Volksbühne Berlin: Kritik von "Baumeister Solness" – Frank Castorf
Premiere. Der Regisseur Castorf macht aus Henrik Ibsens Drama ein gehobenes Boulevard-Theater. Die Zuschauer befinden sich ständig im Lachmodus.Flucht aus der beengenden Häuslichkeit
Daniel Zillmann
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Bei Ibsen ist Solness' Gattin Aline eine resignierte Frau, die in einem halben Dämmerzustand dahinvegetiert. Nicht so bei Castorf, der aus dieser Figur eine zickige Xanthippe mit massiven Hausfrau-Allüren macht. Für die hat er ausgerechnet Daniel Zillmann genommen, und das bedeutet Dynamik und Überfülle, auch in körperlicher Hinsicht. Einmal liegt Zillmann auf dem Rücken, mit entblößtem Oberkörper, und wir blicken auf extrem breite Oberschenkel und heftig wallende Fleischwülste. Wegen der anstrengenden, nervigen Gattin muss sich der lebensgierige Baumeister zwangsläufig anders orientieren, er sucht sein Glück bei der Sekretärin Kaja (Jeana Paraschiva), die als wadenloses, zartes, aber robustes Weib daherwandelt. Ausgerüstet mit einer Schwarzhaar-Perücke, passt sich die Rumänin Paraschiva mit außerordentlichem Geschick den Gepflogenheiten der Volksbühne an. Die obligatorischen Stöckelschuhe, auf die der vermeintliche Fetischist Castorf anscheinend besteht, dazu das von Kathrin Angerer abgekupferte Nölen, allerdings in anderer Modulation, der ein rauchiger Beiklang hinzugemischt wird.
Ein Spaßvogel mit dunkler Sonnenbrille
Die Bühne (Bert Neumann) ist ein klassisches Wohnzimmer mit eingebauter Schrankwand und einem Liebesgemälde, unterteilt von einem Paravent, der auf der linken Seite zu einer gediegenen Einbauküche führt. In der Mitte des Raums steht ein mit braunem Stoff drapierter Sessel, dem am Kopfteil beinahe Flügel gewachsen sind. Bei den Kostümen hat Neumann leider danebengelangt, sie sind teilweise geschmacklos. Um zu beweisen, dass er in der Volksbühne kein Notbehelf, kein Ersatzteil am Rasenmäher ist, hat Hosemann den Wuttke-Turbo angeworfen. Das bedeutet: Hochdruck-Theater mit komischen Ingredienzien und vielen Slapstick-Einlagen. Das Feinnervige ist seine Sache nicht, optisch ist er ein Spaßvogel mit einer dunklen Sonnenbrille, die aufklappbare Gläser hat. Einmal kommt es zu einer prägnanten Szene mit Kaja: Die Buchhalterin liegt auf ihm, als würde sie ihn vergewaltigen, und spritzt ihm mit einer Wasserflasche das Gesicht voll. So ist die Liebe bei Castorf: Viel Gier, viel ungebremste Leidenschaft, Sucht auch, Inbrunst, aber nirgendwo Zartgefühl, umschleiert von romantischen Gefühlen.
Luftschlösser bauen und scheitern
Henrik Ibsen im Alter
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Nie ein Zeitmanager gewesen, hat der 62-jährige Regisseur neuerdings eine Zeitstrategie entwickelt: Die Pause der vierstündigen Inszenierung erfolgt schon nach anderthalb Stunden, damit etwaige erschöpfte Zuschauer nicht vorzeitig abrücken. In der Tat, fast alle Zuschauer bleiben, es sind wohl nur Hardcore-Anhänger bei der Premiere anwesend. Um den Harndrang der Zuschauer hat sich Castorf nie gekümmert. Dreistündige Aufführungen wie "Endstation Amerika", "Nord" oder "Ozean" waren fast ein Gnadenakt fürs Publikum. Ein Gnadenakt ist es auch, dass Castorf noch einmal den Fassbinder- und Volksbühnen-Veteran Volker Spengler auftreten lässt, zumindest in der ersten halben Stunde. Eine Referenz an einen Altgedienten aus dem Pykniker-Kabinett. Und dann natürlich Kathrin Angerer, die längst zum Inventar der – manchmal konservativ denkenden - "Marke" Volksbühne gehört. Sie spielt Hilde Wangel, die das vom Baumeister versprochene castle in the air einfordern möchte. Luftschlösser werden überall gebaut, vor allem in der Volksbühne, und Angerer, umfangen von einem vergilbten Mädchen-Traumschloss, spielt gewohnt hysterisch, überspannt, leicht sehnsüchtig und solide.
Bildungsbürger werden gerettet
Es ist auch ein Schlagerabend. Drei Schlagersongs werden eingespielt, einer davon ist "Wir" von Freddy Quinn, hinzu kommt die Pantomime von Hosemann. Dies ist ein kleinbürgerlicher, spießiger Protestsong gegen die protestierende Gammler- und Hippie-Szene. Wir sind die Guten und ihr seid die Bösen, und bei ‚ihr" zeigt Hosemann ins Publikum, das angesichts der Persiflage kräftig applaudiert. Es ist viel Boulevard in diesem Theater, zumal Senioren-Puppen wild herumgeworfen werden. Aber für reines Boulevard-Theater ist es doch ein bisschen zu prätentiös, es ist zu intellektuell aufgeladen, dadurch werden jene Bildungsbürger gerettet, die das Kudamm-Theater meiden. Im Übrigen ist die Inszenierung äußerst selbstreferenziell: Die Sekretärin Elke wird öfters erwähnt – Castorfs Sekretärin heißt so – und dann Kathrin Angerer, die einen Nachfolger für Frank sucht. Selbstironie, alles wie gehabt. Am Ende frenetischer Beifall wie beim neuen Volksbühnen-Papa Herbert Fritsch. Anscheinend gibt es einen neuen Castorf-Kult, einen Kult über einen, der als Fossil nach dem Zusammenbruch des alten Ensembles von den Kritikern fast drei Jahre heruntergeschrieben wurde. Und dabei liegt die durchaus interessante, nie langweilende Inszenierung nur knapp über der Durchwachsenheit.
Baumeister Solness
nach Henrik Ibsen
Regie: Frank Castorf, Bühne und Kostüme: Bert Neumann, Licht: Lothar Baumgarte, Musikalische Einrichtung: Klaus Dobbrick, Dramaturgie: Sebastian Kaiser.
Mit: Jeana Paraschiva, Daniel Zillmann, Marc Hosemann, Kathrin Angerer, Volker Spengler, Horst Lebinsky.
Volksbühne Berlin
Dauer: 4 Stunden, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)