So funktioniert das ökologische Gleichgewicht in den Alpen ursprünglich

Das ökologische Gleichgewicht in den Alpen hat sich bei den dort heimischen Pflanzen und ihren Fressfeinden über einen langen Zeitraum entwickelt. In den höheren Lagen gibt es dort nur wenige pflanzenfressende Insekten. Darum müssen sich die in dieser Region ursprünglich wachsende Pflanzen nur wenig vor Fressfeinden schützen. In tieferen Lagen ist das anders. Dort herrscht unter den artenreichen, zahlreichen Insekten, die Pflanzen fressen ein hoher Fraßdruck. Die Pflanzen in dieser Vegetation müssen sich stärker mittels Stacheln, Dornen, Haaren oder durch giftige Inhaltsstoffe verteidigen. Zu vermuten ist, dass die neuen Witterungsverhältnisse und der Zuzug von nicht einheimischer Insekten diese bestehende ökologische Struktur stören könnten.

Was geschieht wenn sich fremde Insekten ansiedeln?

In einem Feldversuch untersuchten Forschende der ETH, der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) sowie der Universität Neuchâtel, was geschieht, wenn Pflanzenfresser – in diesem Fall verschiedene Heuschrecken aus mittleren Lagen – in größeren Höhen alpine Wiesen besiedeln und dort auf neue Pflanzengesellschaften stoßen.

Der Feldversuch wurde in den Alpen in der Region Anzeindaz in den Waadtländer Alpen gestartet, weil es dort in den höheren Lagen ursprünglich nur wenige pflanzenfressende Insekten gibt.

Vor dem Versuch wurden die angestammten Heuschrecken aus den Probeflächen entfernt. Anschließend verfrachteten die Forschenden unterschiedliche Heuschreckenarten, die ursprünglich in einer mittleren Höhe von 1400 Meter über dem Meer heimisch waren, auf drei alpine Grasland-Standorte auf Höhen von 1800, 2070 und 2270 Meter über dem Meer.

In ihrer Studie maßen die Biologen, wie sich unter dem Einfluss der pflanzenfressenden Insekten die Biomasse, Struktur und Zusammensetzung der alpinen Pflanzengesellschaften veränderten. Sie untersuchten zusätzlich, ob einige Alpenpflanzen aufgrund gewisser Merkmale wie Zähigkeit der Blätter, dem Gehalt an Kieselsäuren oder Inhaltsstoffen wie Phenolen oder Tanninen, anfälliger für Fraß sind.

Gebietsfremde Heuschrecken verändern die Flora

Die Ökologen stellten fest: Mit ihrem Fressverhalten beeinflussten die Heuschrecken die Vegetationsstruktur und Zusammensetzung der alpinen Flora deutlich. Alpine Pflanzengesellschaften sind klar strukturiert: Die oberste Vegetationsschicht in den Alpen wird von zahlreichen Pflanzen mit zähen Blättern gebildet. In niedrigeren Regionen wachsen Arten, die im Schatten besser gedeihen. Diese haben weichere Blätter. Der Feldversuch zeigte, dass diese natürliche Gliederung durch die eingeführten Heuschrecken gestört wird. Die Pflanzenvielfalt nahm insgesamt kurzfristig zu, weil die neu zugezogenen Insekten die höher wachsenden Arten bevorzugt fraßen. Ihre einheimischen Artgenossen bevorzugten normalerweise die Tieflandpflanzen. Es wurde beobachtet, dass sich so die Anzahl der zähen Alpenpflanzen verringerte. Dadurch wurde der Wuchs von kleinwüchsigen Pflanzenarten, die bisher von den Pflanzenfressern gemieden wurden, begünstigt.

Roesels Beissschrecke
Roesels Beissschrecke

Roesels Beissschrecke (Bild: Christian Roesti)

Roesels Beissschrecke ist eine jener Heuschreckenarten, die im Zuge der Klimaerwärmung tiefer gelegene Lebensräume aufgeben und in alpine Gebiete einwandern könnten.

Einwandernde Pflanzenfresser haben ein leichtes Spiel

Der Erstautor der Studie, Patrice Descombes erklärt, dass die eingewanderten Pflanzenfresser nur bestimmte Pflanzen fressen. Dadurch werde das Konkurrenzverhalten der Pflanzen untereinander empfindlich gestört und es sei damit erwiesen, dass die Klimaerwärmung das ökologische Gleichgewicht stört. Die mobilen pflanzenfressenden Insekten könnten sich rascher in größere Höhen ansiedeln und die sesshaften Pflanzen zu ihrem Schutz nicht auswandern.

Der Klimawandel wirke sich folglich nicht nur direkt aufgrund der Temperaturerhöhung auf Ökosystem aus, sondern auch indirekt aufgrund veränderten Beziehungen zwischen Pflanzenfressern und Pflanzen. Insekten aus tieferen Lagen, die Pflanzen bevorzugt fressen, haben daher in alpinen Lebensräumen mit ansässigen Pflanzen leichtes Spiel, da diese nur ungenügend oder gar nicht auf neue Fressfeinde eingestellt sind. Das könnte die heutige Struktur und Funktionsweise alpiner Pflanzengemeinschaften als Ganzes verändern.

Indirekte Effekte wurden bisher vernachlässigt

Für Loïc Pellisier, Professor für Landschaftsökologie an der ETH Zürich und der WSL, ist dieser indirekte Effekt, den der Klimawandel auf Ökosysteme hervorruft, eine wichtige Erkenntnis, die aufgrund der Wechselwirkung neue nachhaltige strukturelle Veränderungen hervorrufen könne. Es ist ein neuer Denkansatz, denn bisher hat die Klimafolgenforschung vor allem direkte Effekte der Temperatur auf Ökosysteme untersucht. Die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Organismen, die in neue Lebensräume einwandern, und der angestammten Flora könnten wichtige Erkenntnisse bezüglich der strukturellen Veränderung bringen.

Mit ihren Resultaten wollen die Forschenden Modelle verbessern, die solche Vorgänge bisher nur ungenügend einbezogen haben. Davon erhoffen sich die Ökologen bessere Prognosen, wie sich Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen unter dem Einfluss des Klimawandels verändern.

Ein Beitrag in englischer Sprache

Erklärung des Begriffs Feldversuch

Um zum Beispiel über ein Produkt, ein Saatgut, ein Pflanzenschutzmittel oder einen Dünger eine klare Aussage über die Wirksamkeit und Umweltverträglichkeit machen zu können, werden diese Mittel zusätzlich unter realen Bedingungen getestet. Denn nicht immer bewahrheiten sich im Labor gemachte Erfahrungen im Alltag. So können noch vor einer Markteinführung eventuelle physikalische oder technische Mängel korrigiert werden.

Feldversuche sollten keinesfalls mit Markttests verwechselt werden. Denn bei denen geht es um die Einschätzung des Marktpotenzials oder die Reaktion der Verbraucher auf ein neues Produkt oder eine neuartige Dienstleistung.

Feldversuche können für eine begrenzte kurze Zeit oder lange Zeiträume gemacht werden. Sie sind in Forschungseinrichtungen der Biologie unbedingt erforderlich. Auch bei Ernährungswissenschaftlern gehören Feldversuche zum Alltag. In der Wasserwirtschaft und bei der Forschung zum elektrischen Strom sind Feldversuche ebenfalls erforderlich.

Vereinfacht gesagt, immer dann, wenn etwas im Labor untersucht wurde und es auf seine Alltagstauglichkeit getestet werden soll, ist ein Feldversuch angebracht.

Kritik an jährlichen Feldversuchen der Landwirtschaftskammern wurde gemacht, weil diese lange vor der Ergebnisfeststellung beschriftet sind und damit eine Manipulation möglich ist. Zusätzlich werde immer auf den gleichen Flächen geforscht, sodass nicht aussagekräftige Ergebnisse entstehen.

Quellenangabe des Gesamttextes: Prof.Dr. Loïc Pellisier ist Professor für Landschaftsökologie an der ETH Zürich / WSL

MonikaHermeling, am 15.01.2021
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Bildquelle:
Monika Hermeling, Journalistin (Die Auswirkungen des Klimawandels verstehen lernen)
Bilder - eigen (Den Klimawandel kann man nicht bekämpfen)
Glockenblume,Foto: Helge Bruelheide (Glockenblumen -ihre Bedeutung für den Klimawandel)

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