Der Jünger Judas: Verrufen, geschmäht und missverstanden
Bis heute steht der Name des Jüngers Judas für Verrat und Vertrauensbruch. Wer war der Mann, den die christliche Kultur in so schlimmer Erinnerung behält?Wer war Judas?
Die meisten Informationen über den Menschen Judas stammen aus den vier biblischen Evangelien sowie der Apostelgeschichte. Danach war Judas Iskariot ein Jünger Jesu, der zu den ständigen Begleitern des Meisters zählte. In den biblischen Aufzählungen dieser zwölf Männer erscheint Judas regelmäßig an letzter Stelle. Dies hat aber nichts mit dem Zeitpunkt der Berufung zu tun. Vielmehr ist es eine bewusste Abgrenzung aufgrund seines späteren Verrats. Oft wird der Name des Judas in den Evangelien zudem mit einem entehrenden Nebensatz versehen wie: "..., der ihn verriet."
Der Beiname Iskariot wird gelegentlich auf das aramäische Wort "sikarios" ( = ein Mörder) zurückgeführt und soll andeuten, dass Judas eventuell den sogenannten Zeloten angehörte, einer gewaltbereiten Gruppierung jüdischer Freiheitskämpfer. Logischer erscheint allerdings die Gleichsetzung von Iskariot mit der hebräischen Formulierung "Mann aus Kerijot". Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass der Vater des Judas als Simon Iskariot erwähnt wird (Joh. 13,26). Mit Kerijot ist wahrscheinlich ein Ort in Judäa, südlich von Hebron gemeint.
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Die Tat des Judas
In den biblischen Jesus-Geschichten tauchen gelegentlich unschöne Randbemerkungen über Judas auf. So fungierte er offenbar als Geldverwalter der dreizehnköpfigen Gruppe. Gleichzeitig wurde ihm jedoch finanzielle Veruntreuung nachgesagt (Joh. 12,6). Zum offenen Konflikt kam es, als Jesus plötzlich von Maria, einer seiner treuesten Unterstützerinnen, mit kostbarem Öl gesalbt wurde. Judas machte ihr daraufhin den Vorwurf, sie hätte das Öl lieber zugunsten bedürftiger Menschen verkaufen sollen. Jesus jedoch verteidigte Maria ausdrücklich.
Kurze Zeit später begabt sich Jesus nach Jerusalem, wo er gefangen genommen und hingerichtet wurde. Die Verhaftung konnte jedoch nur gelingen, weil Judas den zuständigen Stellen verriet, wo sich der Gesuchte aufhielt. Jesus selbst wusste vom geplanten Verrat. Beim sogenannten letzten Abendmahl erklärte er den Jüngern, dass sich unter ihnen ein Verräter befände, der noch in der gleichen Nacht aktiv würde. Alle waren bestürzt und fragten nach der Identität des Betreffenden. Judas entlarvte sich durch seine Frage schließlich selbst und verließ, von Jesus aufgefordert, das Gebäude. Später in der Nacht kehrte der Verräter mit einigen Bewaffneten zurück. Im sogenannten Garten Gethsemane begrüßte er Jesus mit dem orientalischen Friedenskuss und zeigte den Häschern damit den Gesuchten. Bei der Verkündung des Todesurteils wurde Judas allerdings von Reue erfasst. Nach dem vergeblichen Versuch, das "Geschäft" mit seinen Auftraggebern rückgängig zu machen, erhängte er sich. Eine weit auslegbare Bemerkung dazu in Apostelgeschichte 1,18 lässt vermuten, dass der Strick riss und Judas an den Folgen des Sturzes starb.
Der Begriff Judaslohn
Ein wesentliches Element dieser Geschehnisse ist der sogenannte Judaslohn. Der Verräter erhielt für seine Tätigkeit eine finanzielle Entlohnung. Nach dem Matthäusevangelium handelte es sich dabei um 30 Silberlinge. Vermutlich war diese Summe lediglich eine Anzahlung. Möglich ist jedoch auch, dass Matthäus nicht den wirklichen Betrag nannte, sondern nur auf einen symbolischen Begriff für bezahlten Verrat anspielte, wie er bereits im alttestamentlichen Buch Sacharja verwendet wird. Kurz vor seinem Tode versuchte Judas, den Verräterlohn seinen priesterlichen Auftraggebern zurück zu geben. Als diese sich weigerten, warf er die Münzen in den Tempel. Weil das Geld als unehrlich galt, kauften die Priester davon schließlich ein Stück Land namens Töpferacker (vermutlich den Sterbeort des Judas) und machten daraus einen Friedhof für Fremde. Der Ort erhielt fortan die Bezeichnung "Blutacker".
Der Judaslohn ist auch heute noch ein gängiger Begriff für die Gegenleistung eines Verrats. Literarisch wird er gelegentlich auch verwendet, wenn ein Verräter seine "gerechte Strafe" erhält. Allerdings darf daran gezweifelt werden, dass Judas tatsächlich aus Geldgier handelte. Dafür hätte er sich auch einfach mit der Reisekasse der Gruppe aus dem Staub machen können. Was waren also die wirklichen Motive des abtrünnigen Jüngers?
Warum wurde Jesus von Judas verraten?
Ein moderner Deutungsversuch führt in die Welt der Verschwörungstheorien: Das sogenannte Judas-Evangelium. Es gehört der neutestamentlich-apokryphen Literatur an. Darunter versteht man Aufzeichnungen, die nicht zur biblischen Büchersammlung gehören, Berichte des Neuen Testaments aber parallel oder mit Ergänzungsanspruch wiedergeben. Demnach war Judas ein von Jesus besonders eingeweihter Jünger, der mit dem Verrat regelrecht beauftragt wurde, um das Erlösungsgeschehen einzuleiten. Allerdings passen die Aussagen des noch wenig erforschten Judas-Evangeliums nicht in den großen Kontext der gesamten Bibel, beispielsweise in der Frage der Identität Gottes. Das Judas-Evangelium basiert vermutlich auf den Lehren einer christlichen Sekte aus dem zweiten Jahrhundert.
Eine naheliegendere Erklärung ergibt sich hingegen aus der chronologischen Abfolge des biblischen Berichts. Judas beging seinen Verrat wenige Tage nach der oben geschilderten Auseinandersetzung. Doch wie realistisch erscheint eine solchermaßen übersteigerte "Rache" aufgrund einer Zurechtweisung? Die amerikanische Theologin und Schriftstellerin Ellen Gould White (1827 –1915) hielt eine solche Handlungsweise zwar für möglich. Doch sie vermutete noch einen zusätzlichen und wesentlich stärkeren Beweggrund des Judas: Der Jünger wollte Jesus durch eine herbeigeführte Notlage dazu zwingen, seine Macht zu offenbaren und endlich ein göttliches Reich auf Erden zu errichten. (Darstellung nach "Das Leben Jesu", S. 715 ff.)
Diese Theorie lässt Judas menschlicher und seinen Verrat begreiflicher erscheinen. Laut den biblischen Evangelien hegten andere Jünger ganz ähnliche Vorstellungen. Offenbar glaubten sie, Jesus werde die römischen Besatzer und die verlogene Priesterkaste vertreiben und mittels seiner Wunderkräfte selbst ein mächtiges Reich erschaffen. Den geistlichen Erlösungsgedanken hatten die Jünger offenbar nur ungenügend erfasst, was auch ihre Enttäuschung unmittelbar nach der Kreuzigung erklärt.