Lilith Stangenberg

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Das Team der All-Stars wirbelt auf

Viele Dichter werden aufgefahren, Paul Celan beispielsweise, während einer U-Bahn-Fahrt. Die Worte kennen wir alle: "Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends... Der Tod ist ein Meister aus Deutschland." Der dem KZ entronnene sensible Dichter meinte natürlich: Der Mord ist ein Meister aus Deutschland, aber er war vorsichtig in den reaktionären Adenauer-Zeiten. Castorf lässt den Text zweimal aufsagen, da ist er ja noch gnädig im Vergleich zu kampagnefreundlichen Politikern, die glauben, eine Parole werde objektiver und wahrer, wenn sie hundertmal wiederholt wird. Auch die moderaten Wiederholungen sind Castorf in Reinkultur, besonders auffällig war es Anfang 2004 in "Kokain" von Pitigrilli, als Jonathan Meese noch die Bühne gestaltete. Heute ist es Aleksandar Denić, der eine märchenhafte Zauberlandschaft errichtet hat, die optisch tausend Geheimnisse in sich birgt. Von "Kokain" sind nur noch Marc Hosemann und Alexander Scheer dabei. Hosemann ist ein etwas ulkiges Teufelchen, das sich mit dem zwielichtigen Faust – Wuttke trägt nach der Pause zeitweise eine Iggy-Pop-Perücke – arrangiert. Ansonsten wird wie üblich viel zitiert von Autoren, die nur entfernt etwas mit "Faust" zu tun haben. Dokumente von Castorfs offensiv präsentierter Belesenheit, so auch Zolas Prostituierten-Roman "Nana", den manch einer zuletzt vor 30 Jahren als Abiturient gelesen haben mag, um sich fürs Bordell einzustimmen. Lilith Stangenberg, ein grandiose Schauspielerin mit sinnlicher Ausstrahlung, ist darin verwickelt. Das blonde Gift wird assistiert, wirbelt in doppelter Ausfertigung.

 

Feuerwerk mit viel Effekthaschereien

Man braucht es eigentlich nicht mehr zu erwähnen: Es ist ein Verausgabungstheater. Diesmal wird ein wahres Feuerwerk abgebrannt, das vergangene Durststrecken vergessen macht. Von Chronologie hält der regieführende Meister wenig. Irgendwann dazwischen tauchen Philemon und Baucis aus "Faust II" auf, quasi auf dem Opferaltar des faustischen Fortschrittsdenkens. Scheer lümmelt sich mit lässiger Geste auf einer Liege. Und Sophie Rois taucht noch vor der Pause als Hexe auf, mit einer punkigen Frisur, als hätten sich Castorf und seine Kostümfrau Adriana Braga Anfang der 80er-Jahre eine Weile in Chelsea aufgehalten, wo es von diesen Frauentypen nur so wimmelte. Zwei Personen, die gar nicht zum Personalstamm gehören, fallen auf. Valery Tscheplanowa, die Gretchen und Helena spielt und gern barbusig herumläuft, und Lars Rudolph, der sich wie üblich schräg, sperrig, kauzig und etwas durchgeknallt zeigt. Einen stinknormalen Biedermann kann der gar nicht spielen. Der Autodidakt Frank Büttner brüllt etwas ins Publikum, als befinde er sich noch bei "Medea", wo auf der linken Seite ein anderes Stück gespielt wurde als rechts. Es ist eine gewaltige Nacht, ohne Zweifel. Doch der Stöckelschuh-Anhänger Castorf unterliegt mitunter seiner etwas fatalen Schwäche: Er opfert ernsthafte Szenen seiner nicht niederzuhaltenden Neigung zu quirligen Verschmocktheiten. Was die Vorliebe für Effekthaschereien anbelangt, ist er ein Kind Schillers, ohne es zu wissen. Insofern passt auch das auf dem Platz stehende Räuberrad (die Götter mögen es aus Nostalgiegründen erhalten). Zum Abschluss wurde es trotz kleiner Defizite eine außerordentliche Erfrischung. Ein Abschied mit arg viel Wehmut.

Faust
nach Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Frank Castorf, Bühne: Aleksandar Denić, Kostüme: Adriana Braga, Licht: Lothar Baumgarte, Kamera: Andreas Deinert, Mathias Klütz, Videoschnitt: Jens Crull, Maryvonne Riedelsheimer, Musik/Ton: Tobias Gringel, Christopher von Nathusius, Tonangel: Dario Brinkmann, Lorenz Fischer, William Minke, Cemile Sahin, Dramaturgie: Sebastian Kaiser.
Mit: Alexander Scheer, Lilith Stangenberg, Martin Wuttke, Daniel Zillmann, Marc Hosemann, Valery Tscheplanowa, Lars Rudolph,Hanna Hilsdorf, Thelma Buabeng, Frank Büttner, Angela Guerreiro, Abdoul Kader Traré, Sir Henry, Sophie Rois.

Volksbühne Berlin

Premiere war am 3.März 2017, Kritik vom 18. März 2017.
Dauer: 420 Minuten, eine Pause


 

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