Sprachverbreitung im Wandel der Zeit

Politische, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen bedingen offenbar eine wechselnde Beliebtheit der großen, weit verbreiteten Sprachen. Das Phänomen ist nicht neu. Das durch kirchlichen Einfluss lange als eine Art Universalverständigung fungierende Latein beispielsweise gehört heute zu den toten Sprachen und dient nur noch als fachliches Ausdrucksmittel für Mediziner, selbstverliebte Studenten oder Rechtsgelehrte. Renaissance und Barock wiederum stilisierten das Italienische zum Standard für Künstler, Wissenschaftler und Angehörige der Oberschicht. Die kulturelle Vorreiterrolle Frankreichs ab dem Zeitalter des Rokoko bewirkte dagegen eine mehr als zweihundertjährige Dominanz des Französischen in vielen Lebensbereichen. Doch auch Deutsch konnte sich gleichzeitig im Zuge der Industrialisierung weltweit recht gut etablieren. Russisch hingegen erlebte nur eine kurze Blütezeit als Pflichtfach und Verkehrssprache im sowjetisch geführten Ostblock. Viele dieser Sprachen weichen derzeit allerdings in ihren Mutterländern zunehmend den allgegenwärtigen Anglizismen. Doch wer deshalb glaubt, dass Englisch die Weltsprache Nummer eins ist, irrt sich zumindest teilweise.

Die Rangliste der Weltsprachen

Als Verkehrs- und Handelssprache spielt das Englische tatsächlich eine wichtige Rolle, denn es dominiert in etwa 112 Ländern der Erde. In anderen Teilen der Welt jedoch überwiegen immer noch die Sprachen ehemaliger Kolonialmächte: Spanisch, Portugiesisch, Holländisch, Deutsch oder Französisch. Welche Sprache wird also am häufigsten gesprochen? Diese Ehre gebührt zweifelsfrei dem Chinesischen mit seinen verschiedenen Idiomen, welche von mehr als 1,2 Milliarden Menschen verwendet werden. Die geografische Verbreitung ist allerdings gering. Platz zwei teilen sich mit jeweils rund 330 Millionen Muttersprachlern und einer unbekannten Anzahl fremder Anwender Spanisch und Englisch. Deutsch und Französisch erreichen nach Schätzungen der SIL International immerhin noch ungefähr den zehnten Rang. Beide werden von rund 118 Millionen Menschen benutzt.

Das vergebliche Streben nach einer Einheitssprache

Das als Welthilfssprache konstruierte Esperanto hingegen konnte sich bisher nicht durchsetzen. Dieses internationale Einheitsidiom beherrschen schätzungsweise lediglich zwei Millionen Menschen. Entwickelt wurde es 1887 von dem polnischen Augenarzt Ludwik Zamenhof (1859-1917), welcher dazu romanische und angelsächsische "Bauteile" verwendete. Zamenhof selbst übrigens hatte mit Sprachbarrieren wahrscheinlich kaum Schwierigkeiten, denn er soll zahlreiche Sprachen beherrscht haben. Modernere Formen solcher Kunstsprachen entstammen dem cineastischen Genre. Doch weder das aus der Star-Trek-Reihe stammende Klingonisch noch das im literarischen / filmischen Universum von J. R. R. Tolkien beheimatete Elbisch haben es außerhalb ihrer Fangemeinden zu nennenswerter Verbreitung gebracht.

Gibt es eine Ur-Sprache?

Laut Bibel verfügten die Menschen in grauer Vorzeit über eine gemeinsame Sprache, ehe sie aufgrund ihres Hochmuts mit der sprichwörtlichen babylonischen Sprachverwirrung geschlagen wurden. Das Rätsel um diese Ursprache hat offenbar viele Menschen fasziniert, denn seit Jahrhunderten kursiert eine Legende, als deren Hauptschurke meist der Stauferkaiser Friedrich II. benannt wird. Er soll verfügt haben, dass eine Anzahl Neugeborener ohne jeglichen sprachlichen Kontakt aufgezogen wurde. Zu diesem Zwecke ließ er angeblich den Ammen sogar die Zungen entfernen. Auf diese Weise wollte er herausfinden, in welcher "Ursprache" Menschen (quasi von allein) ohne äußere Beeinflussung zu sprechen beginnen. Doch keines der Kinder überlebte das Experiment. Die Geschichte ist allerdings ebenso schauderhaft wie unwahr.

Ein Forscherteam am Universitätsklinikum Würzburg fand hingegen heraus, dass Babys sich tatsächlich bereits im Mutterleib für eine bestimmte Sprache "entscheiden". Die Lautäußerungen von 60 Neugeborenen aus Frankreich und Deutschland wurden nach Tonhöhe, "Schreimelodie" und anderen Kriterien ausgewertet. Es stellte sich heraus, dass diese phonetischen Merkmale weitgehend denen der jeweiligen "Muttersprache" glichen. Die französischen Neugeborenen betonten also beispielsweise überwiegend das Ende ihrer Schreie, analog zu den vielen endbetonten Worten und Silben im Französischen...

Donky, am 20.02.2023
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