Insolvenz in Sicht? Die Alarmsignale

Solange der Lohnverzug nur wenige Tage beträgt, ist man geneigt, den Ausreden des Chefs zu glauben. Doch gerade in dieser Anfangsphase sollten Arbeitnehmer sich folgende Fragen stellen:


  • Haben sich die Lagerbestände an Rohstoffen, Produktionsmitteln oder Betriebsstoffen drastisch verringert?

  • Werden aus dem Unternehmen ausgeschiedene Arbeitnehmer nicht oder lediglich durch Praktikanten und Zeitarbeiter ersetzt?

  • Gab es in letzter Zeit häufig verspätete Warenlieferungen wegen angeblicher Engpässe des Lieferanten?

  • Soll das Stammpersonal plötzlich "aus rein formalen Gründen" neue Verträge unterschreiben?

Wer diese Fragen bejahen kann, sollte schnellstens handeln und gegebenenfalls nach einer neuen Anstellung Ausschau halten. Die Erfahrung lehrt, dass der wirtschaftliche Schaden umso geringer ist, je eher der "Absprung" erfolgt. Wer zuerst geht, hat die größten Chancen.

Handlungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers

  • Den Chef mahnen: Gerät der Arbeitgeber in Zahlungsverzug, verletzt er seine Vertragspflichten. Der Arbeitnehmer darf ihn dann mittels einer Geltendmachung abmahnen und mit angemessener Fristsetzung zur Zahlung auffordern. Außerdem kann er Schadenersatz für eindeutig durch den Zahlungsverzug entstandene Kosten (z. B. Rückbuchung eines Dauerauftrages) verlangen.
  • Zurückbehaltungsrecht: Da eine Geltendmachung den Arbeitgeber in der Regel nicht weiter interessieren wird, sollte man schriftlich die Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes ankündigen, falls die gesetzte Zahlungsfrist verstrichen ist. Zurückbehaltungsrecht bedeutet, dass der Arbeitnehmer nun ebenfalls seinen Vertragspflichten (Anwesenheit und Arbeitsleistung) nicht mehr nachzukommen braucht, ohne dadurch seinen Arbeitsplatz zu gefährden. Allerdings ist dies nur bei erheblichem Lohnverzug möglich, beispielsweise, wenn bereits der nächste Zahltag in greifbare Nähe rückt. Zur korrekten Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes empfiehlt sich die Einholung einer Rechtsauskunft.
  • Der Gang zum Gericht: Um nun tatsächlich an sein Geld zu kommen, ist der Gang zum Gericht meist unerlässlich. Eine Klage gegen den Arbeitgeber bleibt bis zur sogenannten Güteverhandlung kostenfrei. Für Gewerkschaftsmitglieder und Rechtschutzversicherte ist es oft dennoch vorteilhaft, einen Rechtsbeistand einzuschalten.
  • Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, das sogenannte Gerichtliche Mahnverfahren in Gang zu setzen, dessen Kosten sich meist auf den Kauf eines Formulars und die Vorstreckung der (sehr überschaubaren) Gebühren beschränken. Das Gericht prüft allerdings nicht die Rechtmäßigkeit der Forderung, sondern holt lediglich eine Stellungnahme des Schuldners ein. Bestreitet dieser die Forderung nicht oder verweigert die Aussage, erhält der Gläubiger innerhalb weniger Wochen einen vollstreckbaren Titel und kann nun seine Außenstände durch Anwalt oder Gerichtsvollzieher eintreiben lassen.
    Bestreitet der Schuldner die Forderung jedoch, muss wiederum der Klageweg beschritten werden.

Pflichten des Arbeitnehmers bei Lohnausfall

Besteht erheblicher Lohnverzug, sollte sich der Betroffene unverzüglich bei der Arbeitsagentur als "arbeitssuchend" registrieren lassen. Im Fall einer plötzlichen Entlassung entgeht er somit dem beliebten Vorwurf der verspäteten Meldung und einer entsprechenden Leistungs-Sperre.
Zu bedenken ist auch, dass die Arbeitsagentur im Fall einer Insolvenz für maximal drei Monatslöhne Insolvenzgeld zahlt, dessen Höhe zudem begrenzt ist. Wer also wartet, bis auch der Zahltag des dritten Monats verstrichen ist, hat in der Regel bereits einige Arbeitstage verschenkt.

Auf gar keinen Fall sollte man...

offene Arbeitsbummelei betreiben oder wilde Streiks durchführen. Der Chef bekommt dadurch nur einen Kündigungsgrund mehr in die Hand und darf sogar Schadenersatz fordern.

...dubiose Inkassofirmen mit der "russischen" Art der Lohneintreibung beauftragen. Man macht sich gegebenenfalls strafbar oder verpflichtet sich zu "Mitgliedsbeiträgen", von denen man nur schwer wieder loskommt.

...Gewalt gegen den Chef anwenden. So unwiderstehlich sein Gesicht auch auf die eigene Faust wirken mag: Auf eine viel zu kurze Genugtuung könnten Schmerzensgeldzahlungen, Gerichtskosten und der berechtigte Verfall der Lohnforderung folgen!

...eine Strafanzeige wegen Insolvenzverschleppung stellen. Die wenigsten Arbeitnehmer haben tatsächlich den Einblick und das nötige Wissen, um einen bilanziell insolventen Zustand zu erkennen. Selbst eine berechtigte Strafanzeige kann zum Verlust des Arbeitsplatzes führen, falls der Chef die juristische Trumpfkarte zieht und auf das"irreparabel geschädigten Vertrauensverhältnis" plädiert.

...als Gläubiger einen Insolvenzantrag gegen die Firma stellen. Sollte dieser tatsächlich erfolgreich sein, die Firma aber keine verwertbare Insolvenzmasse besitzen, bleibt der Antragsteller auf den Verfahrenskosten sitzen.

Exkurs: Mustertext einer Geltendmachung

Wenn es in einem Unternehmen wirtschaftlich kriselt, muss die Firmenleitung oft recht virtuos vorgehen. Knappe Finanzmittel werden dann zunächst einmal zur Begleichung der dringlichsten Verbindlichkeiten eingesetzt. Alle anderen Gläubiger müssen halt warten.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Arbeitnehmer unter allen Vertragspartnern einer Firma die schwächste Position einnehmen. Sie sind vom Unternehmen stark abhängig und tolerieren daher so manche Einschränkung ihrer vertraglichen und gesetzlichen Rechte. Genau deshalb scheint ist es für manchen wirtschaftlich angeschlagenen Arbeitgeber der leichteste Weg zu sein, durch Aussetzung der Lohnzahlungen finanziellen Spielraum zu bekommen. Arbeitnehmer haben dann als Sofortmaßnahme die Möglichkeit, das Unternehmen durch eine sogenannte Geltendmachung quasi abzumahnen.

Die rechtlichen Grundlagen der Geltendmachung
Juristisch betrachtet ist der Arbeitnehmer gleichwertiger Vertragspartner des Arbeitgebers und hat daher die selben Rechte wie jeder andere Gläubiger auch. Nach deutschem Recht ist es bei Zahlungsverzug aber keinesfalls nötig, den Schuldner zu mahnen. Vielmehr können nach Ablauf der Zahlungsfrist sofort Maßnahmen zur Eintreibung des Geldes veranlasst werden.
Eine schriftliche Mahnung an den säumigen Arbeitgeber empfiehlt sich dennoch aus folgenden Gründen:
Ø Das weitere Arbeitsklima wird durch ein höfliches, aber deutlich formuliertes Schreiben weniger belastet, als durch die ganz große, juristische Keule.
Ø Eine Geltendmachung dokumentiert für eventuelle Gerichtsverfahren, dass tatsächlich ein erheblicher Lohnverzug vorgelegen hat und dies dem Arbeitgeber auch bekannt war.
Ø Der Arbeitnehmer beweist durch die Geltendmachung sein Interesse an einer pünktlichen Entlohnung. Dies ist wichtig, falls die Lohnzahlung bereits längere Zeit zu spät oder gar nicht erfolgte. Vor Gericht könnte der Arbeitgeber ansonsten auf ein gewisses Gewohnheitsrecht plädieren: "Der Mitarbeiter X hat den Lohnverzug bisher toleriert. Ich konnte also davon ausgehen, dass er auch diesmal damit einverstanden ist..."

Sachliche Inhalte der Geltendmachung
Banal aber wichtig: Eine beweiskräftige Geltendmachung muss mit dem Datum ihrer Erstellung versehen werden. Enthalten sein sollte außerdem der Hinweis auf den vertraglich festgelegten Zahlungstermin. Ist dieser im Arbeitsvertrag nicht benannt, gelten die gesetzlich relevanten Fristen. Nötig ist zudem eine deutliche Zahlungsaufforderung, möglichst mit angemessener Fristsetzung. Dies muss nicht immer ein konkretes Datum sein. Das Wort "unverzüglich" genügt manchmal ebenfalls, denn es bedeutet im Amtsdeutsch: Ohne schuldhafte Verzögerung, so schnell wie möglich.
Optional kann für den Fall der Nichtzahlung auch bereits die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts angekündigt werden. Ein entsprechendes Schreiben könnte also ungefähr so aussehen:

Mustertext einer Geltendmachung

Muster GmbH & Co KG 20. 09. 2009
Beispielstraße 27
0000 Vorschlagstadt

Betr.: Geltendmachung der Lohnzahlung für August 2009

Sehr geehrter Herr Dr. Raffzahn,

gemäß meiner arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit der Muster GmbH & Co KG ist diese verpflichtet, die Lohnzahlung bis zum 15. des jeweiligen Folgemonats an mich zu leisten. Für den Monat August 2009 konnte ich jedoch keine vollständige Lohnzahlung feststellen. Ich bitte Sie daher, Ihren Zahlungspflichten unverzüglich nachzukommen und sehe mich anderenfalls veranlasst, von meinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen.
Mit freundlichen Grüßen

Armer Schlucker


Die Zustellung der Geltendmachung
Ebenso wichtig wie der Inhalt des Schreibens ist eine korrekte und fristgerechte Zustellung. Der einfachste Weg dazu besteht darin, dass Schreiben persönlich in der Geschäftsleitung abzugeben und sich das Eingangsdatum auf einer Kopie per Stempel und Unterschrift bestätigen zu lassen.
Verweigert der Arbeitgeber dies, lässt sich eine frist- und formgerechte Zustellung auch per Einschreiben oder durch die beglaubigte Tätigkeit eines Boten (z. B. Notar) bewerkstelligen, was natürlich mit Kosten verbunden ist.

 Update: Seit dem 30. 06. 2016 können alle Arbeitnehmer bei Lohnverzug sofort eine Pauschale in Höhe von 40 Euro fordern. Eine Erklärung zu dieser Regelung sowie den entsprechenden Gesetzestext finden Sie hier.

Bitte beachten Sie, dass es sich bei vorstehendem Text um eine rein journalistische Arbeit handelt. Dieser Artikel kann und soll keinerlei juristische Beratung darstellen.

Donky, am 29.12.2014
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Bildquelle:
Burkard Vogt / pixelio.de (Rausgemobbt)

Autor seit 13 Jahren
268 Seiten
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