Der Gang nach Canossa
Heinrichs Unterwerfung unter Papst Gregor VII. im italienischen Canossa dient bis heute als Symbol für demütigende Selbsterniedrigungen. Doch die Wahrheit sah anders aus.Der Beginn des Investiturstreits
Der Gang nach Canossa bildete den Höhepunkt des sogenannten Investiturstreits (Investitur = Einsetzung), einer fast 50 Jahre währenden Auseinandersetzung zwischen deutschem Königshaus und Papsttum. Der Konflikt setzte sich auch nach dem Tod der beiden Hauptkontrahenten, König Heinrich IV. und Papst Gregor VII. fort. Hintergründig ging es darum, wer den höheren Rang innehabe: Das Papsttum oder der deutsche Herrscher, welcher eigentlich die traditionelle Schutzmacht des Ersteren repräsentierte.
Offiziell jedoch entzündete sich der Streit an der Frage, ob auch ein weltlicher Herrscher Bischöfe in ihr Amt einsetzen dürfe. Immerhin waren Kirchenfürsten damals gleichzeitig territoriale Herrscher, wodurch eine Unterordnung unter König oder Kaiser bestand. Somit kam es zur sogenannten Laieninvestitur: Weltliche, verheiratete Fürsten wurden aus machtpolitischen Gründen in das Bischofsamt eingesetzt.
Gregor VII. versus Heinrich IV.
1075 begann die Zuspitzung des Konflikts. Gregor VII. veröffentlichte das "Dictatus papae", worin das Papsttum zur höchsten Macht auf Erden erklärt wurde. Gleichzeitig ergriff er verschiedene Maßnahmen gegen bischöfliche Parteigänger Heinrichs im Deutschen Reich und Norditalien. Der junge König reagierte umgehend und sandte seinem Widersacher ein nicht minder scharfes Mahnschreiben, welches in der Aufforderung gipfelte, Gregor möge abdanken, denn seine Papstwahl sei nicht rechtens gewesen. Dies barg eine reale Gefahr für den Papst, denn nach zeitgenössischen Quellen war jener tatsächlich nicht auf reguläre Weise zu seinem Amt gekommen. Entsprechend groß erwies sich daher zunächst die öffentliche Unterstützung für Heinrich.
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Die stärkste Waffe des Papstes: Der Kirchenbann
Gregor belegte den König deshalb im Jahr 1076 mit dem Kirchenbann. Heinrich galt somit im Verständnis seiner Zeitgenossen als verflucht, vogelfrei und aus jeglicher Sozialgemeinschaft ausgestoßen. Alle Verträge und Lehnseide verloren ihre Gültigkeit. Man konnte sogar bestraft werden, wenn man den Gebannten unterstützte. Heinrichs deutschen Gegnern, den nach Unabhängigkeit strebenden Reichsfürsten, kam diese Entwicklung natürlich gelegen. Dem König blieb somit nur eine Möglichkeit: Nach damaligen Recht hatte er ein Jahr und einen Tag Zeit, beim Papst um Lösung des Banns zu bitten.
Der Gang nach Canossa: Heinrichs raffinierte Taktik
Mitten im Winter zog der König also mit beachtlich großem Gefolge über die Alpen nach Italien. Beide Kontrahenten trafen an der Burg Canossa aufeinander. Diese gehörte der Fürstin Mathilde von Tuszien, einer Parteigängerin Gregors. Drei Tage lang harrte König Heinrich im Büßerhemd vor der Burg aus, ehe ihn der Papst begnadigte und den Bann löste. Diese Episode wurde später durch papstfreundliche Chronisten propagandistisch ausgenutzt. Doch die Wahrheit sah ganz anders aus.
Gregor befand sich nur aus einem Grund in der Burg Canossa: Er hatte Angst! Nicht ganz unbegründet befürchtete er, dass Heinrich den Konflikt militärisch entscheiden würde. Tatsächlich verlief die Begegnung von Canossa daher vermutlich wesentlich unspektakulärer, als von der Nachwelt angenommen. Die Einzelheiten der dreitägigen Buße wurden zuvor genau vereinbart. Nach damaligem Kirchenrecht hatte Gregor zudem gar keine andere Wahl. Er musste den Bann im Falle eines Bußgangs lösen. Letztendlich war das Zusammentreffen der beiden Herrscher in Canossa also lediglich ein gut ausgehandelter Kompromiss: Gregor wahrte das Gesicht und Heinrich rettete sein Königtum.
Der wahre Sieger hieß Heinrich
Nach diesem cleveren Schachzug hatte Heinrich trotzdem alle Hände voll zu tun, um seinen Herrschaftsanspruch auch real zu sichern. Oppositionelle Fürsten hatten in Deutschland mittlerweile Rudolf von Rheinfelden, einen Schwager Heinrichs, zum Gegenkönig gekrönt. Auch Papst Gregor stellte sich auf die Seite der Rebellen, erklärte Rudolfs Machtanspruch für rechtmäßig und bannte König Heinrich 1080 erneut.
Wenige Monate später besiegte dieser jedoch seinen Konkurrenten. Rudolf erlitt auf dem Schlachtfeld schwere Verwundungen und starb wenig später. Propagandistisch ausgewertet wurde dabei die bis heute kursierende Behauptung, Rudolf habe bereits während der Schlacht seine rechte Hand, die Schwurhand, eingebüßt. Heinrich ging nun seinerseits in die Offensive. Ihm ergebene Bischöfe kürten einen Gegenpapst und erklärten Gregor für abgesetzt. Im Jahr 1084 eroberte Heinrich sogar Rom. Von seiner letzten Bastion aus, der Engelsburg, musste der geflohene Gregor tatenlos zusehen, wie der neue Papst Klemens III. dem deutschen Herrscher die Kaiserkrone aufs Haupt setzte! Gregor wurde schließlich von einem normannischen Heer befreit, kehrte jedoch nie auf den Papstthron zurück und starb im Jahr darauf.
Taktisch geschickt, hatte Heinrich IV. somit den Sieg errungen. Erst einige Jahrzehnte später endete der Investiturstreit dennoch mit einem erstarktem Papsttum. Entsprechend "geschönt" fand der Gang nach Canossa daher auch seinen Platz in der Geschichtsschreibung.