Sympathischer Loser: Simon Pegg

Auf der Schule war Gary King (Simon Pegg) nicht nur auf Grund seines Familiennamens der bewunderte King seiner Freunde Andy (Nick Frost), Paddy (Steven Prince), Martin (Oliver Chamberlain) und Eddie (Peter Page). Doch während seine einstigen Freunde sich dem Leben stellten und Karriere machten, hat Gary den Übergang von der unbeschwerten Jugend zum Erwachsensein völlig verpasst und nichts auf die Reihe gebracht. Er fährt immer noch seinen ersten Wagen, trägt die schwarzen Klamotten seiner Jugendzeit auf und hat außer saufen und Frauengeschichten keinerlei Interessen.

Am 20. Jahrestag einer unbeendeten Sauftour mit seinen Schulkumpanen hat er eine Idee: Wenn er diese zusammentrommeln und mit ihnen den Pub-crawl erfolgreich abschließen könnte, hätte er wenigstens etwas in seinem Leben vollendet. Nachdem sich seine ehemaligen Freunde, die unter anderem Spitzenanwälte und Immobilienhändler geworden sind, nach einigem Zögern breitschlagen haben lassen, beginnt für das Quintett eine Reise zurück nach Newton Haven, die ihrer aller Leben für immer verändern wird.

Dies liegt nicht etwa am überraschenden Auftauchen von Olivers hübscher Schwester Sam (Ex-Bondine Rosamund Pike), in die einst Gary gleichermaßen wie Steven verliebt war, sondern vielmehr an einer Auseinandersetzung im Herren-WC. Völlig unvermittelt wird Gary von einem wortkargen Jugendlichen angegriffen, der sich selbst dann nicht geschlagen gibt, als er seinen Kopf buchstäblich verliert. Nach dem ersten Schock wird ihm klar, dass er einer Verschwörung ungeahnten Ausmaßes auf der Spur ist, die möglicherweise die gesamte Menschheit bedroht. Für Gary ist dies dennoch kein Grund, die Sauftour abzubrechen, womit er sich selbst und seine Freunde einer unheimlichen Bedrohung aussetzt …

Blut und Eiscreme

Bekanntlich sollte man aufhören, wenn's am schönsten ist. Und welchen besseren Zeitpunkt für den Abschluss der "Blut-und-Eiscreme-Trilogie" könnte neun Jahre nach dem grandiosen Meisterwerk "Shaun of the Dead" und sechs Jahre nach dem nicht minder rundum gelungenen "Hot Fuzz" geben? Und was, zum Zombie, ist eigentlich die "Blut-und-Eiscreme-Trilogie"? Begonnen hatte es als running gag: Analog zu Krzysztof Kieślowski Drei-Farben-Trilogie, wollten Edgar Wright und Simon Pegg eine "Blut-und-Eiscreme-Trilogie" erschaffen. Leitmotiv neben reichlich Blut: Cornetto-Eis in den Farben rot ("Shaun of the Dead"), blau ("Hot Fuzz") sowie grün ("The World's End").

Aus dem Scherz wurde innerhalb von neun Jahren filmische Wirklichkeit, was nur eines beweist: Mitunter werden verrückte Ideen und Scherze Realität! Und auch wenn "The World's End" im direkten Vergleich zu "Shaun of the Dead" und "Hot Fuzz" fast zwangsläufig abfällt, sollte sich kein Fan schrägen Humors diesen Streifen entgehen lassen. Dabei folgt das Setting auf den ersten Blick ausgelatschten Pfaden: Waren es im ersten Teil der "Blut-und-Eiscreme-Trilogie" Zombies bzw. im zweiten Teil Buddy-Movies, so erinnert die Prämisse in "The World's End" an unzählige Alien-Invasions-Filme, allen voran "Die Körperfresser". Natürlich soll die Spannung gewahrt und nicht zu viel verraten werden. Kein Geheimnis muss aber um die clevere Inszenierung gemacht werden. Anstatt die Bedrohung innerhalb der ersten Filmminuten aufs Tapet zu bringen, wird diese erst relativ spät in die Geschichte eingewoben.

Coming of Age

Gut ein Drittel der Laufzeit gesteht Regisseur Edgar Wright dem sorgfältigen Charakterisieren seiner Protagonisten zu. Wie in den ersten beiden Teilen bildet Simon Peggs Gary King die zentrale Figur, um die herum alle anderen Charaktere wie Satelliten kreisen. In praktisch jeder Szene ist Gary der Dreh- und Angelpunkt, was trotzdem keine Sekunde lang nervt. Obwohl er eine typische Loser-Figur darstellt, ganz im Gegensatz zu seinen ehemaligen Schulfreunden, fällt es nicht schwer, mit ihm zu sympathisieren. Gary leidet ganz offensichtlich am Peter-Pan-Syndrom der Weigerung, erwachsen werden zu wollen und somit Verantwortung für sein Leben übernehmen zu müssen. Und wer hätte sich nicht des Öfteren gewünscht, die Unbeschwertheit einstiger Kinder- und Jugendtage mit dem Ernst (und Schmerz) des Lebens eintauschen zu können?

Die Rückkehr nach Newton Haven erweist sich für Gary als unliebsamer Schock. Denn noch ehe er einer finsteren Verschwörung auf die Spur kommt, muss er erkennen, dass die Zeit nur in seinem Herzen stehengeblieben ist, nicht in der Realität, wo plötzlich ein Pub wie das andere aussieht und sich keiner an seinen Namen erinnern kann. Inszenatorisch spielt Edgar Wright alle seine Stärken aus: Garys Jugendjahre werden als leichtfüßige Montage-Sequenz bebildert und vom jeweils passenden Soundtrack untermalt, später leistet er sich kleine Kniffe wie das Befüllen von Biergläsern als Point-of-View-Shots, die er mit jedem neuen Pub in immer kürzeren Abständen präsentiert. So ungewöhnlich es klingen mag: In dieser Phase erinnert "The World's End" an eine klassische "Coming of Age"-Story, nur mit dem Unterschied, dass der unreife Protagonist fast schon 40 Jahre auf der Lederjacke hat.

Drehbuch: Simon Pegg und Edgar Wright

Nicht nur Gary, auch seine Freunde werden mustergültig charakterisiert, worin sich der Streifen erheblich von vielen ähnlich gelagerten Filmen unterscheidet. Simon Pegg und Edgar Wright, die wie schon in den beiden anderen "Blut-und-Eiscreme"-Filmen das Drehbuch verfassten, setzen zwar erneut auf den Wiedererkennungswert der zunächst simpel gestrickt erscheinenden Figuren – beispielsweise der steife Autoverkäufer oder der pragmatische, humorlose Anwalt -, lassen die Leine aber rasch locker und gestehen ihnen zu, bei Gelegenheit wider ihren Charakter zu handeln, so es die Situation erfordert. Diese Methode ist ebenso effektiv, wie clever, erzeugt sie doch zusätzliche Spannung, da der Zuschauer unentwegt wissen möchte, wie es mit den Figuren weitergeht, nachdem sie offenbar ausgerechnet im Nest einer außerirdischen Invasion gelandet sind.

Seltsamerweise gerät der Film ins Schleudern, sobald die "fünf Musketiere", wie der nicht besonders gebildete Gary sich und seine ehemaligen Freunde an einer Stelle bezeichnet, der Bedrohung gewahr werden und die Handlung langsam in Science-Fiction-Gefilde abdriftet. Die flotten Dialoge und Kabbeleien zwischen den Figuren verlieren an Schärfe und Wortwitz, da das Drehbuch seine Story einen Tick zu ernst nimmt und in die typischen Filmklischees verfällt: Ein völlig abstruser Grund wird als Erklärung dafür aufgetischt, weshalb die Jugendfreunde nicht einfach in den Wagen steigen, verschwinden und die Polizei alarmieren, körperlich völlig untrainierte Männer um die 40 entwickeln plötzlich beachtliche Kampfqualitäten, das weibliche Love Interest ist wenig mehr als hübscher Aufputz, der von den Männern beschützt werden muss.

The World's End - überraschende Pointe

Wie grandios anarchisch war hingegen der schwarze Humor von "Shaun of the Dead", ohne in albernen Klamauk abzugleiten! Diese perfekte Balance aus grimmiger Komik und ernsthafter, stringenter Plotentwicklung fehlt "The World's End", je länger der Film dauert. Die ironischen Anspielungen und Seitenhiebe auf unsere bzw. die britische Gesellschaft sitzen größtenteils, dafür zünden nicht alle Pointen, und unentschlossen mäandert die Science-Fiction-Groteske zwischen Albernheiten und erstaunlich düsteren Szenen, die so manche Überraschung bereithalten. Die größte Überraschung liefert das Ende ab, das einem eher misslungenen Showdown eine düstere Pointe folgen lässt.

Zugegeben: All diese Kritikpunkte sind Jammern auf höchstem Niveau, woran Simon Pegg und Edgar Wright natürlich Schuld tragen, haben sie doch die Latte mit ihren sensationell unterhaltsamen Vorgängerfilmen enorm hoch gelegt. Obwohl "The World's End" nach der gelungenen ersten Filmhälfte ein bisschen die Luft ausgeht und es sogar kurze, dramaturgische Leerläufe gibt, darf man den dritten Teil der "Blut-und-Eiscreme-Trilogie" als würdigen Abschluss betrachten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Simon Pegg und Edgar Wright zu weiteren gemeinsamen Projekten zusammenfinden und uns auch künftig mit skurrilen, typisch britischen Komödien bei Laune halten. Denn angesichts unfassbar lahmer Adam-Sandler-Komödien und anderem Dummfug aus den USA, ist man für jedes Genrejuwel gleich um ein Vielfaches dankbarer. Auf den nächsten Pegg-Wright-Geniestreich möge der geneigte Zuschauer vorab ehrfürchtig mit einem Cornetto anstoßen!

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