Volksbühne Berlin: Kritik von "Don't be evil" - Kay Voges
Ein Abend über die Schrecken des Internets. Hemmungslos werden farbenfrohe Nummern aneinandergereiht, dass man sie kaum noch auseinanderhalten kann.Uwe Schmieder (Bild: © Julian Röder)
Sender und Empfänger
Wer in den Nuller-Jahren in der Freien Szene Berlins unterwegs war, kennt zweifelsohne Uwe Schmieder, der seinen Kulminationspunkt 2005 bei der Marathon-Veranstaltung "Peer Gynt" in den Sophiensälen erlebte, als er von einem begeisterten Publikum frenetisch gefeiert wurde. Längst hat der einst Hafenlose einen Anker gefunden, und zwar in der Bierstadt Dortmund, wo er, gealtert und optisch stark verändert, seine nicht zu leugnenden Künste zelebrieren kann. Nun spielt er Bertolt Brecht, der eine mitnichten originelle Rede über das Radio hält. Die Verschmelzung von Sender und Empfänger, das Warten auf die Öffentlichkeit und das Erwarten der Öffentlichkeit? In Wahrheit war das Radio damals schon ein massives Manipulationsinstrument, heutzutage abgelöst vom Fernsehen, das von vielen Menschen wahrgenommen wird, als würde der heilige Geist daraus sprechen – dagegen ist das Internet ein Unter-Kanal. Aber immerhin Brecht, also klettert Schmieder ins Publikum – ein Fassadenkletterer der ungewöhnlichen Art. Später ist er in einer SM-Show Sklave einer Domina, was sich Voges dabei einfallen lässt, ist nicht gerade berauschend. Wenn das auch ein Aspekt der bösartigen Internet-Welt sein soll – der User als hilfloser Affe –, so lässt sich leider sagen, dass Voges für die Einbringung von Effekthaschereien viel, aber für den Erkenntnisgewinn fast gar nichts geleistet hat.
Viel Bein und Leder: Sylvana Seddig
© Julian Röder
Wüste Beschimpfungen
Offensichtlich ist der Regie führende Intendant mit seiner Arbeit nicht ganz ausgelastet, sonst würde er sich nicht so häufig im Netz aufhalten. Warum sich diese Selbstquälerei antun, viele Shitstorms erreichen das anvisierte Publikum gar nicht, weil die Ohren verschlossen sind für Leute, die mit ihren wüsten Beschimpfungen primitiv Dampf ablassen wollen. Das alles wird in rund zwei Stunden dargestellt und die Schauspieler*innen agieren unter vibrierender Hochspannung. Gegen die Schauspielkunst lässt sich nichts sagen, wenn da nicht die verkrampften Inhalte wären, die alles abklappern, was irgendwie zur Debatte steht, bis hin zu Jesus, der, zerbrechlich und bettelarm, nie gearbeitet hat und sich über die Pharisäer aufregt. Der Kamerachef Voxi Bärenklau, einst Schlingensief-Beamter, überflutet die Bühne mit Bilderwelten, die vom Archaischen bis in Phantasielandschaften reichen und zahlreiche Assoziationen freisetzen, die scharf konturierte Synästhesien schalten. Die Inszenierung ist durchaus akzeptabel – wenn man zuweilen weghört oder die Ohren verstopft.
Don't be evil.
von Kay Voges & Ensemble
Regie: Kay Voges, Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Kostüme: Mona Ulrich, Director of Photography: Voxi Bärenklau, Videokunst und -design: Robi Voigt, Filmmontage und Live-Schnitt: Andrea Schumacher, Kamera: Jan Isaak Voges, Musik: Paul Wallfisch, Dramaturgie: Ulf Frötzschner, Matthias Seier.
Mit: Sylvana Seddig, Vanessa Loibl, Andreas Beck, Manolo Bertling, Susanne Bredehöft, Julia Schubert,Werner Strenger, Uwe Schmieder.
Premiere war am 2. Oktober 2019, Kritik von 4. Oktober 2019,
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)