Die Grundhaltung gegenüber "dem Fremden"

Die Einstellung des Menschen gegenüber dem "Du", dem "Anderen", also gegenüber dem, was ihm unbekannt, ihm "fremd" ist, ist grundsätzlich ambivalent. Das heißt: Das Fremde, wie es von Menschen aus anderen Kulturkreisen verkörpert wird, kann zum einen als etwas Unheimliches, Bedrohliches empfunden werden und deshalb Angst auslösen, eine Angst, die sich tatsächlich bis zur "Phobie", also bis zu einer "Angststörung", einer rational nicht mehr begründbaren Angst, steigern kann. Andererseits kann das Fremde aber auch als etwas Attraktives, Reizvolles, Verlockendes empfunden werden, also als etwas, was neugierig macht und unter Umständen das eigene Leben bereichern kann. Bleibt die Frage, wovon es abhängt, welche Einstellung wir gegenüber dem Fremden entwickeln. Und zwar sind hier psychologische, aber auch sozio-kulturelle Faktoren und deren Zusammenspiel zu beachten.

Das Problem der Identitätsbildung

Zunächst möchte ich die psychologischen Faktoren verdeutlichen. Und zwar geht es hier um die Identitätsbildung des Menschen. So muss jeder Mensch – beginnend in der frühen Kindheit – seine Identität und damit ein möglichst kohärentes Bild von sich selbst entwickeln. Und diese Herausbildung der eigenen Identität geschieht immer in der Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Fremden. Aber dieses Fremde befindet sich – und das ist von großer Bedeutung - immer auch in uns selbst, und auch dieses Fremde in uns kann uns faszinieren, kann uns aber auch ängstigen. Im Normalfall entwickeln wir uns durch die Auseinandersetzung mit dem Fremden, auch mit dem Fremden, das sich in uns selbst befindet, weiter und gewinnen dadurch eine stabile Identität. Normalerweise überwinden wir also die Angst vor dem Fremden.

Ängste vor dem, was uns von außen, aus unserem Umfeld drohen könnte, werden demgegenüber verfestigt, wenn die Eltern eine bestimmte althergebrachte, aber leider völlig kontraproduktive Erziehungsmethode anwenden, wenn sie nämlich dem Kind Angst vor einem "Schwarzen Mann" einjagen, "der unartige Kinder holt." Denn durch diese Drohung entstehen Ängste, aus denen sich später eine Xenophobie entwickeln kann. Der dunkelhäutige Asylbewerber wird dann unbewusst mit dem einstmals gefürchteten und gehassten "Schwarzen Mann" gleichgesetzt.

In ähnlicher Weise kann auch das Fremde in uns selbst zu einer dauerhaften Bedrohung werden, deren Bewältigung sich in Fremdenfeindlichkeit manifestieren kann. Wenn nämlich Menschen vor der Konfrontation mit der eigenen Fremdheit – die ja immer auch eine Begegnung mit dem ist, was uns an unser Person nicht gefällt - zurückschrecken, werden diese Schattenseiten der eigenen Person auf andere Menschen projiziert, wobei vor allem die "Fremden", also die Menschen aus anderen Kulturkreisen, als Projektionsfläche dienen. Diese Projektion erspart uns somit die Auseinandersetzung mit den negativen Facetten unserer Persönlichkeit und wiegt uns in der trügerischen Sicherheit, "dass mit uns alles in Ordnung ist", dass wir uns folglich nicht verändern und weiterentwickeln müssen.

Wenn Menschen die Ethnie, der sie angehören, idealisieren und gleichzeitig die anderen Ethnien abwerten, wird – so die Psychologin Verena Kast - die beschriebene Stärkung des Selbstwertgefühls durch Selbst-Idealisierung auf die sozio-kulturelle Ebene ausgeweitet. In diesem Falle erspart man sich also die Mühe, sich das Selbstwertgefühl "zu erarbeiten", indem man sich als Angehöriger einer idealen Ethnie fühlt. Als Folgewirkung entsteht eine starke Antipathie gegenüber fremden Wertvorstellungen, da diese eine bleibende Herausforderung für die eigene Identität darstellen. Die Affinität zum Rassismus liegt hier auf der Hand, Rassismus verstanden als Bevorzugung bzw. Höherbewertung oder Ablehnung bzw. Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, aber auch aufgrund ihrer Kultur, Religion oder ethnischen Herkunft.

In psychologischer Perspektive führen also unverarbeitete Identitätsprobleme zu Fremdenfeindlichkeit. Fremdenfeindlichkeit dient hier sozusagen als "Identitätsprothese." Das heißt: Fremdenfeinde stellen sich nicht den Problemen, die sie mit sich selbst haben, sondern gehen den bequemen Weg der Selbstidealisierung bzw. Idealisierung der eigenen Ethnie. Die Ursache einer solchen Haltung könnte darin bestehen, dass die Betroffenen in einem Umfeld aufgewachsen sind, in dem die Auseinandersetzung mit persönlichen Problemen nicht opportun war, in dem diese vielmehr verschwiegen oder vertuscht wurden. Insbesondere Ängste sind hier vermutlich tabuisiert oder sogar noch verstärkt worden.

Negative Integration

Einen weiteren sozio-kulturellen Aspekt der Ablehnung des Fremden, der vor allem der Aversion gegenüber den Muslimen zugrundeliegt, hat der Migrationsforscher Klaus Bade thematisiert. Und zwar geht es hier um die Projektion von Kulturängsten auf den Islam. Danach sehen sich in einer zunehmend multikulturellen Einwanderungsgesellschaft etliche Deutsche in einer defensiven Verteidigungsposition, fühlen sich als "Fremde im eigenen Land". Die Lösung dieses Problems ist für sie eine Art "negative Integration", durch die sie eine Art mentale Ersatzgemeinschaft finden.

Das heißt: Sie vergewissern sich, immer noch Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein und hier ihre Heimat zu haben, indem sie sich von den aus ihrer Sicht tatsächlichen "Fremden" abgrenzen und diese ablehnen. Und diese tatsächlichen Fremden – das sind vor allem die Muslime. Durch die Abwehr der vermeintlichen Bedrohung durch den Islam findet mit anderen Worten die Mehrheitsgesellschaft zurück zu alter Geschlossenheit. Es wird wieder deutlich, wer zum Volk, zur deutschen Nation, gehört und wer nicht.

Man kann auch sagen – und hier ergibt sich wiederum eine Verbindung zum Problem der Identitätsbildung - dass Menschen, die sich besonders stark als Deutsche wahrnehmen, die also ihre Identität vor allem über ihr "Deutsch-Sein" definieren, Angehörige eines anderen Kulturkreises, einer anderen Religion, als ganz besondere Bedrohung empfinden. Bade spricht hier von einer "kulturrassistischen Abwehrhaltung". In diesem Falle erwächst also der Rassismus nicht aus Gefühlen von Überlegenheit, sondern aus der scheinbaren Notwendigkeit der Selbstverteidigung gegenüber "den Fremden".

Verteilungskämpfe

Bei der Aversion gegenüber "den Fremden" geht es aber auch – das zeigten vor allem die Demonstrationen der Pegida-Bewegung – um reale Ängste und Konflikte, nämlich um Verteilungskämpfe. Hier besteht die Sorge, der eigene Wohlstand könnte geschmälert werden, man könnte finanzielle Verluste erleiden, wenn man "den Fremden" etwas abgeben müsste. Es wird zwar gesehen - wie es der Extremismusforscher Johannes Kiess beschreibt – dass Deutschland ein reiches Land ist, aber den Menschen sei auch bewusst, dass nicht alle davon profitieren. Zudem gebe es auch in der Mittelschicht Angst vor dem Verlust des Wohlstands, und das biete ein enormes Konfliktpotenzial.

- Ich möchte dazu anmerken, dass hier ein Zusammenhang mit der Hartz-4-Gesetzgebung bestehen könnte, denn diese hat ja – wie ich an anderer Stelle gezeigt habe (https://pagewizz.com/mythos-hartz-iv-31098/) – mit der Abschaffung der Zahlung von Arbeitslosenhilfe nach einem Jahr Arbeitslosigkeit gerade in der Mittelschicht zu einer panischen Angst vor sozialem Abstieg geführt. Das heißt: Hier herrscht die Furcht, nach einem Verlust des Arbeitsplatzes nicht schnell genug wieder einen neuen Job zu finden und dann in die Armutsfalle "Hartz-4" zu geraten. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Migranten als unliebsame Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachtet werden, dass ihnen vielleicht sogar die Schuld gegeben wird, wenn "Einheimische" arbeitslos werden und aus dieser Misere nicht mehr herausfinden.

Vom Ressentiment zur Gewalt

Gleichgültig aus welchen Quellen die Antipathie gegenüber "den Fremden" gespeist wird, die Situation spitzt sich dann gefährlich zu, wenn sich die Gefühle von Überlegenheit und Abgrenzung, die die Mehrheitsgesellschaft gegenüber der Minderheit der Fremden pflegt, mit Ressentiments und Vorurteilen aufladen.

Grundsätzlich entstehen Ressentiments und Vorurteile dadurch, dass bestimmten Personen, Personengruppen, Ethnien oder auch Nationen bestimmte Eigenschafte zugeordnet werden, wobei es sich um Stereotype handelt, also um Eigenschaften, die als unveränderlich betrachtet werden und zudem mit negativen Konnotationen behaftet sind. Ein aktuelles Beispiel wäre "der fanatische Muslim", verbunden mit dem Verdacht, der Islam würde nach der Weltherrschaft streben.

Man kann auch sagen, dass hier Menschen, indem ihnen bestimmte negative, als für sie typisch geltende Eigenschaften zugeschrieben oder Intentionen unterstellt werden, diskreditiert und dadurch mit einem Stigma belegt werden. Nach Ansicht des Historikers Wolfgang Benz ist dieser Prozess, der mit der Vorurteilsbildung beginnt, deshalb so gefährlich, weil er dazu tendiert, im Hass gegen stigmatisierte Individuen, Gruppen, ethnische, religiöse oder nationale Gemeinschaften zu kulminieren, bis die Stimmung so aufgeheizt ist, dass sie sich in Gewalt entlädt. In diesem Kontext werden Vorurteile oft als Bestandteile politischer Ideologien instrumentalisiert. Vorurteile stellen also – das zeigen unzählige Beispiele aus Gegenwart und Geschichte – einen immensen sozialen Sprengstoff dar.

Gibt es ein "Gegengift" gegen Fremdenfeindlichkeit?

Wegen der Bedeutung von Vorurteilen für die Entstehung von Fremdenfeindlichkeit wäre – folgt man Benz - ein probates Gegenmittel die Aufklärung über die Mechanismen der Vorurteilsbildung. Das heißt: Notwendig wäre vor allem die Vermittlung der Einsicht, dass es sich bei Vorurteilen nicht um eine Reaktion der Mehrheitsgesellschaft auf Charaktereigenschaften, Bestrebungen und Handlungen der jeweiligen Minderheit handelt, sondern um die Konstruktion eines Feindbildes, das mit der Realität wenig oder gar nichts zu tun hat.

Hinzukommen müsste die Aufklärung über die Austauschbarkeit von Vorurteilen, also die Vermittlung der Erkenntnis, dass die gleichen Ressentiments ein paar Generationen vorher einer anderen Minderheit galten. Durch Aufklärung könnten also Vorurteile entkräftet und Feindbilder zerstört werden. Das Fremde in unserer sozialen Umwelt würde dadurch den Charakter des Bedrohlichen verlieren.

Es geht aber auch um einen anderen Umgang mit dem Fremden in uns selbst. So sollte das Fremde, das sich in uns selbst befindet, nicht, wie gezeigt, als etwas Unheimliches und Bedrohliches empfunden werden, sondern die Selbstbegegnung sollte gesucht und die eigene Erkundung letztlich zum Modell des Fremdverstehens gemacht werden - mit dem Ziel größerer Großzügigkeit und Gelassenheit im Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen. Und dieses könnte wiederum zu einer Beziehung der wechselseitigen Anerkennung und des Austauschs zwischen Kulturen und damit zu einer interkulturellen Kommunikation führen, bei der sich vielleicht beide Kulturen auch verändern.

Eine wichtige Rolle spielt hier die Fähigkeit zur Empathie, Empathie verstanden als die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen, wobei diese Fähigkeit wiederum mit dem Annehmen des Fremden in uns selbst in einem engen Zusammenhang steht. Denn Grundlage der Empathie ist die Selbstwahrnehmung: Je offener man für seine eigenen Emotionen ist, desto besser kann man die Gefühle anderer deuten. In interkulturellen Begegnungen könnte Empathie also Respekt und Verständnis füreinander ermöglichen.

Fazit

Es sind nicht die Fremden, die für die Fremdenfeindlichkeit verantwortlich sind, sondern die Fremdenfeinde selbst. Eine wichtige Botschaft an die Adresse der Fremdenfeinde wäre, dass unsere eigene nationale Kultur ein "Mischmasch" ist, dass sie durchdrungen und bereichert wurde von Einflüssen aus anderen, einst fremden Kulturen. Genaugenommen gab es also nie eine strikte Trennung zwischen "Fremden" und "Einheimischen", und im Zeitalter der Globalisierung erscheint das Beharren auf einer solchen Trennung als geradezu grotesk.

Quellen:

http://xenophobie.net/was-ist-der-schwarze-mann/

http://www.deutschlandfunk.de/tagung-wieso-wir-angst-vor-dem-fremden-haben.1148.de.html?dram:article_id=276181

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-10/fremdenfeindlichkeit-islam-kritik/komplettansicht (Klaus Bade)

http://www.tagesspiegel.de/politik/-pegida-bewegung-die-angst-vor-dem-fremden/11097382.html (Johannes Kiess)
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/183100/index.html (Verena Kast)
http://www.kim-ekmr.de/thema-des-monats/november-2014-angst-vor-dem-fremden/ (Wolfgang Benz)

Bildnachweis:

Alle Bilder: pixabay.com

 

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