Watchmen - Graphic Novel von Alan Moore
Wer überwacht die Wächter? In Alan Moores meisterhaftem Graphic Novel "Watchmen" erwarten den Leser nachdenklich stimmende Antworten.Watchmen: Kein Comic, sondern ein Graphic Novel
Wer hierzulande an Comics denkt, erhält sofort das Bild von Micky Maus oder Asterix vor Augen. Und kommt die Rede auf Superhelden, so stehen natürlich Superman, Batman oder Spiderman an vorderster Denkfront. Die Vorstellung, dass ein Comic mehr als bloß harmlose Kindergeschichten oder hirnloses Superhelden-Gekloppe sein könnte, dürfte zu ungeheuerlich sein, um im Mainstream Eingang zu erlangen.
Folglich wird selbst einer epischen, philosophisch angehauchten Geschichte wie Alan Moores Watchmen eine ernsthafte Rezeption zumindest im deutschsprachigen Raum überwiegend verweigert. Dabei ist das schubladisierte Korsett der Bezeichnung "Comic" viel zu beengend für diese meisterhafte Alternativwelt-Geschichte rund um eine Gruppe von nur allzu menschlichen Superhelden, weshalb der aus den USA stammende Ausdruck "Graphic Novel" dem düsteren, mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Werk weitaus würdiger zu Gesicht steht.
Verfilmung von Watchmen: Zack Snyder
Lassen Sie mich ein Geständnis machen: Obwohl ich nach wie vor Micky-Maus-Hefte lese und Duck-Zeichner Carl Barks für einen grotesk unterschätzten Geschichtenerzähler halte, dessen Storys auf einer visuellen statt gewohnt literarischen Ebene spielen, kann ich mit Comics im Allgemeinen genauso wenig anfangen, wie mit Superhelden.
Als ich vor einigen Jahren die blu-ray zu Zack Snyders Watchmen-Verfilmung erwarb, waren meine Erwartungen entsprechend niedrig. Tatsächlich hatte ich den Film nur deshalb gekauft, da ich Zack Snyders Filme wie "300" visuell interessant finde. Umso überraschter war ich, als mich Watchmen von Beginn weg völlig in den Bann zog. Kein Wunder: Zack Snyders Gespür für perfekt choreographierte, unverblümte Gewalt und seine kunstvollen Bilder machen es schwer, sich der visuellen Verführung zu entziehen.
Superhelden wie du und ich
Alan Moores Watchmen ist kein gewöhnlicher Comic. Das wird gleich im ersten Panel evident, wenn ein blutverschmierter Smiley-Button im Rinnstein liegt. Was folgt, ist eine mehrere hundert Seiten starke Erzählung, die sich über mehrere Zeit- und Handlungsebenen erstreckt. Neben der Frage. Der Titel der Serie, Watchmen, bezieht sich auf den römischen Autor Juvenal, in dessen Werk es an einer Stelle heißt: Wer wird die Wächter überwachen?" ("Who watches the Watchmen?").
Die Watchmen sind eine Gruppe Superhelden, die sich selbst allerdings nie so nennen und deren herausragendstes Merkmal ihre menschliche Fehlbarkeit ist. Tatsächlich verfügt keiner von ihnen über Superkräfte, mit einer Ausnahme: Jon Osterman, der bei einem tragischen Laborunglück buchstäblich in Stücke gerissen wurde, auf unerklärliche Weise jedoch imstande war, seine Atome wieder zusammenzufügen und fortan als "Dr. Manhattan" übermenschliche Fähigkeiten wie Teleportation oder Präkognition an den Tag legt.
Alle anderen Watchmen repräsentieren ganz gewöhnliche Menschen wie du und ich, die mittels harten körperlichen Trainings oder technologischer Hilfsmittel ihren Mitmenschen scheinbar überlegen sind, in Wahrheit jedoch mit denselben Problemen wie sie kämpfen: Alkoholismus, Aggression, Geldgier bis hin zu versuchter Vergewaltigung. Kurzum: Was bei Superman & Co ausgespart bleibt, findet sich im Graphic Novel Watchmen wieder!
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Russenschreck Dr. Manhattan
Watchmen spielt zwar auf der Erde, überwiegend in den 1980er Jahren, als ein drohender Atomkrieg für "No future"-Depressionen sorgte, weicht von unserer bekannten Welt an einigen Passagen ab. Verantwortlich hierfür sind die in den 1930er Jahren erstmals aufgetauchten Vigilanten in Superheldenkostümen, die rasch Nachahmer und Befürworter wie auch Gegner fanden, zum anderen Dr. Manhattan, der einzige reale Superheld, geboren aus einem tragischen Unfall, auferstanden aus den Trümmern seiner eigenen Atome. Dank seiner übermenschlichen Kräfte gewinnen die USA den Vietnamkrieg und halten die Russen in Schach.
Darüber hinaus weicht die Geschichte von Watchmen von der bekannten Zeitlinie beispielsweise darin ab, dass Richard Nixon über viele Jahre hinweg US-Präsident bleibt und es niemals zum Watergate-Skandal kam.
Der Geheimwaffe Dr. Manhattan haben die Russen anders als bei der nuklearen Aufrüstung nichts entgegenzusetzen. Gleichzeitig sind die USA jedoch völlig vom Wohlwollen des blauhäutigen Übermenschen abhängig, der für die Menschheit immer weniger zu empfinden beginnt und seine innerliche Ruhe auf dem Mars sucht, wo er aus dem Marssand gewaltige Glastürme auferstehen lässt.
Im Laufe der Handlung wird Dr. Manhattan zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, wiewohl er kaum noch etwas Menschliches an sich hat und von der Dummheit und Aggression seiner einstigen Mitmenschen angewidert ist. Eine der interessantesten Fragen entspinnt sich denn auch aus dem Dilemma, wie ein solcher Übermensch, oder vielmehr Halbgott, überhaupt noch der ihm fremden Gefühlswelt zugänglich sein soll.
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Homosexuelle Superhelden leben gefährlich
Weitaus menschlicher sind die anderen "Superhelden". Einige von ihnen enden sogar auf tragikomische Weise, wie etwa die offen homosexuell lebende Silhouette, die gemeinsam mit ihrer Liebhaberin ermordet wird.
Satirischer mutet der Tod des Superhelden Dollar Bill an. Anfangs ein Beschützer von Banken, wird er von einem Institut als eine Art Maskottchen angeworben und mit einem albernen Kostüm ausgestattet, das er tragen muss. Als jene Bank, die er gerade bewacht, tatsächlich überfallen wird, bleibt er mit dem Umgang in der Tür hängen und wird eiskalt erschossen.
Der vielleicht interessanteste und schillerndste Superheld ist der enorm muskulöse Edward Blake, der sich den Namen Comedian zulegt. Seine brutale Ermordung bringt die Handlung von Watchmen ins Rollen. Der Charakter des Comedian selbst scheint eines Superhelden unwürdig zu sein: Er ist von schier grenzenloser Aggression beseelt, die er unter einer dicken Schicht Zynismus zu verbergen versucht. Da er sich ganz pragmatisch von der Regierung einspannen lässt, droht ihm bei seinen Gewaltexzessen keinerlei negative Konsequenz, im Gegenteil: Seine Brutalität im Vietnamkrieg wird von der Regierung begrüßt, da sie den Konflikt zu gewinnen hilft.
Erstaunlicherweise ist es gerade seine unverhohlen zynische Weltsicht, die ihm nicht die Sympathien, aber den Respekt von Dr. Manhattan einbringt.
Der Rorschach-Test: Gut oder böse?
Erzählt wird die Geschichte von Watchmen retrospektiv durch den Superhelden Rorschach, einem hochintelligenten Mann, der sein Gesicht hinter einer Maske versteckt, deren Muster sich wie bei einem Rorschach-Test ständig verändern.
Ihm ging es niemals um Ruhm, Ehre, Geld oder Weltverbesserung, sondern die Sache an sich: Die Bekämpfung von Ungerechtigkeit. Rorschach ist der Welt gegenüber gleichgültig eingestellt: Er hat kein Einkommen, ernährt sich von Dosenbohnen und Zucker, hat weder Familie, noch Freunde, und auch kein Interesse daran, an diesem Umstand etwas zu ändern.
Anders als es das Symbol des Rorschach-Tests vermuten ließe, kennt dieser Mann keinerlei subjektive Interpretation von Ereignissen: Verbrecher bekämpft er unabhängig von ihrem persönlichen Hintergrund oder den Motiven. Auch in der Methodik des Aufspürens von Verbrechern lässt er keinerlei Gnade erkennen. Eine der größten Abweichungen der ansonsten sehr werkgetreuen Verfilmung von Zack Snyder betrifft Rorschach. Als er den Entführer und Mörder eines Mädchens jagt und schließlich auch offenbar findet, gesteht dieser im Film seine Untat. In Alan Moores Graphic Novel beteuert dieser aber seine Unschuld bis zum Schluss, was nahelegt, dass sich Rorschach auch geirrt haben könnte.
Obwohl Rorschach gleich dem Comedian eine zynische Weltsicht teilt, verabscheut er auf Grund traumatischer Kindheitserlebnisse Gewalt und setzt diese selbst nur ein, um das Verbrechen zu bekämpfen. Für Rorschach stellt dies keinen Widerspruch dar.
Vielschichtiges Meisterwerk Watchmen
Was Watchmen so gänzlich einzigartig macht, sind neben den düsteren Zeichnungen und der originellen Prämisse die vielschichtigen, ineinander verschachtelten Handlungsstränge, die letztendlich zusammenlaufen und ein in sich logisch abgeschlossenes Ende ergeben. Dabei mögen die verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen anfänglich verwirren.
Doch gerade dies zeichnet einen Graphic Novel wie Watchmen aus: Hier wird keine millionenfach vorgekaute "Gut gegen Böse"-Kindergeschichte aufgetischt, sondern eine komplexe Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was ständige Konzentration und Wachsamkeit des Lesers erfordert, um der Handlung folgen zu können.
Mitunter sind es die kleinen Details, die der Story zusätzliche Faszination verleihen. Etwa die Idee, dass Superhelden-Comics durch das Auftauchen "echter" Superhelden völlig aus der Mode geraten und stattdessen Piraten-Comics die Stelle von Superman, Batman & Co einnehmen. Folglich wird Watchmen immer wieder von Ausschnitten einer fiktiven Piratencomicreihe durchzogen, die freilich an Morbidität Alan Moores Graphic Novel selbst in NIchts nachsteht. Beispielsweise baut ein Schiffsbrüchiger aus kargen Holzüberresten ein Floß, das von den Leichen seiner Kameraden zusammengehalten wird.
Alan Moore: Fuck Hollywood!
Mittlerweile wurden einige von Alan Moores Graphic Novels in Hollywood verfilmt. Sehr zum Unmut des zurückgezogen lebenden Autors und überzeugten Anarchisten. Selbst die von Kritikern mehrheitlich positiv aufgenommene Verfilmung "V wie Vendetta" vermochte Moore nicht zu überzeugen. Im Gegenteil: Er distanzierte sich sogar von dem Film und stand der Verfilmung von Watchmen noch weitaus negativer gegenüber: Angeblich würde er sich Zack Snyders Watchmen niemals anschauen.
Meine persönliche Sicht dazu ist, dass gerade der Film Watchmen ein perfekter Einstieg in die Welt von Alan Moores düsteren Graphic Novels ist und den Grundton und die Atmosphäre von Moores Vorlage vorzüglich wiedergegeben wurden. Ich kann sowohl den Graphic Novel, als auch den Film aufgeschlossenen Menschen nur ausdrücklich empfehlen.
Bildquelle:
Karin Scherbart
(Asterix bei den Pikten – Rezension)