Im Drachen-Dreieck verschollen

Mit ihren 21 Jahren nimmt Jung-Archäologin Lara Croft an Bord der "Endurance" (nomen est omen) erstmals an einer großen Expedition teil. Unter der Leitung von Dr. Whitman soll die mysteriöse Pazifik-Insel Yamatai aufgespürt werden. Vergeblich, weshalb Lara eine Kursänderung Richtung Drachen-Dreieck vorschlägt, einem von heftigen Taifunen heimgesuchten Gebiet. Tatsächlich wird dem Forschungsteam ein Sturm zum Verhängnis. Die Expeditionsteilnehmer bleiben zwar unverletzt, landen jedoch auf einer ihnen unbekannten Insel und werden getrennt.

Am schlimmsten trifft es Lara, die, bewusstlos geschlagen, sich kopfüber in einer Höhle von der Decke baumelnd wiederfindet. Nachdem sie sich in letzter Sekunde befreien kann, ehe die Höhle in sich einstürzt, macht sie sich auf die Suche nach den anderen Expeditionsteilnehmern. Allmählich muss sie erkennen, dass sie sich mit Mächten eingelassen hat, die nicht nur von dieser Welt stammen …

"Tomb Raider": Nach einem Drehbuch von Pratchett ... Rhianna Pratchett

Eines vorneweg: Der Rezensent kennt lediglich eines der ersten "Tomb Raider"-Abenteuer, das er ungefähr um das Jahr 2000 herum (wir erinnern uns: Y2K, Weltuntergang – so ist es dann ja auch gekommen) eher lustlos zockte, um auch einmal mit Lara Croft in Berührung gekommen zu sein. Natürlich durch einen Bildschirm getrennt, man möchte sich ja nicht anstecken. Um auf der Welle des Hypes mitzusurfen, wurde noch rasch eine Verfilmung hinterhergeschoben, die trotz Croft-Darstellerin Angelina Jolie schwachbrüstig daherkam, von einem gefloppten Sequel ganz zu schweigen. Hype ausgebrannt, Bogen völlig überspannt. Schicht im Schacht?

Mitnichten, wie ausgerechnet ein Reboot beweist. Für gewöhnlich dienen Reboots nur dazu, dem Publikum möglichst dezent denselben Stoff mit anderen Gesichtern zum wiederholten Male unterzujubeln. Das es auch anders geht, beweist der "Tomb Raider"-Reboot. Vorbei die Zeiten des Dauerhüpfens wie weiland Super Mario, Dauerballerns sowie Such- und Schieberätseln. Lara Croft ist erwachsen geworden. Gut 100 Millionen Dollar soll die Produktion gekostet haben, und das sieht man dem Spiel auch an. Sicher, es mag absurd klingen, dass Computerspiele heutzutage mit ähnlichen Budgets wie die teuersten Hollywood-Blockbuster aufwarten, wurden sie doch noch vor wenigen Jahrzehnten in Hobbykellern oder allenfalls kleinen Büros für ein paar Dollar programmiert.

Allerdings ist der Aufwand nicht im Entferntesten zu vergleichen. Ein kinoreif inszeniertes Spektakel wie eben "Tomb Raider" überzeugt alleine schon mit modernster Grafik und eigenem Soundtrack. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen. So stammt etwa das Drehbuch zum Adventuregame von Rhianna Pratchett. Das ist nicht die Sängerin, die meist freizügiger als Lara Croft in ihren besten Zeiten gekleidet ist, sondern die Tochter des Fantasyautors Terry Pratchett. Freilich: Die skurrile Fantasy ihres berühmten Vaters bricht sich in "Tomb Raider" nicht die Bahn. Zwar nimmt sich die Story einer alten Legende an, doch die Fantasy-Elemente halten sich dezent im Hintergrund.

Lara Croft lernt bei Nathan Drake

Unmissverständlich war Lara Croft einst an Indiana Jones angelegt, nur mit größeren Brüsten und mehr Wummen. Dieser Vergleich hinkt heute, denn aus der augenzwinkernden Abenteurerin ist eine ernsthafte, mitunter an sich selbst zweifelnde junge Frau geworden. Nachdem sie einen Mann in Notwehr umbringen musste, befindet sie sich in einer Sinnkrise. Das ist zwar nachvollziehbar und lässt Lara zunächst menschlicher erscheinen. Doch mit Fortdauer des Adventuregames steigert sich der Bodycount erheblich, ohne dass derlei Zweifel je wieder bestünden. Insofern wirken Laras Zweifel, ob sie das Richtige getan hat, bemüht aufgesetzt.

Die Änderungen ihres Charakters wie auch Aussehens schadeten ihrer Beliebtheit jedenfalls nicht. Ein Jahr nach Verkaufsstart soll das "Tomb Raider"-Reboot bereits sechs Millionen Exemplare abgesetzt haben. Nicht unmaßgeblich für diesen Erfolg dürften die unübersehbaren Anleihen bei Genre-Primus "Uncharted" gewesen sein.

Spielte man einen Teil der Hit-Reihe von "Naughty Dog" ("The Last of Us") parallel zu "Tomb Raider", könnte es streckenweise schwerfallen festzustellen, welche Figur in welches Spiel gehört. Sowohl grafisch, als auch in Punkto Gameplay erinnert Vieles an "Uncharted". Insbesondere die Klettertouren, die sich zu einem wesentlichen Spieleelement entwickeln, unterscheiden sich kaum von jenen, die "Uncharted"-Held Nathan Drake bewältigen muss.

Mehr lachen, weniger schießen, Lara!

Was dem Reboot von "Tomb Raider" hingegen schmerzhaft fehlt, sind neben ein bisschen Humor auch interessante Schurken bzw. Nebenfiguren mit Tiefe. Zwangsläufig konzentriert sich ein solches Spiel auf eine einzige Figur. Doch während in "Uncharted" Drakes väterlicher Freund Sully für auflockernde Dialoge, in denen leichthin für den Spieler nötige Informationen getauscht werden, sorgt, fehlt eine solche Bezugsperson in "Tomb Raider" trotz Laras Beteuerungen, wie wichtig ihr die Expeditionsteilnehmerin Sam sei. Eine richtige Beziehung zwischen den beiden findet nicht statt, oder wie ein Korinthenkacker an dieser Stelle vermerken würde: Show, don't tell!

Drakes Freundschaft zu Sully baut sich auf völlig natürliche Weise auf, wobei sich die beiden anfangs sogar nicht einmal wohlgesonnen sind. Bei Lara Croft fühlen sich die Interaktionen zwischen den Figuren steril und unnatürlich an, was "Naughty Dog" sehr viel besser umgesetzt hat, nicht nur in "Uncharted", sondern insbesondere in "The Last of Us". Ebenso wenig Platz wird dem Humor eingeräumt, was insofern schade ist, da viele Situationen Platz für bissige Kommentare oder auflockernde Sprüche bieten würden.

Einen weiteren kleinen Kritikpunkt muss man in Punkto Action anbringen: Anfangs hält sich das Spiel wohltuend mit Shooter-Einlagen zurück, sodass diese neben den Rätseleinlagen tatsächliche Highlights darstellen. Gerade wenn es Richtung Showdown geht, nehmen die Schießereien jedoch überhand. Hier wäre weniger deutlich mehr gewesen. Eventuell wäre eine breitere Streuung der Kämpfe eine überlegenswerte Alternative.

"Tomb Raider"-Reboot macht Lust auf mehr

Die Story selbst wird ausführlich gesponnen, wobei sich manche Aufgaben jedoch wiederholen, was nach künstlicher Spielzeitverlängerung riecht. Nötig hätte dies die Geschichte, für die man locker ein paar Abende einplanen kann, jedenfalls nicht, auch wenn der Showdown selbst nicht übermäßig spektakulär gelungen ist.

Das sind aber auch schon die einzigen Kritikpunkte, die der Rezensent herausstreichen möchte. Im direkten Vergleich mit den "Uncharted"-Spielen hinkt der erste Teil des "Tomb Raider"-Reboots ein wenig nach. Allerdings ist ein solcher Vergleich mit dem Genre-Primus ein wenig unfair, denn welche Spielereihe kann sich schon mit "Uncharted" messen?

Ein wenig Luft nach oben gibt es noch, doch die neue Lara Croft sorgt für viele Stunden Spielspaß, und das ist letztendlich alles, was zählt. Nachhaltig in Erinnerung bleibt von der Story zwar nichts, aber auch das wäre zu viel verlangt. Vielleicht rückt "Tomb Raider" ja bereits mit dem nächsten Abenteuer "Uncharted" gefährlich nah auf die Fersen? Zumal laut "Naughty Dog" Nathan Drake mit dem vierten Spiel am Ende seiner Reise angelangt ist, womit ein Plätzchen ganz oben wieder frei wird. Und warum sollte ihn nicht Lara Croft ausfüllen, wie es ihr seinerzeit mit ihrem BH gelungen ist?

rainerinnreiter, am 07.01.2016
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