Auslagerung des Industriehafens wird auch die zehnspurige Stadtautobahn als unüberwindbare Barriere zurückgebaut. Sie wird in Teilen unter die Erde gelegt und im Hinterland durch eine neue Schnellstrasse deutlich entlastet. Auf den alten Fahrspuren tummeln sich heute Fußgänger am Wasser entlang. Damit, und mit der Freiwerdung der Industrieflächen am Ufer, ist nun endlich ein Zugang der Quartiere zum Meer hin möglich.
Auf den nun entstandenen Freiflächen entlang des Wassers werden neue Orte geschaffen, die der Stadt ein Gesicht und vor allem endlich eine Waterfront geben.
Port Vell
Der frühere Industrieha
fen ist nun das neue Zentrum der Stadt. Auf der künstlichen Halbinsel Moll d´Espanya, ehemals dicht bebaut mit Lagerhallen, befindet sich heute mitten im Hafenbacken ein riesiger Freizeitkomplex mit Multiplexkinos, Gastronomie, Diskotheken, Einkaufsmöglichkeiten, Meeresaquarium, und IMAX-Kino. Die Anlage gehört mit 18 Mio. Besuchern pro Jahr zu den kommerziell erfolgreichsten seiner Art in Europa und ist das Zentrum des touristischen Nachtlebens im wiedererwachten Barcelona. Ein drehbarer Holzsteg über dem Wasser verbindet die Mole mit den Ramblas und gibt zugleich die Zufahrt frei zu zwei exklusiven Jachtklubs.
Am anderen Ende des Wasserbeckens liegt das neue World Trade Center mit Konferenzzentrum, an dem auch die Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe angelagert ist. Insgesamt kann Barcelonas Hafen neun große Kreuzfahrtschiffe aufnehmen. Fast alle Kreuzfahrtschiffe des Mittelmeers laufen inzwischen Barcelona an, für viele ist es gar der Heimathafen. So ist die Metropole nach Miami und Singapore zum drittwichtigsten Kreuzschiffahrthafen der Welt mit über 600.000 Passagieren pro Jahr. Zwischen der Moll d´Espanya und den Ramblas erstreckt sich das mittelalterliche Viertel Barri Gotic, das ursprüngliche Zentrum des alten Barcelona. Dank der kommerziellen Anziehungskraft des neuen Port Vell hat es sich vom zwielichtigen Rotlichtbezirk zur schmucken Touristenattraktion gewandelt, voll mit kleinen Läden, Bars und Herbergen.
Vila Olimpica
Östlich des Port Vell entstehen im Rahmen der Olympiavorbereitung ca. 2500 Wohnungen als Sportlerquartiere. Zugleich wird hier ein zweiter Hafenkai gebaut, der Port Olimpic, der während der Veranstaltung der Hafen für die Wassersportwettbewerbe ist. In den zugehörigen Gebäuden entsteht eine zweite Vergnügungsmeile.
Die Eingangsituation in das neue Viertel bilden zwei Hochhäuser, wie sie ganz ähnlich bereits Le Corbusier 1932 vorgeschlagen hat. Darin befindet sich während der Spiele die Verwaltung und Administration der Veranstaltungen. Entlang der Uferzone des Vila Olimpica wurde eine Strandpromenade geschaffen, die sich bis nach Barceloneta erstreckt. Daran liegen auch die heute so wichtgen Strände, die freigeräumt und zugänglich gemacht wurden.
Entscheidend für das ganze Konzept der Olympiade ist die Nachhaltigkeit der Maßnahmen. Nach den Spielen wird aus dem Port Olimpic eine öffentliche Einkaufs- und Vergnügungszone, die Sportlerquartiere werden zu einem mittelpreisigen Wohnviertel umgebaut und in den Hochhäusern Verwaltung und Büros verwirklicht.
Barceloneta
Im ehemaligen Fischerviertel, das zu Zeiten des dortigen Industriehafens sehr heruntergekommen war, wird ebenfalls die Verbindung zwischen Stadt und Meer neu formuliert. Zuerst wird die Uferzone von all den illegalen Restaurants und Spelunken gesäubert. Der Blick auf das Wasser und die Weite des Ufers wird zum landschaftlichen Thema des Randstreifens. Die Begrünung dünnt sich von der Bebauung zum Meer hin aus, die verspringenden Kanten der Zeilenränder gehen über in einen schlichten Steinbelag, der die Situation beruhigt. Den Übergang zum eigentlichen Strand schließlich bildet eine Holzpromenade, die an Schiffsdecks erinnert und in Rampen zum Meer führt. Der Strandbereich selbst wird neu aufgeschüttet und gesäubert und lädt heute zum Sonnen und Baden ein.
Insgesamt ziehen sich an der Stadtkante Barcelonas heute 8,5 ha Starnd entlang, allesamt der Öffentlichkeit zugänglich und durchlässig. Es gibt weder Privatstrände noch abgetrennte Bereiche für Hotels. Der Strand gehört den Bewohnern Barcelonas.
Forum der Kulturen 2004
Konsequent verfolgt Barcelona seit seiner Verjüngung durch die Olympischen Spiele das Konzept weiter, durch gezielte infrastrukturelle Eingriffe im Rahmen von Großveranstaltungen Initialzündungen zu erzeugen, die die Qualität des Ortes über das Event hinaus prägen. Im Jahr 2004 war Barcelona Schauplatz des "Forum der Kulturen 2004", einer Großmesse ähnlich der EXPO, die interkulturellen Austausch und Nachhaltigkeit in der globalisierten Gegenwart zum Thema machte. Hauptveranstaltungsort ist ein bis dahin vernachlässigtes Industriegebiet am östlichen Rand Barcelonas am gedachten Ende der nie fertiggebauten "Diagonal", einer der großen Achsen des Cerdà-Plans. Die große Straße wird nun zu Ende geführt, und das Quartier um das Messegelände zu einem modernen Wohngebiet gemacht mittels massiver Investitionen und Subventionen. Zusammen mit dem eigentlichen Ausstellungsgelände wird eine komplette Infrastruktur mit Wohnvierteln, Nahverkehrsmitteln und Einkaufsmeilen aus dem Boden gestampft. Das weitläufige Gelände der Ausstellung ist ein urbaner Park mit vielen Grünflächen. Thema des FORUM 2004 ist unter Anderem auch Wasser. So entsteht eine hafenartige artifizielle Landschaft, ein urbaner Park am Meer. Heute ist das Gelände Ort von Großveranstaltungen und baldiges neues Zuhause des Zoos von Barcelona, der in der Innenstadt zu beengt liegt. Da daas Forumsgelände zu weit ausserhalb liegt, ist der Ort kein Naherholungsraum für die Bewohner der Stadt, eher für das direkte Umfeld. Wie stark der Impuls des Zoos sein wird, bleibt noch abzuwarten.
Metapolis
Im Jahr 2000 stellte der Architekt Vincent Gallart ein theoretisches Projekt vor, das sich mit der zukünftigen Entwicklung Barcelonas zum Meer auseinandersetzt. Dabei nimmt sich die Planung internationale Seehäfen zum Vorbild, insbesondere die Metropolen Asiens, aber auch z.B. Amsterdam. Das Bild zeigt die Metapolis von Hwaseong in South Korea.
Tendenz ist allenortes die größtmögliche Nutzung der Qualität Meer durch Expansion ins Wasser. So soll auch Barcelona seine Uferlänge und damit seine Attraktivität vervielfachen, indem es künstliche Inseln in Küstennähe aufschüttet, die sich in verschiedene Nutzungen aufteilen sollen. Angedacht sind fünf eigenständige Inseln für Flughafen, Observatorium, Strände, Themenpark und Naturpark. Das Barcelona der Zukunft soll noch weiter ins Meer wachsen.