Verena Unbehaun

Verena Unbehaun (Bild: © Vadim Bolokowski)

Keiner kann einen Idioten spielen

Im Anfang ist alles ganz friedlich, eine Frau steht vor einem Pflanzenbild und drei Darsteller tauchen in fleischfarbenen Kostümen auf. Pascal/Bernd macht schnell auf sich aufmerksam: "Katja, ich möchte deine Fotze lecken." Bei der Einübung eines Sprechgesangs, Olayahyahyah oder so ähnlich, entsteht wegen einer falschen Betonung ein Eklat und Pascal bricht darüber zusammen. Er will allerdings normal sein und hat sich in Behandlung begeben, und zwar bei Dr. Hagemann (Jörg Klemann), der ihn mit einer bizarren Therapie kurieren möchte. Hochkompetent im Gebaren wirkend, schöpft die revolutionär gesinnte medizinische Kapazität alle Möglichkeiten aus – und versagt. Im Theater gibt es ein Problem ganz anderer Art: Keiner kann einen Idioten spielen. Nach Einblendung eines Films aus dem 3. Reich möchte Bernd unbedingt eine Uniform tragen, damit ihm neue Impulse verliehen werden.

 

Mit schweren Stiefeln

Ein seltsames Nazi-Arrangement wird aus dem Boden gestampft, die gut aufgelegte Silvina Buchbauer und Stephan Thiel tragen jene martialischen "Dienstanzüge", die über die ganze Welt marschieren wollten. Mit schweren Stiefeln. Aber Thiel zieht sie aus Protest einfach wieder aus. Und Silvina Buchbauers Figur lässt sich folgendermaßen vernehmen: "Ich bin kein Mülleimer." Das Fiasko ist komplett, und Alexander sagt zum Regisseur: "Ich ficke dich kaputt." Nein, wir befinden uns hier nicht bei einer berühmt-berüchtigten Fassbinder-Probe, die Inszenierung zeigt vielmehr die Nicht-Integrierbarkeit eines Behinderten. Und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben. Das derbe Sprachpotenzial wird förmlich aus den Figuren herausgelockt, gerade in Phasen, die sich einem Desaster, einem Endpunkt nähern.

Behinderte als Gefühlsverstärker

Die Frage ist nun, warum die Theatertruppe unbedingt mit einem Behinderten arbeiten möchte. Aus Authentizitätsgründen? Aus einer sozialen Verantwortung heraus? Klar ist, dass durch einen Behinderten eine verstörende Ästhetik hinzukommt, ein Zuwachs, allerdings nicht in qualitativer Hinsicht. Tatsache ist auch, dass bei Behinderten Dinge und Äußerungen ans Tageslicht rücken, die Nicht-Behinderte in einen Mantel des Schweigens hüllen. Ein Behinderter als Gefühlsverstärker. Er drückt das aus, was andere in sich gewaltsam unterdrücken. Nun, jedenfalls sorgt Pascal/Bernd für mächtig Unruhe. Die Figur Tanja fühlt sich als eine unterworfene kapitalistische Hure wie alle. Letztlich wird Bernd ans Bett gefesselt und wie ein kleines Tier gefüttert: Er erhält zudem den Josef-Ackermann-Preis. Eine fragwürdige Auszeichnung. Der Umgang mit einem störrischen, rebellischen Behinderten ist ebenso rebellisch und krude. Der Versuch eines Happenings misslingt. Die Inszenierung ist noch lange nicht zu Ende gedacht. Dennoch ist das ein interessantes Projekt, das viel Aufmerksamkeit verdient. Manchmal sind die Unterschiede zwischen Stadttheater und Off gravierend, hier sind sie nur minimal. Der große Unterschied? Das Off-Theater beginnt meistens etwas später, wahrscheinlich mit Rücksicht auf Nachzügler.

Mongoflipper

Eine Farce von MARIAKRON

Text und Regie: Cornelius Schwalm, Dramaturgie: Sophie Nikolitsch, Bühne: Hovi-M, Kostüme: Andrea Göttert.

Es spielen: Silvana Buchbauer, Jörg Kleemann, Mareile Metzner, Matthias Rheinmeier, Stephan Thiel, Verena Unbehaun.

Theaterdiscounter Berlin

Premiere vom 29. Januar 2014

Dauer: ca. 1 Stunde 20 Minuten

Bildnachweis: alle Abbildungen © Vadim Bolokowski

 

Eine zweifelhafte Therapie

Eine zweifelhafte Therapie (Bild: © Vadim Bolokowski)

Laden ...
Fehler!