Eine Gewissensbildung wird idealerweise früh geprägt

Viele Eltern und Pädagogen machen sich ungewollt mitschuldig an der Verrohung der jungen Menschen. Denn Gesetze leben vom Unrechtsbewusstsein und vom Vorhandensein eines Gewissens. Wer aber, wie heutzutage viele Kinder, keine Ahnung vom Gut und Böse hat, kehrt zu den Gesetzen des Dschungels: "Fressen oder gefressen werden" zurück.

Grundgesetz und Menschenwürde bedingen einander

Im Vorwort der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und des Grundgesetzes ist von der Verantwortung vor Gott und dem Menschen die Freiheit und die Würde des Menschen zu sichern, die Rede. Sicher fällt es niemandem von uns schwer anzuprangern, wie diese von der Verfassung garantierten Rechte auch in diesem Land mit Füßen getreten werden.
Mir geht es nicht darum, diese für den einzelnen oft lebensbedrohenden Missstände anzuprangern, sondern umgestalten zu helfen.

Die Bedeutung des W o r t e s

Zu bedenken ist::

Konservative, Liberale und Denker des linken Flügels in den zeitgenössischen Schulen der Sprachphilosophie stimmen in einem überein: Nicht das Werkzeug hat den Menschen zum Menschen gemacht, sondern das Wort. Nicht der aufrechte Gang und der Stock, um damit nach Nahrung zu graben oder zu kämpfen, machen den Menschen zum Menschen, sondern die Sprache. Menschen sprechen und hören zu, aber nur wenige Kulturen haben es geschafft, ihre Sprache in die Literatur zu bringen.

Viele Pädagogen stellen einen Zusammenhang zwischen dem Analphabetentum und Gewalt und der Missachtung der Würde des Gegenübers her.

Lesen lernen bedeutet Leben lernen

Um einer unguten, sprachlosen, gewalttätigen Entwicklung vorzubeugen, hat schon der Baden-Württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel in seiner Regierungserklärung vom 19. Juni 1996 eine Initiative der Landesregierung zur Lese- und Literaturförderung in Baden-Württemberg angekündigt. So entstand die Aktion "Baden Württemberg: Orte für Worte, Literatur lesen.” Sie richtet sich an alle Menschen in unserem Land, denen das Lesen nicht gleichgültig ist, denn Sprichwörter, Redensarten und Geschichten stehen für uns wie Goldkörner der Wahrheit im Strom der Zeit vom Mittelalter bis in die Gegenwart.

Sind literarische Museen überflüssig?

Leider hat sich gezeigt, dass der Besuch dieser literarischen Museen im Einzelnen sehr unterschiedlich, insgesamt aber nicht befriedigend ist. Es wurde daher zum 1.1.1998 die "Bespielung" dieser literarischen Museen mit einem Haushaltsansatz von 30.000 DM insgesamt an die staatlichen Fachstellen für das öffentliche Bibliothekswesen übertragen. Die Begründung lautete: Diesen sei durch ihre regionale Nähe und Sachkunde der kulturellen Infrastruktur an den betreffenden Orten eine "Bespielung" leicht und effizient möglich. Muss dieser Entwicklung nicht gegengesteuert werden?

Überlegungen zur Sprache und der Schrift

Nach Zählungen der UNO haben von den 3. 000 Sprachen, die heute in der Welt gesprochen werden, ganze 78 eine Literatur. Von diesen erfreuen sich klägliche 5 oder 6 einer internationalen Resonanz. Die Lese-und Schreibkundigen bilden in der Weltbevölkerung nur eine kleine Minderheit. Aber Lese- und Schreibkenntnisse befähigen Menschen, ihre Meinung so auszudrücken, wie es schriftlosen Völkern nie möglich sein wird. Viele haben heute die Möglichkeit, in jene andere Welt die Einbahnstraße des Lesen- und Schreibenkönnens hinüberzuwechseln.

Nicht lesen zu können, hat in der Regel nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun; das Gegenteil ist eher der Fall. Es gehört schon etwas dazu, den Pädagogen durch die Maschen zu schlüpfen. Oft fehlen einfach die weiterreichenden Überlegungen, um die Wichtigkeit des Lesens im Alltag zu erfassen. Wer nicht lesen kann und will, der ist in unserer modernen Welt auf eine besondere Weise einsam. Aufgrund dieser besonderen Lage sind die Versuche der Lehrer mithilfe von Computern und deren Software ihre Schüler aus den Klauen des Analphabetismus zu befreien, vielfach nur mit mäßigem Erfolg gekrönt.

Schüler und Lehrer sind sich beim Vermitteln eines Lehrstoffes nicht einig

Schüler sehen Sinn und Zweck des Ganzen oft nicht ein, zumal einige Lehrer nicht berücksichtigen, dass die Anfänge der mündlichen Überlieferung weit vor der Zeit der ersten Schrift liegen und ihre Wurzeln im Spaß und Spiel haben. Außerdem: Kinder sind die besten Lehrer der Welt. Ohne ein Wort sprechen zu können, bringen sie ihre Eltern dazu, ihre elementaren Wünsche möglichst rasch zu befriedigen. Deshalb wäre es logisch, zu erforschen, wie sie lesen lernen wollen.

Negativbeispiele von Amerika sollten uns als Warnung dienen. Dort ersetzt der Fernsehapparat bei vielen Kindern (besonders von Einwanderern) das Erlernen der neuen Sprache und somit fehlt die Grundlage des Lesens. Die Sprachwissenschaftlerin Breyne Arlene Moskowitz erklärt: "Als alleiniges Medium zum Erlernen von Sprache ist ein Fernsehapparat ungeeignet, denn wenn er auch Fragen stellen kann, so kann er doch die Fragen des Kindes nicht beantworten.”

Fernseher sind als Sprachvermittler ungeeignet

Frühmorgens angestellt, plappert der Apparat in manchen Haushalten ohne Unterlass bis spät in die Nacht hinein; denn Schweigen bedeutet für die Massenmedien Einnahmeverluste. Viele Eltern wissen nicht:” das Fernsehen verhindert den Kontakt mit sich selbst. "Sprechen lernt man durch Sprechen.” Das Fernsehen schafft ein Klima, das dem Geschichtenerzählen den Garaus macht. Wenn die Spezialisten recht behalten, wird es einem Kind, das mit einer irrealen Welt aufwächst, später einmal schwer fallen, sich eine Welt vorzustellen, in der man ohne Gewalt Überleben kann. Wer nie gelernt hat, sich verbal auszudrücken und von Menschen verstanden zu werden, wird in extremen Situationen auf Gewalt zurückgreifen. Die Erfahrungen hat man sich ja schon bei der Schulung von Legionären zunutze gemacht.

Warum Geschichten erzählen wichtig ist

Vordem war Geschichten erzählen das Herzblut des Volkes. Zu allen Zeiten bettelten Kinder: ”Erzähl mir was von früher” und erfuhren somit etwas von ihren Vorfahren. Wer weiß, woher er kommt, was seine Aufgabe im Leben ist, wie er sich nach Sitte und Moral zu verhalten hat und er an irgend eine Art von Religion glaubt, hat die besten Grundvoraussetzungen ein erfolgreiches Leben zu führen. Wenn ein Kind von Erwachsenen etwas erzählt oder vorgelesen bekommt, wird es neugierig auf das Leben und das selber erlesen und erfahren.

Gedanken von Wilhelm Vossenkuhl zur Menschenwürde

Die Menschenwürde beginnen da, wo es keine Verhüllungen mehr gibt.

Lust auf Leben statt Frustration

"Lesenlernen fängt beim "Leben lernen” an. Beim Geschichtenerzählen muss man aufmerksam zuhören, weil Worte schnell davon fliegen. Der Vorgang des Lesenlernens ist jedenfalls komplexer, als man denkt und nicht durch "Klapse auf den Hinterkopf” zu beschleunigen. Die Denkfähigkeit ist die Voraussetzung für jedes Lernen.
Viele Jugendliche, denen nicht die Ruhe gewährt wurde, eine Lösung selber zu finden, sind sofort frustriert, wenn ihnen etwas nicht gelingt, so als ob sie dann dringend einer Reparatur bedürften. Die Tatsachen des menschlichen Lebens sehen anders aus. Die vielfältigen Fähigkeiten der Einzelnen machen den Spaß am Leben aus.

Unsere persönliche Leistung kann nie alle Kritiker zufriedenstellen. Lesen und Schreiben sind zwar unnatürliche Fähigkeiten, aber man kann mit ihnen die Klippen des Lebens besser umschiffen ... Und um auf das Grundgesetz zurückzukommen: Wie es schon in der Bibel in Epheser 6,4 zu lesen ist: "Und ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern ziehet sie auf in der Zucht und Ermahnung des Herrn."

Sind die Verfasser des Grundgesetzes und der Verfassung so gesehen nicht auch unsere Väter?
Quellenangabe: der Verlust der Sprachkultur von Barry Sanders

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