Ein Dekadenz-Autor

Dekadenz, Débauche (Ausschweifung), Pessimismus, willensschwaches, in der Großstadt umherstreifendes Flaneurtum, das sind die Stichworte, die fallen angesichts seiner Hauptwerke. Geistig verbunden war er der Literatur seiner Jugend aus den 80ern, wie August Strindberg, Herman Bang oder Jens Peter Jacobsen, nicht der Literatur der 90er, in denen er sein Debüt hatte. Die Neo- und Nationalromantik einer Selma Lagerlöf lag ihm, den pessimistischen Rationalisten und Atheisten, fern. Dabei sind alle seine längeren Erzählungen im Kern Liebesromane, doch diese Liebe existiert in einem gesellschaftlichen Kontext.

Sein Debüt hatte er 1895 mit der Erzählung "Verirrungen", in der ein junger Mann in Probleme gerät, weil er Wechsel gefälscht hat. In "Martin Bircks Jugend" (1901) steht ein junger Mann zwischen zwei Frauen verschiedener Klassen, kann sich dann aber aus finanziellen Gründen überhaupt nicht verheiraten. (Finanzielle Probleme verfolgten Söderberg sein Leben lang, auch wenn er selbst zweimal verheiratet war.) Hier wird auch fiktiv, aber wenig verschlüsselt, nacherzählt, wie Söderberg als junger Mensch seinen Glauben verlor. Die Erzählung in Tagebuchform "Doktor Glas" (1905), die von einem Mord an einem widerlichen Pastor handelt, ist dabei gleichzeitig eine Analyse der gesellschaftlichen Auffassung von Liebe und Ehe und ihrem Ursprung im lutherischen Denken. "Das ernste Spiel" (1912) behandelt die Liebe zu einer sehr auf Unabhängigkeit bedachten Frau.

Bücher von Hjalmar Söderberg auf Deutsch
Doktor Glas: Roman
Das ernsthafte Spiel: Roman
Verirrungen

Ein klarer Stil

Man sollte den Menschen Hjalmar Söderberg nicht mit den Figuren seiner Romane verwechseln, auch wenn diese oft, vor allem Martin Birck, starke autobiographische Züge tragen, aber, wie Söderberg selbst gesagt hat, ein Doktor Glas hätte so ein Tagebuch wie in der gleichnamigen Erzählung in der Wirklichkeit gar nicht schreiben können. Ironisch fügte er dann hinzu, dass das noch keinem aufgefallen wäre.

Klarheit ist der Begriffe, mit dem Söderbergs Werk gerne charakterisiert wird. Bure Holmbäck, der die unentbehrliche Biografie über Söderberg ("Ein Schriftstellerleben") verfasst hat, hat festgestellt, dass diese oft gerühmte Söderberg'sche sprachliche Klarheit auf zwei Ebenen existiert: Da sind zum einen die Ironie, der Humor, die Eleganz, also Eigenschaften, die eher Distanz erzeugen, aber dann gibt es auch das Lyrische und das Weiche, das den emotionalen Zugang erlaubt. In dieser Spannung gewinnt Söderbergs Werk seine bleibende Kraft. Und selbst wenn man inhaltlich nicht mit seinen Texten übereinstimmt, vor allem den späteren theoretischen, so sind sie doch allein aufgrund der Sprache und des Stils lesenswert.

Selbstporträt Hjalmar Söderberg (Bild: Hesekiel)

„Jahves Feuer“

Nach und nach verabschiedete er sich dann von der reinen Fiktion, wollte nur noch schreiben, was er dachte, realisierte dies zum ersten Mal in Reinform mit dem Buch "Unruhe des Herzens" (1909). Er nannte das dann "Gedankenbuch".

Die systematische religionskritische Arbeit begann mit "Jahves Feuer" (1918), wo er sich der Moses-Thematik annahm. Das Buch ist dreigeteilt. Der erste Teil erzählt in einem sprachlich der Bibel nachempfundenem Stil die Ereignisse des Alten Testamentes von dem Augenblick an, an dem Moses den Ägypter erschlägt, bis zum Erreichen des Gelobten Landes und Moses' Tod. Im zweiten Teil, der in der Gegenwart spielt, werden in einer abendlichen Gesprächsrunde die Ereignisse diskutiert und rational gedeutet. Der dritte Teil enthält ausführliche wissenschaftliche Anmerkungen und Quellenangaben zu den einzelnen Kapiteln des ersten Teils. Die wichtigste These ist hierbei die Herkunft der jüdischen Religion aus einer vorarabischen Religion, in der der Mondgott angebetet wurde. Bei Söderberg ist es Moses' Schwiegervater, der ihn in all die dazugehörigen Geheimnisse und Rituale einweiht. Eine andere These bezieht sich auf die vielen Wunder, die mit Feuer und Rauch zusammenhängen. Söderberg stützt hier die Theorie, dass es ein geheimes Priesterwissen um Kraut, d.h. Schießpulver gab.

Leider ist das Problem mit solchen Erklärungen immer, dass die damit verbundenen rationalisierenden Spekulationen oft nicht weniger phantastisch klingen als die übernatürlichen Ereignisse selbst, die im Alten Testament beschrieben werden. Aber es ist klar, dass Söderberg als Atheist der Ansicht war, dass es irgendeine Erklärung gegen müsse hinter der Sage, bei der er aber immer von einem historischen Kern ausging. Und so wählte er die seiner Meinung nach wahrscheinlichste. Aber Wissenschaft ist gerade in diesen Bereichen eben auch eine Glaubenssache, denn einen letzten Beweis kann es nicht geben. Bei den Jesusbüchern sollte es dann mehr um Textarbeit und Interpretation gehen, also einem logischen Vorgehen, das von jedem nachvollzogen werden kann.

Die Kritikerreaktionen zu "Jahves Feuer" waren im Großen und Ganzen gemäßigt, verglichen mit dem, was auf "Jesus" Barabbas (1928) folgte: Zwar ein bisschen Spott für den als unsittlichen verschrienen Verfasser, der auf seltsamen Pfaden wandelte, aber auch großes Lob für die literarische Umsetzung des Themas.

Moses und der brennende Busch

Moses and the Burning Bush (Bild: Norbert Jospeh Carl Grund)

Moses teilt die Wasser

Moses Divides the Waters of the Red Sea (Bild: Christopher Eckersberg)

Die Reaktionen auf „Jesus Barabbas“

Bei "Jesus Barabbas" dann aber stürzte sich die feindliche Kritikermeute hemmungslos auf ihn. Sven Lagerstedt hat in seiner grundlegenden Arbeit über "Hjalmar Söderberg und die Religion" die prägnantesten Formulierungen gesammelt. Da war dann durchaus von einem "alten Greis" und einem "grinsenden alten Satyr" die Rede. "Intellektuelle Erschlaffung und Hirnerweichung" wurden bei dem "Berufslästerer" diagnostiziert. Auf den für sie skandalösen Inhalt wollten viele gar nicht erst eingehen. Zu sehr traf die als "Räuberpistole" kritisierte These Söderbergs davon, dass Jesus und der sogenannte Räuber Jesus Barabbas ein und dieselbe Person gewesen seien und Jesus damit freigelassen und nicht gekreuzigt wurde, ins Mark selbst derer, die nicht mehr an Jesus als Gottes Sohn glaubten, seine Lehre und sein Märtyrerschicksal aber als außergewöhnlich retten wollten. Was darüberhinaus besondere Empörung verursachte, war der oft spöttische und als blasphemisch, geschmacklos, "roh und hässlich" empfundene Ton, der auch dafür sorgt, Jesus jede Form von Besonderheit zu nehmen.

Söderberg hatte keinen Respekt vor einer historischen Tradition, die sich irgendwann verselbständigt hat, in der Dinge überliefert wurden, ohne nachzufragen und zu -forschen, und in der die Machtergreifung und das Fortbestehen der 2000 Jahre alten (wenn auch gespaltenen) Kirche ein Beweis für die spirituelle Wahrheit ihrer theologischen Grundlagen sein soll.

Kierkegaards Forderung in "Einübung ins Christentum" nach Gleichzeitigkeit mit Jesus wird hier gewissermaßen konsequent umgesetzt, auch wenn es sich eher um eine "Einübung aus dem Christentum" handelt. Söderberg verwendet die allergrößte Sorgfalt darauf, die Vergangenheit in eine Atmosphäre der Normalität zu betten, damit der Leser begreift, dass das Leben und die Menschen damals gar nicht so viel anders waren als die von heutzutage. Er soll sich in die beschriebenen Orte und Handlungen problemlos hineinversetzen können und so soll die von Priestern und Theologen anerzogene Ehrfurcht von ihm abfallen. Das Alltägliche kann Söderberg in dem Zusammenhang gar nicht alltäglich genug sein.

„Jesus Barabbas“ – Der Inhalt

"Jesus Barabbas" besteht, ebenso wie "Jahves Feuer", aus zwei Zeitebenen, nur dass diese diesmal inhaltlich miteinander verflochten sind und nicht in voneinander abgetrennten Teilen untergebracht werden, was die Lesbarkeit und den Unterhaltungswert natürlich erheblich steigert. Die Hauptfigur des Romans, der im Untertitel genannte Leutnant Jägerstam, lebt nicht nur in der Gegenwart der Entstehung des Romans in einem Mietshaus in Kopenhagen, sondern er berichtet auch von einer früheren Existenz, die er zu Jesus' Zeit in Galiläa hatte. Im Kopenhagen des 20. Jahrhunderts ist er ein pensionierter Offizier, der Leute trifft, sie einlädt, mit ihen isst und sich mit ihnen unterhält. Auf die Art findet sich hier wie in "Jahves Feuer" die wissenschaftlich begründete Religionskritik im Dialog der Figuren. 2000 Jahre zuvor war zuvor war er der Sohn eines Pharisäers, der seine Jugend in Alexandria verbringt, nach einigen Jahren zurückkehrt und durch seine Sprachkenntnisse mit den Römern und damit auch Pontius Pilatus in Berührung kommt. Daher erlebt er die Ereignisse um den blutigen Überfall auf den Jerusalemer Tempel und dem nachfolgenden Prozess sowie die Freilassung von Jesus Barabbas aus nächster Nähe.

„Der verwandelte Messias“ - 7 Thesen

1932 nahm Söderberg sich des Themas mit "Der verwandelte Messias" erneut und diesmal systematischer, rein wissenschaftlich an. Auch hier legt er keinen falschen Respekt an den Tag, kann in den Evangelien keine spirituelle Naivität, sondern vielmehr Betrug erkennen. In einem Fazit listet Söderberg schließlich die sieben Ergebnisse seiner Abhandlung auf:

1. Jesus war eine historische Person.

2. Jesus war ein jüdischer Messias an der Spitze einer sicher nicht gewaltfreien Befreiungs- und Volksbewegung.

3. Jesus führte mit seinen Anhängern einen gewalttätigen Angriff gegen den Tempel von Jerusalem und den dortigen Opferkult durch, weswegen er zu Recht verurteilt wurde.

4. Jesus ist identisch mit Barabbas (der uns als andere Person und Räuber überliefert wurde).

5. Jesus' weiteres Schicksal ist unsicher, d.h., es ist unklar, ob er freigelassen wurde, auch wenn es Quellen gibt, die in diese Richtung deuten.

6. Jesus verkündete keine neue Lehre. Das Christentum ist eine jüdische Sektenreligion.

7. Der historische Jesus wurde durch die Evangelien derart verwandelt, dass es kaum noch Hinweise auf den wirklichen Menschen gibt.

Jesus Enters Jerusalem on Palm Sunday (Bild: James Tissot)

Religonswissenschaft als Wahrheitssuche

Diese systematische Religionskritik hat dazu beigetragen, dass Söderberg ein manischer Christentums- und Kirchenhass nachgesagt, dass er einmal "Schwedens Oberpriester des Atheismus" genannt wurde. In einem Brief an seinen Freund und Kollegen Bo Bergman hat er einmal die Suche nach der Wahrheit als Ursache für den Antrieb zu diesen Forschungen formuliert:

"Ich bin auf keine Weise von dem Bedürfnis besessen, das Christentum abzuschaffen oder den Schatten davon, den es noch gibt. Die nächste Religion wird vielleicht noch schlimmer. Aber ich bin gezwungen gewesen, einem Grundinstinkt in meiner Natur zu folgen, der mich dazu angetrieben hat, die fast ausgelöschten Spuren der historischen Wirklichkeit zu finden, die sich hinter der Entstehung des Christentums verbergen."

River Tiber and the Vatican, Rome, Lazio, Italy (Bild: Roy Rainford)

„Die Reise nach Rom“

Die Novelle "Die Reise nach Rom" beschreibt sogar die Konversion eines protestantischen Pastors zum Katholizismus: Dieser Pastor sollte eigentlich Jurist werden, aber nach einer tiefen Lebenskrise entschied er sich für die Theologie. Als sich diese Krise 10 Jahre später wiederholt, findet er in seinem lutherischen Protestantismus keinen Trost und er wirft sich in die Arme der katholischen Kirche.

Das Tagebuch dieses Pastors enthält folgende an neuprotestantische Theologen gerichtete Textstelle:

"Euer Jesus, von dem Ihr nichts anderes wisst, als dass er nicht Gottes Sohn war, keine Toten wiedererweckte und nicht die Bergpredigt verfasst hat, er scheint nie eine Seele in Not zu erlösen. Euer Christentum, das sind Steine anstelle von Brot, wenn man biblisch sprechen will, und wenn man eine modernere Sprache sprechen will, die Ihr besser versteht, dann ist sie eine fleisch-, haut- und knochenfreie Anschovis."

Es mag seltsam erscheinen, das Hjalmar Söderberg sich mit so viel Verständnis in die Gedankenwelt derer versetzt, von denen ihn eigentlich am meisten trennte. Aber als Rationalist betrachtete er den halben Trost, den eine von ihren Ursprüngen abgefallene Religion nur schenken kann, als nichtig. Denn das war seiner Meinung nach die einzige Funktion von Religion: Trost spenden in einer kalten Welt. Vielleicht klingt dabei auch fast ein wenig Wehmut an, dass ihm, dem unheilbaren Verstandesmenschen, dieser Weg, der für ihn ja nur ein Weg der Lüge sein konnte, seit seiner Jugend verschlossen war.

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