Ein geänderter Austragungsmodus und die Qualifikation

Austragungsmodus

Da mehr Mannschaften an dem Turnier teilnahmen, als das bei den früheren Turnieren der Fall war, musste der Austragungsmodus erneut geändert werden.

Es gab sechs Vorrundengruppen mit vier Mannschaften, von denen sich jeweils die Gruppenersten und -zweiten für die zweite Runde qualifizierten. Die Teilnehmer der zweiten Runde wurden auf vier Dreiergruppen verteilt. Die jeweiligen Gruppensieger erreichten das Halbfinale. Dieses wurde dann im K.o.-Modus ausgetragen.

 Qualifikation

Zum ersten Mal wurde jedem der sechs Kontinentalverbände mindestens ein fester Teilnehmer zugestanden. Früher waren häufig Play-off-Spiele zwischen Vertretern zweier Kontinentalverbände notwendig, außerdem spielten die Verbände Asiens und Ozeaniens immer eine gemeinsame Qualifikation aus, bei der sich nur eine Mannschaft für das Turnier qualifizieren konnte und damit zwei Verbände gleichzeitig vertrat.

Die größte Sensation gab es in Europa-Qualifikation: Die Niederlande, Zweiter bei beiden vorhergehenden Turnieren, scheiterte in seiner Gruppe und wurde dort nur Vierter hinter Belgien, Frankreich und den ebenfalls nicht qualifizierten Iren.

Die Gruppenphase - Überraschungen und zwei Skandal-Spiele

Bei 24 Teilnehmern in einem Turnier bleiben schon in der Gruppenphase Überraschungen nicht aus.

So zum Beispiel in Gruppe 5, die Nordirland vor Spanien und Jugoslawien gewann.

Kurios wurde es in Gruppe 1: Kamerun und Italien hatten jeweils drei Mal Unentschieden gespielt. Deshalb schied Kamerun ungeschlagen aus, während Italien ohne Sieg die zweite Runde erreichte - wegen eines einzigen mehr geschossenen Tores. In der Gruppe endeten fünf von sechs Spielen remis; Polen reichte ein einziger Sieg gegen Peru aus, um die Gruppe zu gewinnen.

Einen ersten Eklat gab es im Spiel zwischen Frankreich und Kuwait in Gruppe 4. Ein Zuschauer pfiff während des Spiels beim Stand von 3:1 für Frankreich, worauf die Mannschaft aus Kuweit das Spiel einstellte - sie hatten an einen Schiedsrichterpfiff geglaubt. Die Franzosen spielten weiter und erzielten das 4:1. Daraufhin beorderte ein kuweitischer Scheich mit Spielabbruch, wenn das Tor nicht annulliert würde. Der Schiedsrichter gab nach, Frankreich gewann dennoch durch ein weiteres Tor mit 4:1.

Aber das meist diskutierte Spiel gab es am letzten Spieltag der Gruppe 2 in Gijon. Deutschland traf auf Österreich und beiden Mannschaften reichte ein knapper Sieg der Deutschen zum Weiterkommen. Genau das führte dann zu einem skandalösen "Nichtangriffspakt".

Die "Schande von Gijon"

Das Spiel zwischen Deutschland und Österreich in der Vorrundengruppe 2 stand von vornherein unter keinem guten Stern. Bereits am Vortag hatte Algerien sein letztes Spiel in dieser Gruppe bestritten, so dass den Mannschaften aus Deutschland und Österreich bekannt war, dass bei einem knappen Sieg der Deutschen beide Mannschaften weiterkommen und Algerien ausscheiden würden.

Nachdem Hrubesch in der 11. Minute Deutschland in Führung gebracht hatte, stellten beide Mannschaften das Spielen ein; Rückpasse zum Torwart und langsames Quergeschiebe des Balles waren die Regel.

Die Mannschaften wurden gnadenlos ausgepfiffen, algerische Zuschauer wedelten mit Geldscheinen, aber es blieb bei dem Ergebnis. Selbst einige beteiligte Spieler distanzierten sich später von diesem Spiel, das als "Schande von Gijon" in die Fußballgeschichte einging.

Die Zwischenrunde

Die jeweiligen Gruppenersten und -zweiten der Vorrunde wurden in vier Gruppen mit je drei Teams aufgeteilt. Die jeweiligen Gruppensieger qualifizierten sich für das Halbfinale.

Deutschland gewann die Gruppe B und spielte dabei gegen England unentschieden. Damit schied auch England ohne Niederlage aus.

In Gruppe C kam es zum Spiel Italien gegen Brasilien. Innerhalb der brasilianischen Mannschaft wurde diskutiert "diese Mal nicht brasilianisch" zu spielen, sondern eher auf die Defensive zu setzen. Insbesondere Mittelfeldspieler Falcao setzte sich dafür ein; er kannte den damaligen Fußball von allen Brasilianern am besten, weil er zu dieser Zeit beim AS Rom unter Vertrag stand.

Trainer Santana blieb jedoch seiner Linie treu. Prompt verlor Brasilien mit 2:3, wobei der spätere Torschützenkönig Paolo Rossi alle drei Tore für die Italiener erzielte.

Außerdem qualifizierten sich Polen als Sieger der Gruppe A sowie Frankreich als Sieger der Gruppe D für das Halbfinale. 

Die Halbfinalspiele mit der "Nacht von Sevilla" - nicht nur wegen des Spielverlaufs unvergesslich

Im ersten Halbfinale gewann Italien gegen Polen durch einen Doppelpack von Paolo Rossi mit 2:0. Die chancenlosen Polen konnten den Ausfall des Spielmachers Boniek nicht kompensieren.

 

Das zweite Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich wurde unter der Bezeichnung "Nacht von Sevilla" zu einem der spektakulärsten Spiele der gesamten Fußballgeschichte. 

In der ersten Halbzeit glich Platini per Elfmeter die frühe 1:0-Führung Deutschlands aus. Danach wurde das Spiel zunehmend hektischer und unfairer. Negativer Höhepunkt war die Attacke des deutschen Torhüters Harald Schumacher gegen Patrick Battiston, bei der dieser schwer verletzt wurde. Die Aktion wurde vom Schiedsrichter nicht geahndet.

Das Spiel ging mit 1:1 in die Verlängerung, in der sich die Ereignisse überschlugen.

Innerhalb von acht Minuten ging Frankreich mit 3:1 in Führung, bevor die Deutschen innerhalb der folgenden zehn Minuten den Ausgleich erzielten. Der Fallrückzieher von Klaus Fischer zum 3:3 gilt bis heute als eines der schönsten Tore der WM-Geschichte.

Bis zum Ende der Verlängerung blieb es beim 3:3, zum allerersten Mal in der WM-Geschichte musste ein Elfmeterschießen die Entscheidung bringen. 

Nachdem zunächst Stielicke für die Deutschen seinen Elfmeter verschoss, hielt Schumacher zwei Elfmeter der Franzosen; den Sieg der Deutschen machte Horst Hrubesch mit dem letzten Schuss perfekt.

Das Foul an Patrick Battiston

Die "Nacht von Sevilla" bleibt allerdings trotz dieses Spielverlaufes bis heute vor allem wegen des Fouls an Patrick Battiston in Erinnerung. Insbesondere in den französischen Medien wurde das Foul Schumachers an Battiston harsch kritisiert. Zusätzlich goss Schumacher mit der Äußerung "Wenn es nur die Jacketkronen sind, die bezahle ich ihm gerne" zusätzlich Öl ins Feuer.

Manche französischen Medien schürten nach dem Spiel auch allgemeine Ressentiments gegen Deutschland. Unter anderem wurden Begriffe wie "Panzer", "Gestapo" und "SS" verwendet; es war von einem "Attentat" auf Battiston die Rede und Schumacher wurde als "berufsmäßiger Unmensch" bezeichnet. Als Reaktion gaben der französische Präsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl eine gemeinsame Presseerklärung ab.

Schumacher erklärte später, dass der Satz aus den Emotionen heraus gefallen sei, er aber auch missverstanden worden. Er wollte sich nicht lustig machen oder die Aktion verharmlosen, sondern er sei froh gewesen, dass nicht mehr passiert sei. Später entschuldigte sich Schumacher bei Battiston.

Die Finalspiele

Spiel um Platz drei

 Polen wurde durch einen 3:2-Sieg Dritter des Turniers, Frankreich war ohne die Starspieler Giresse und Platini angetreten; das Halbfinale gegen Deutschland hatte zu viel Kraft gekostet.

 

Endspiel

 Im Finale war Deutschland gegen Italien chancenlos und verlor mit 1:3, nachdem es zur Halbzeit noch 0:0 gestanden hatte.

Der deutschen Mannschaft war der Kräfteverzehr aus dem Halbfinale deutlich anzumerken; dies war Frankreich im Spiel um Platz drei genauso ergangen.

Regeltechnische Neuerungen

Als Konsequenz aus der "Schande von Gijon" wurden die Regeln der UEFA und der FIFA dahingehend geändert, dass die letzten Gruppenspiele bei einem großen Turnier zeitgleich ausgetragen werden müssen. Ob es bei dieser Regelung für immer bleiben wird, bleibt abzuwarten.

Kettenhund, am 30.07.2018
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Bildquelle:
Bild: freestockgallery.de (Wendepunkte der Geschichte – was wäre gewesen, wenn?)

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