Was ist Panpsychismus?

Der Begriff 'Panpsychismus' setzt sich aus den griechischen Worten 'pan' (alles, überall) und 'psyche' (Geist, Seele) zusammen und wurde im 16. Jahrhundert durch den italienischen Philosophen Francesco Patrizi eingeführt. Den beiden griechischen Worten zufolge geht der Panpsychismus davon aus, dass alle Dinge beseelt sind, also einen Geist oder geistähnliche Eigenschaften haben. Das heißt: Dem Panpsychismus zufolge besitzen alle Dinge sowohl materiale als auch mentale Eigenschaften, haben schon die kleinsten Bestandteile der Materie mentale Merkmale und damit eine subjektive Erlebniskomponente (Qualia). Wichtige Vertreter des Panpsychismus waren Baruch de Spinoza. Giordano Bruno, Gottfried Wilhelm Leibniz, Friedrich Wilhelm Schelling, Gustav Theodor Fechner und William James.

Das Konzept des graduellen Panpsychismus

Eine dezidierte und an neue Erkenntnisse angepasste Neuauflage des Panpsychismus stammt von dem Philosophen Patrick Spät. Und zwar bezeichnet Spät sein Konzept als "graduellen Panpsychismus". Diesem Konzept zufolge hat Materie bereits von ihren Quanten-"Wurzeln" her sowohl eine äußere – den Naturwissenschaften zugängliche – als auch eine innere – den Geisteswissenschaften zugängliche - Seite. Für Spät besteht Materie folglich nicht nur aus den Zahlen, Formeln und Relationen, die die Naturwissenschaften beschreiben und erklären können, sondern sie besitzt darüber hinaus subjektive und qualitative Merkmale, die durch philosophische Reflexion und psychologische Analyse erschlossen werden können. In Übereinstimmung mit der ursprünglichen Theorie des Panpsychismus geht Spät also davon aus, dass die gesamte Materie von geistigen Eigenschaften durchdrungen ist, dass die Wirklichkeit ein Prozess ist, bei dem alles mit allem zusammenhängt.

Das bedeutet für Spät jedoch nicht – und mit dieser These wird der ursprüngliche Panpsychismus von ihm modifiziert – dass Steine oder Gegenstände wie Tische geistiges Leben oder ein Bewusstsein aufweisen würden, sondern seiner Meinung nach nimmt nur dann, wenn etwas in materieller Hinsicht ausreichend komplex ist, auch seine geistige Seite komplexere Formen an.

Die geistigen Fähigkeiten werden also – folgt man Spät - analog zur Komplexitätssteigerung von Materie etwa in Lebewesen, Nervenzellen und schließlich Gehirnen immer komplexer und führen schließlich über einfache Reiz-Reaktions-Muster zu Vor- und dann Selbstbewusstsein. Deshalb ist für Spät auch nur im Zusammenspiel der äußeren Seite der Materie mit ihrer inneren geistigen Seite Evolution möglich, und zwar in Richtung auf eine immer größere Komplexität des Geistigen. Damit verbunden ist auch eine ethische Dimension: Das heißt: Alle Organismen, selbst einfache Zellen, streben nach Selbsterhaltung und fühlen, was ihnen gut tut und was ihnen schadet. Spät bezieht sich bei seinen Überlegungen auf Philosophen wie Alfred North Whitehead, Hans Jonas und vor allem Pierre Teilhard de Chardin, aber auch auf die Schulen der östlichen Philosophie.

 

Kritik am dualistischen Denken in den Neurowissenschaften

Für Patrick Spät ist sein Konzept des graduellen Panpsychismus ein Ausweg aus den Sackgassen, in denen sich die Neurowissenschaften mit ihrem dualistischen Denken, also der Trennung von Körper und Geist, verrannt haben. Spät spricht in diesem Zusammenhang von einer materialistischen bzw. physikalistischen Sichtweise, bei der versucht werde, das geistige Erleben des Menschen aus den Funktionen des Gehirns abzuleiten. Demzufolge sollen sich also unsere subjektiven und qualitativen Wahrnehmungen, Empfindungen, Gedanken oder Gefühle allein durch elektrochemische Vorgänge in den Gehirnzellen erklären lassen. Für den Materialisten bzw. Physikalisten – man kann hier auch von einem reduktiven Materialismus sprechen - gibt es mit anderen Worten in der Welt zunächst einmal nichts Geistiges, sondern nur nackte Materie, die er mit seinen Formeln lückenlos beschreiben kann.

Sozusagen die Kehrseite dieser Auffassung ist der Emergentismus. Das heißt: Das Geistige, das der Materialist auf das Physische bzw. Materielle reduziert, ist ja mutmaßlich irgendwann aus dem Physischen hervorgegangen. Aber wie sich diese Emergenz von Geist aus Materie vollzogen haben soll, kann er – so Spät – nicht erklären. Der Materialist bzw. Emergentist könne noch nicht einmal sagen, was überhaupt Materie ist. Das heißt: Die Naturwissenschaft kann Spät zufolge nur zeigen, wie sich Materie verhält, aber nicht, was sie ihrem Wesen nach wirklich ist. Es sei also beim Materialismus bzw. Emergentismus weder klar, was der Begriff 'das Materielle' überhaupt bedeutet, noch wie sich der Geist auf das Materielle reduzieren lässt oder wie umgekehrt plötzlich Geist aus dem rein materiellen Hirn "auftaucht".

Und diese physikalistische Weltsicht ist nach Ansicht von Spät nicht nur für diesen Erklärungsnotstand verantwortlich, sondern – als Folgewirkung - auch für die Ausbeutung des Menschen und unseres Planeten.

Kann vermeintlich tote Materie über Bewusstsein verfügen?

Der Schlaf- und Bewusstseinsforscher sowie "gelernte" Neurowissenschaftler und Psychiater Giulio Tononi hat eine Theorie des Bewusstseins entwickelt, die dem graduellen Panpsychismus Patrick Späts sehr nahe kommt, aber über diesen noch hinausgeht.Und zwar besteht Tononi zufolge Bewusstseinsaktivität in der Verarbeitung von Informationen. Das heißt: Nach Ansicht von Tononi ist Bewusstsein integrierte Information, entsteht Bewusstsein immer dann, wenn Daten auf eine ganz bestimmte komplexe Weise vernetzt werden und dabei zu einer untrennbaren Ballung von Informationen verschmelzen, zu einem 'integrierten' Erlebnis. In diesem Zusammenhang hat Tononi ein Modell entwickelt, in dem er ein mathematisches Maß der Informationsintegration einführt, das sogenannte "Phi". Er will also die Informationsmenge in einem System messen und dadurch die Komplexität seines Bewusstseins ermitteln.

Das menschliche Gehirn erreicht natürlich aufgrund seiner großen Menge an Informationsintegration bei "Phi" einen hohen Level. Folglich ist das Bewusstsein, das es beherbergt, sehr komplex. Bei Tieren verkleinert sich entsprechend, je einfacher sie "gestrickt" sind, kontinuierlich die Menge der Informationsintegration im Gehirn, so dass auch der "Phi-Wert" sinkt und damit das Ausmaß der Komplexität ihres Bewusstseins.

Von der Art der Informationsverarbeitung im Gehirn hängt es für Tononi also ab, wie komplex das Bewusstsein eines Systems ist, und diese Zusammenhänge zeigt der "Phi-Wert". Dabei wird es jedoch seiner Meinung nach nie einen Wert von Null geben, weil auch die einfachsten Systeme über ein Minimum an Bewusstsein verfügen würden. Umgekehrt könnte man mit Hilfe dieses Modell –so Tononi - aber auch bestimmen, über wie viel "Phi" ein System verfügen müsste, damit man ihm Bewusstsein zuschreiben kann. Und dies könnte im Endeffekt bedeuten, dass Bewusstsein nicht auf biologische Systeme beschränkt, sondern auch bei technischen Systemen möglich wäre, so dass man beispielsweise auch Computern Bewusstsein zuschreiben könnte. Tononi hat – um seine Theorie des Bewusstseins auf einen kurzen Nenner zu bringen - versucht, das Rätsel des Zusammenspiels von Bewusstsein und Physis dadurch zu lösen, dass er Bewusstsein als Informationsverarbeitung begreift.

Gibt es gar keine Materie, sondern nur Geist?

Der Philosoph Peter Russell hat den Panpsychismus radikalisiert und zu einer neuen Form von Pantheismus weiterentwickelt, indem er aus seiner Analyse des Bewusstseins die These ableitet, dass es wahrscheinlich gar keine materielle Realität gibt, also auch keine materielle Realität, die von Geistigem durchdrungen ist - wie es der Panpsychismus postuliert - sondern dass alles aus "Geist-Stoff" und damit aus etwas Göttlichem besteht.

Ausgangspunkt dieser Vorstellung ist die Tatsache, dass wir die physische Welt nie direkt erleben, dass das Gehirn vielmehr die ankommenden Daten analysiert und dann ein eigenes Bild von dem erstellt, was "da draußen" ist. Wir haben zum Beispiel den Eindruck, einen Baum zu sehen. Aber was wir wirklich erleben, ist nicht der Baum selbst, sondern nur das Bild des Baumes, das im Geist erscheint. Und das gilt für alles, was wir erleben. Alles, was wir wissen, wahrnehmen und uns vorstellen, jede Farbe, jeder Ton, jeder Gedanke und jedes Gefühl, ist – so Russell - nur eine Form, die im Geist auftaucht. Das, was wir wahrnehmen, ist zwar, wie Russell betont, real, aber de facto besitze Physisches wenig Solidität. Was immer Materie sei, habe wenig Substanz, und es sei sogar fraglich, ob man hier überhaupt von Substanz sprechen könne.

Ferner sei beispielsweise die Farbe "Grün" eine Qualität, die erst im Geist als Reaktion auf eine Frequenz des Lichts entstehe. Unsere Vorstellung von Materie als einer festen Substanz sei folglich ebenso wie die Farbe Grün eine Qualität, die erst im Bewusstsein erscheine. Dies alles existiere nur als subjektive Erfahrung im Geist. Ebenso seien Raum und Zeit sowie Energie keine Aspekte der objektiven Realität. Das heißt: Für Russell sind die Phänomene, die uns als grundlegende Dimensionen und Attribute der physischen Welt erscheinen – Materie, Raum, Zeit und Energie – eigentlich nur die grundlegenden Dimensionen und Eigenschaften der Formen, die im Bewusstsein erscheinen.

Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet dies für Russell, dass es gar keinen physischen Aspekt gibt, sondern nur einen mentalen. Es bedeutet mit anderen Worten, dass die Quelle von allem, was existiert, nämlich das virtuelle Energiefeld, das als Quantenvakuum bekannt ist, rein geistiger Natur ist, dass es das Bewusstsein selbst ist, so dass Bewusstsein nicht Materie wahrnimmt, sondern Bewusstsein. Das heißt: Russel zufolge sind die "Objekte" unserer Wahrnehmung in Wirklichkeit keine Objekte im Sinne eines materiellen Objekts. Es sind genau genommen Veränderungen im mentalen Feld, die im Bewusstsein des Betrachters zu Gegenständen einer materiellen Welt werden. Und diese ist nach traditioneller Auffassung eine Welt, die kein Bewusstsein hat. Im menschlichen Bewusstsein kann also Geist die Form von Materie ohne Bewusstsein annehmen. Es ist folglich nicht mehr zu fragen, wie Materie, die kein Bewusstsein besitzt, Bewusstsein hervorbringen kann, sondern es ist umgekehrt zu fragen, wie der Geist all diese Qualitäten annehmen kann, die wir erleben, einschließlich der Form der Materie.

Für Russell ergibt sich eine Antwort auf diese Frage aus der Quantentheorie, aber auch aus uralten Mythen, in denen unser allgegenwärtiges Bewusstsein mit der göttlichen Schöpferkraft gleichgesetzt wird. Statt von Gott könnte man, wie Russell betont, aber auch von Allah, Jehova, von einem universellen Geist oder eben vom Quantenvakuum sprechen. Die Schlussfolgerung bleibt die gleiche: Alles, Geist und Materie, ist aus derselben Essenz.

Fazit

Die Konzepte zur Aktualisierung und Weiterentwicklung des Panpsychismus, die ich vorgestellt habe, führen zu der Erkenntnis, dass die Welt, in der wir leben, geprägt ist durch die Allgegenwart von Geist und Bewusstsein, was, konsequent zu Ende gedacht, bedeuten könnte, dass es gar keine Materie gibt, sondern nur Mentales. Und dieses Mentale besteht - so die weitere Überlegung - in Prozessen der Informationsverarbeitung, die unterschiedlich komplex sind. Dies wäre jedenfalls eine plausible Erklärung für die Vielfalt der Lebensformen, die es gibt, angefangen bei Einzellern mit ihren äußerst begrenzten geistigen Fähigkeiten bis hin zum Menschen, der als einziges Lebewesen über sich und seine Existenz nachdenken kann.

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