Wie Klöppeln Männer an den Herd brachte
Im Berner Oberland sicherte das Fertigen feiner Spitzen die Existenz der Bergbauern. Doch bis es mit der Vermarktung klappte, sollte es Jahrhunderte dauern. Ein spannendes Stück Sozialgeschichte.Spitzen für den Hausgebrauch: Trachtenhauben für Teenies
Keine Frage: Das Klöppeln war am Anfang eine Sache für den Hausgebrauch: Aus schwarzem Rosshaar oder später schwarzer Seide waren die Spitzen geklöppelt, mit denen junge Frauen ihre Hauben verzierten. Woher die Technik kam, wo Frauen dieses komplizierte Handwerk lernten, das weiß heute kein Mensch mehr. Unter Umständen stammen diese Techniken aus Italien. Die Klöpplerinnen gingen dieser Arbeit vor allem in den langen Gebirgswintern nach.
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Wie die Spitzen weiß wurden: Klöppelarbeiten als Souvenir
So richtig zu schätzen begannen die Menschen in Lauterbrunnen ihre Spitzli erst, als im 19. Jahrhundert der Tourismus aufkam und Sommerfrischler auf die feinen Handarbeiten aufmerksam wurden: Die Oberländerspitze galt als schön und war im Vergleich zu den Spitzenbändern aus Brüssel anscheinend relativ preisgünstig. Die Produktion nahm an Fahrt auf, ein eigener kleiner Industriezweig entstand. 1830 fand der erste geschichtlich nachweisbare Klöppelkurs statt, für den der Landvogt von Interlaken eine Lehrerin aus dem Kanton Neuenburg engagiert hatte: Sie brachte die einheimischen Klöpplerinnen offensichtlich auf den Geschmack, auch einmal weißes Garn zu verwenden.
Mit diesem Know-how stieg auch die Qualität der Produkte: Um 1890 wurden die damals – nach Einschätzung von Hans Michel "vergleichsweise bescheidenen Spitzen" – auf einer Gewerbeausstellung in Zürich mit einem Ehrendiplom ausgezeichnet. Das motivierte: 1896 fand ein zweiter Klöppelkurs statt, bei dem die Frauen aus dem Lauterbrunnental stark vertreten waren. Es folgten weitere Auszeichnungen – 1896 die goldene Medaille bei der Landesausstellung in Genf und ebenfalls eine Goldmedaille bei der Gewerbeausstellung 1899 in Thun.
Doch mit dem Marketing haperte es. Kein Wunder: Für Bergbauern, die vereinzelt im Tal auf ihren Höfen lebten, war es schwierig, so etwas wie eine gemeinsame Produktion und Vertrieb aufzubauen. Meist waren es die Pfarrer oder deren Frauen, die Schwung ins Geschäft brachten, Aufträge von außerhalb vermittelten und die Arbeit koordinierten. Die Erfolge versickerten, sobald diese Schlüsselfiguren das Tal verließen und verstarben. Dann blieb den Bergbäuerinnen wieder nur, die Spitzen im Sommer an der Straße anzubieten.
Außerdem wurde die Situation auf dem Weltmarkt um 1900 immer angespannter: Maschinell gefertigte Spitzen aus England machten den Schweizer Heimarbeiterinnen ebenso zu schaffen wie die Konkurrenz aus Böhmen und Sachsen mit ihren geklöppelten Spitzen zu Dumpingpreisen. Es drohte das Ende der heimischen Fertigung.
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Der Durchbruch: der Verein zur Hebung der Klöppelindustrie
Eine weitere Initiative, die Herstellung von Spitzen im Lauterbrunnetal zu promoten, ging erneut vom Pfarrhaus aus: Der Seelsorger P. G. Trechsel nahm sich der Vermarktung an, engagierte eine Lehrerin der Kunstgewerbeschule Zürich, um Klöpplerinnen auszubilden. 1912 lud Trechsel zur Gründungsversammlung des "Vereins zur Hebung der Klöppelindustrie im Lauterbrunnental" ein. Neben wirtschaftlichen Zielen stand vor allem die soziale Situation der Klöpplerinnen im Forderung: Die Statuen lesen sich wie das Einmaleins fairen Wirtschaftens: Ziel war es, den Bergbauern eine angemessen bezahlte Arbeit für die erwerbsarme Zeit zu vermitteln und Lohndumping zu verhindern. Gleichzeitig sollte Verein eine gewisse Produktqualität gewährleisten: Materialien wurden gemeinsam eingekauft, der Verein sorgte für die Einführung anspruchsvoller Muster (Dessins) und schuf Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung.
Vor allem sollte aber verhindert werden, dass Frauen und Kinder ausgebeutet wurden: Mädchen durften nach Abschluss ihrer Schulzeit nur dann als Klöpplerinnen beschäftigt werden, wenn sie sonst keine Stelle in Aussicht hatten oder keine Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen. Das lässt erahnen, welche Missstände es zuvor gegeben. Sonst wäre es nicht nötig gewesen, diese Dinge in der Satzung im Detail zu regeln. Ein Punkt lässt uns heute fast schmunzeln: Die Heimarbeiterinnen durften wegen des Klöppeln nicht ihren Haushalt vernachlässigen: Der Vereinsvorstand war verpflichtet, darauf ein Auge zu haben. Er war sogar befugt, den Klöpplerinnen ihre Arbeit so lange zu entziehen, bis sie ihren Haushalt wieder tadellos im Griff hatten.
Die Erfolgsgeschichte: Wie Bergbauern zu Hausmännern wurden
Ein Problem, das sich dem gerade gegründeten Verein anfangs stellte, war es, trendige Muster für neue "Spitzli" zu finden. Doch da kamen den Verantwortlichen ein bisschen Glück und Zufall entgegen: Im Museum in Neuenburg wurde eine alte Sammlung mit wundervollen Mustern entdeckt. Der Verein ließ sie per Blaupause kopieren, stellte Klöppelbriefe her und ließ sie patentieren, um sie vor Nachahmern zu schützen.
Der "Verein zur Hebung der Klöppelindustrie im Lauterbrunnental" erwies sich von Anfang an als Erfolgsmodell: 1912 begann er mit etwa 20 Mitarbeiterinnen, bis zum Kriegswinter 1914 hatte sich deren Zahl verzehnfacht (!), 1917 waren es 450 Klöpplerinnen, die dort zu Lohn und Brot kamen! Dieser Zuverdienst war so attraktiv, dass Frauen im Winter den ganzen Tag über klöppelten, während sich die Männer um das Vieh, das Holz kümmerten und den Haushalt kümmerten.
Der fast genossenschaftlich organisierte Verein gewährleistete, dass die Bergbauernfamilien, die sonst vor allem Selbstversorger waren, eine Möglichkeit fanden, Bargeld zu verdienen. Und man darf nicht vergessen, dass das Klöppeln aus damaliger Sicht eine relativ einfache Tätigkeit war. Sie erforderte keine großen körperlichen Anstrengungen, schädigte nicht die Gesundheit und war ohne teures Werkzeug und "Kleiderabnützung" zu bewerkstelligen. Ein attraktives Zubrot also. Selbst zu Kriegszeiten musste der Staat im Lauterbrunnental kaum Arme unterstützen.
Spinnwebfein, duftig und luftig: eine Hommage an die Klöpplerinnen
1919 ging der Klöppelverein im "Verein für Heimarbeit im Berner Oberland" auf, dem auch andere Heimarbeitszweige angehörten. Auch noch während des Zweiten Weltkriegs und bis in die 50er-Jahre bot der Verein den Klöpplerinnen eine wichtige Erwerbsmöglichkeit.
Hans Michel geht in seinem Buch auch noch auf die aktuelle Situation 1950 ein. Und diese Zeilen lesen sich wie eine Hommage an die Kunstfertigkeit der Klöpplerinnen im Lauterbrunnental:
Jetzt sind immer noch in vielen Bauernstuben unzählige Hände emsig und geduldig tätig, von der weichen und geschmeidigen des Schulmädchens bis zu der knochigen, abgewerkten und steifen der Greisin; sie wirbeln mit unglaublicher Fertigkeit die Dintelhaufen durcheinander, für den Laien scheinbar sinnlos, straffen die Fäden, und auf den grünen Kissen wachsen langsam die schönen weißen Werke altvererbter künstlerischer Befähigung spinnwebfein, duftig und luftig, zierlich und doch dauerhaft. Heute haben die Lauterbrunner Spitzen geschmacklich und qualitativ einen Hochstand erreicht, der jeder kultivierten Käuferin Herz erfreut.
Bis heute gibt es übrigens Klöppelkurse im Lauterbrunnental: Immer am Freitagnachmittag im alten Schulhaus von Lauterbrunnen. Auskünfte gibt es bei der Lauterbrunnen Tourismus, Tel.: 0041/33/856 85 68, www. lauterbrunnen.ch
Hans Michel, der diese ganze Geschichte 1950 dokumentiert hat, unterrichtete von 1913 bis 1920 als Lehrer in Lauterbrunnen und wurde später zum Ehrenbürger ernannt. In Antiquariaten ist sein "Buch der Talschaft Lauterbrunnen" noch vereinzelt erhältlich.