Strichmännchen im Parlament
Was Platzmeister Schmitt im Bonner Bundestag von den Pulten eingesammelt hatte, lässt tief blicken...Hobbykünstler aus Langeweile
Plenarsitzungen des Deutschen Bundestags, das ist nachvollziehbar, sind häufig strohtrocken. Vorne streiten sich Experten am Pult, und hinten hocken die anderen, die nur auf eine Abstimmung warten oder darauf, dass sie vielleicht in zwei Stunden auch mal ins Rednerpult dürfen. Zwischenrufe wie "Hört, hört" sind auch nicht immer das Gelbe vom Ei. Und so haben sich immer wieder Abgeordnete daran versucht, die vor ihnen liegenden, häufig völlig unerheblichen Dokumente mit Skizzen und Notizen zu verzieren, Strichmännchen zu produzieren. Und die hat Karl-Heinz Schmitt nach Sitzungsende eingesammelt – und aufgehoben.
Mit spitzer Feder den Kontrahenten bespöttelt
Daraus ist eine Dokumentation der Zeitgeschichte geworden. Als Schmitt seine Sammlung 1991 publizierte, schrieb ihm Dr. Andreas Kaernbach von der Bundestagsverwaltung wahre Worte ins Vorwort: "Das Verdienst von Karl-Heinz Schmitt liegt darin, dass er uns mit seiner Sammlung die Abgeordneten in ihren unverstellten menschlichen Reaktionen nahe bringt, wie wir sie trotz der Allgegenwart des Fernsehens nur selten erleben. Die einen, gelangweilt vom Vortrag des Redners, träumen sich in arkadische Landschaften hinein, andere lassen ihrem Zorn über die vorgetragenen politischen Thesen den bleistiftenen Lauf, wieder andere belächeln spöttisch mit spitzer Feder den rhetorischer Eifer am Rednerpult".
Stattlicher Bauernhof statt Tagesordnung
"Strichmännchen im Plenum – die unbekannte Fraktion", ist der Titel zu Schmitts Sammlung in Buchform. So hieß 1996 auch eine Ausstellung im Foyer des Bonner Abgeordnetenhochhauses. Aber das mit der unbekannten Fraktion stimmt nicht so ganz. Bei den über vier Jahrzehnte hinweg gesammelten Strichmännchen & Co überwiegen eindeutig die aus liberaler Feder. Das fing schon an mit dem Bundestags-Vizepräsidenten Hermann Schäfer (FDP), der am 14. Juli 1955 respektlos auf die Tagesordnung der 100. Sitzung des Deutschen Bundestags einen wunderschönen Bauernhof mit Kirche dahinter gezeichnet hatte. Und Martin Bangemann, der liberale Schwabe, zeichnete sozusagen an laufendem Band Segelschiffe. Der Berliner SPD-Abgeordnete Lothar Löffler wiederum, ein Beatle-Fan, zeichnete Köpfe und Miniplakate mit Aufschriften wie "Ringo for President", "Vote for Ringo". Unbekannt hingegen blieb der Künstler, der eine schlanke Schöne mit Kussmund aufs Papier gebannt hatte. Schmitts Notiz damals dazu: "Zeichner unbekannt, Fundort Platz Nr. 8 von Willy Brandt". Ein Schelm, wer Böses dabei dachte.
Die erste Wahlurne aus dem Jahr 1949
Die bedeutendste Fundsache, die je den Weg in Schmitts Privatmuseum nahm, war aber kein Strichmännchen aus dem Plenarsaal, sondern ein Messingbehälter, den der Saaldiener zufällig bei Umbauarbeiten entdeckte. Es handelte sich um die Urne, die 1949 schon bei der ersten Kanzlerwahl im Plenarsaal die Stimmzettel aufgenommen hatte. Der Finder übergab sie dem Bonner "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", von dort wanderte sie später wieder zurück zum Parlament.
Die Skizzen und Notizen von Abgeordneten im Plenum aus den Jahren 1949 bis 1991 sind vom Sammler Schmitt als Paperback veröffentlicht worden. Die Originale sind archiviert.
Bildquelle:
Gerd Altmann / pixelio.de
(Mobbing - Wenn Schüler unter einem Pädagogen leiden)