Dr. Schiwago – ein Buch, ein Film und eine unsterbliche Melodie

Der einzige Roman des russisch-sowjetischen Schriftstellers Boris Pasternak (1890 – 1960) war sein vermutlich größter Erfolg, zugleich jedoch das Ende seines Berufslebens. Doktor Schiwago erschien 1956 – im westlichen Ausland, wohin das Manuskript geschmuggelt wurde, nachdem es in der Sowjetunion nicht gedruckt werden durfte.

Der Tradition russischer Schriftsteller folgend, enthält der Roman eine nahezu unüberschaubare Vielzahl an handelnden Personen. Sie alle versuchen, vor und während der bolschewistischen Oktoberrevolution sowie im anschließenden Bürgerkrieg ihren Weg zu finden. Der tragische Hauptheld, Juri Schiwago, wird zwar Arzt und dient in dieser Eigenschaft im Ersten Weltkrieg sowie gezwungenermaßen später im russischen Bürgerkrieg an der Front. Eigentlich ist er jedoch schöngeistig und philosophisch veranlagt, verzweifelt an persönlichen und gesellschaftlichen Umständen und stirbt schließlich 1929 an einem Herzinfarkt. Die Romanhandlung endet allerdings erst rund 20 Jahre später.

Weltweiten, ewigen Ruhm erlangte das Werk durch eine Verfilmung mit Omar Sharif aus dem Jahr 1965 mit der zum Klassiker gewordenen Titelmusik "Laras Theme". Der Film reduziert zwar die äußerst vielschichtige Handlung des 700seitigen Romans stark, macht aber durch eindrucksvolle Szenen deutlich, was sich vermutlich nicht jeder Leser wirklich vorstellen konnte: Die grenzenlose Unmenschlichkeit der bolschewistischen Horden, resultierend aus der totalitären linken Ideologie. Halbwüchsige werden ermordet, unwiederbringliche Kunstwerke zerstört und Menschen gezwungen, gegen ihr Gewissen zu handeln. Exemplarisch dafür sind die Szenen, in denen der Politkommissar einem ganzen Trupp bewaffneter Männer nur durch Worte seinen Willen aufzwingen kann. Widerworte werden als Feigheit interpretiert, während der Politkommissar selbst bei Gefechten im Schutz des Waldes zurückbleibt…

Angesichts jener überdeutlichen Entlarvung linker Politik gerät bisweilen in Vergessenheit, dass diese fürchterliche Ideologie lediglich den Hintergrund bildet, vor dem sich das persönliche Drama, die geistige Entwicklung und das Liebensleben des Doktors abspielen. Offenbar befürchteten auch die kommunistischen Machthaber diese Wahrnehmung. In der DDR war Doktor Schiwago deshalb, wie im gesamten Ostblock, verboten. Der Roman soll nur heimlich in Form von westlichen Sonderdrucken auf extra dünnem Papier in die DDR gelangt sein.

Für Boris Pasternak selbst hatte die Sache sehr unschöne, jedoch vergleichsweise glimpfliche Folgen. Er profitierte vermutlich von der kurzen Tauwetter-Periode nach Stalins Tod. Pasternak wurde öffentlich beschimpft, galt als Volksverräter und konnte auch nicht mehr als Schriftsteller arbeiten. Immerhin zog die Angelegenheit jedoch keinen Schauprozess nach sich, so dass Pasternak 1960 ein natürlicher Tod vergönnt war. Wie sein Held Doktor Schiwago erlitt er einen Herzinfarkt.

Von Tieren und einem großen Bruder

Der Bannstrahl linker Diktatoren traf auch die beiden vermutlich bekanntesten Werke des britischen Autors George Orwell (eigentlich Eric Arthur Blair): Der 1945 erschienene Roman "Animal Farm" (deutscher Titel: Farm der Tiere) beschreibt, wie die Tiere eines Bauernhofes ihren ausbeuterischen Besitzer davonjagen, um eine Gesellschaft der Gleichheit und Gerechtigkeit zu errichten. Bald ergreifen aber einige Schweine mit Hilfe der Hunde die Macht. Nach anfänglichen Erfolgen bröckelt die wirtschaftliche Basis immer mehr, was meist propagandistisch beschönigt wird. Nicht zu leugnende Misserfolge werden internen und externen Gegnern angelastet. Es kommt zu Todesstrafen, Machtmissbrauch und Korruption. Jegliches Handeln der Schweine widerspricht zwar den selbst gesetzten Regeln der Tiere, was aber durch kurze Satzanhänge einfach uminterpretiert wird. Letztendlich gehen die Schweine sogar Zweckbündnisse mit den Menschen ein. Alle in einer Diktatur vorhandenen Gesellschaftsgruppen werden durch bestimmte Tiere charakterisiert. Es gibt schweigende Angepasste, fleißige, schlicht denkende Arbeiter, Empörte, Religiöse…

Die Bezüge zum Kommunismus, insbesondere zum Sowjetreich und dem Hitler-Stalin-Pakt, dürften für damalige Zeitgenossen Orwells dermaßen klar auf der Hand gelegen haben, dass "Animal Farm" im gesamten Ostblock verboten blieb. Die Grundaussage war schließlich nicht zu leugnen: Im Kommunismus sind alle gleich. Nur die Schweine sind gleicher... Im Westen wurde das Buch mehrfach verfilmt.

 Das letzte literarische Werk George Orwells entstand 1949, ein Jahr vor seinem Tod. Es trug den schlichten Titel "1984". Das darin vorkommende Schlagwort "Big Brother is watching you" hat mittlerweile in den allgemeinen Sprachgebrauch Einzug gehalten. Der Roman beschreibt eine Situation, in der die Welt in drei miteinander verfeindete Riesenreiche aufgeteilt ist, von denen eines Ozeanien heißt. Propaganda sowie allgegenwärtige Überwachung des Tuns, Redens und Denkens sichern den Machterhalt eines pyramidenförmig aufgebauten Herrschaftssystems. Sobald sich die jeweilige Parteilinie ändert, muss beispielsweise auch die Geschichtsschreibung angepasst werden.

1984 ist allerdings nicht allein auf die linke Ideologie gemünzt, sondern eher eine Warnung vor jeglicher Diktatur, anschaulich gemacht anhand des kommunistischen "Vorbilds". Der Besitz des Buches wurde in der DDR mit mehrjährigen Zuchthausstrafen geahndet.

Der Archipel Gulag

Der 1973 erschienene Roman "Der Archipel Gulag" gehört so genannten Lagerliteratur. Gulag ist ein aus der offiziellen Bezeichnung des sowjetischen Systems der Vernichtungs- und Straflager gebildetes Akronym. Er beschreibt den auf maximale Ausbeutung und anschließende Vernichtung ausgelegten Alltag in Straflagern auf dem Gebiet der Sowjetunion. Vielleicht aus diesem Grund ist die Darstellung der Umstände gegenüber der eigentlichen Handlung recht stark gewichtet. Der Roman entstand ab Ende der 1950er Jahre als zweites Buch des Schriftstellers Alexander Solschenizyn zu diesem Thema und gilt heute als sein Hauptwerk.

Manuskriptteile der bereits in den Westen geschmuggelten Rohfassung fielen 1973 dem KGB in die Hände, retteten dem Autor aber paradoxerweise dadurch das Leben: Der Geheimdienst war sich offenbar bewusst, dass die Veröffentlichung des Buches im Westen nicht mehr zu stoppen war. Deshalb schickte man den unliebsamen Schriftsteller kein zweites Mal in die Straflager– denn Solschenizyn verarbeitete in dem Roman neben den Erlebnissen anderer Häftlinge auch eigene Erfahrungen. Der Roman sorgte für Verstörung bei Linksintellektuellen in ganz Westeuropa. Die Wohlfühlblase des linken Establishments, das den Kommunismus vergötterte und schönredete, ohne selbst unter dessen Knute leben zu müssen, platzte. Bis heute reagieren linke Theoretiker darauf mit der Ausrede, die Verbrechen des Kommunismus hätten mit der wahren linken Ideologie nichts zu tun…

Deutlich pragmatischer reagierten die ostdeutschen Diktatoren auf das Buch: Es wurde in der DDR verboten. Der Besitz einer westlichen Ausgabe oder eines oppositionellen Untergrund-Drucks barg das Risiko der Verurteilung wegen staatsfeindlicher Hetze oder ähnlicher Pseudo-Verbrechen.

Verdeckte Verbote, Totschweigen und Zensur

Neben solchen offensiv verbotenen Werken gab es auch einen Grauzonen-Bereich. Dazu gehörten beispielsweise Filme oder Lieder ehemaliger DDR-Stars, die in den Westen geflohen waren oder anderweitig als nicht mehr linientreu galten. Manches davon wurde schlichtweg vom Markt genommen. Bekanntestes Beispiel solcher Totschweige-Aktionen dürfte "Spur der Steine" mit Manfred Krug in der Hauptrolle sein. Unangepasste Bands wie Renft oder deren inoffizielle Nachfolge-Combo Karussell wiederum wurden entweder aufgelöst oder neu formiert. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Künstler von einer staatlichen Auftrittserlaubnis und dem Berufsmusiker-Ausweis machte da viel möglich. Noch subtiler ging die linke Zensur im kirchlichen Bereich vor. Zwei Klassiker des (damals) modernen geistlichen Lieds sollen hier beispielhaft genannt werden:

 In Wir woll'n bezeugen spricht die zweite Strophe davon, dass "Angst und Hass und Macht und Geld" regieren. Sie durfte deshalb nicht mit abgedruckt werden. Die Sache hatte allerdings einen Bummerang-Effekt, sobald die Strophen nummeriert wurden. Denn natürlich fragte man sich dann, warum auf Strophe 1 plötzlich Strophe 3 folgte…

Beim Lied "Herr deine Liebe" wiederum erregte ein Wort in Strophe 3 Anstoß. Dort heißt es: "Und dennoch sind da Mauern zwischen Menschen". Das Wort "Mauern" musste in ostdeutschen Liederbüchern durch das weniger auffällige "Wände" ersetzt werden… Interessant ist allerdings, dass angesichts des schlimmen Wortes "Mauer" andere Passagen des Liedes offenbar von der Zensur übersehen wurden.:

  • "Wir wollen Freiheit",
  • "ein Gefängnis, gebaut aus Steinen unsrer Angst"
  • "Freiheit, sie gilt, für Menschen, Völker, Rassen…"
Donky, am 06.01.2022
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Autor seit 12 Jahren
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