Kahn oder Lehmann? - Die Chronologie der deutschen Torwartdiskussion vor der WM

Bereits im August 2004 hatte Klinsmann Oliver Kahn als Kapitän der Nationalmannschaft abgesetzt und eine Rotation der Torhüter angekündigt. dabei hatte er sich zunächst auf Kahn als Nummer 1 und auf Jens Lehmann als Nummer 2 (und damit als Herausforderer) festgelegt.

Nachdem insbesondere Verantwortliche des FC Bayern vehement gefordert hatten, dass Klinsmann sich auf Kahn als Nummer 1 festlegt, entlässt dieser Sepp Maier als Torwarttrainer und ersetzt ihn durch Andreas Köpke.

Zwischenzeitlich verliert Jens Lehmann seinen Stammplatz beim FC Arsenal.

Kahn und Lehmann spielen in den Jahren 2004 und 2005 fast abwechselnd für die Nationalmannschaft. beim Confederations-Cup 2005 wird auch einmal Timo Hildebrand, eigentlich die Nummer 3, eingesetzt.

Im April 2006 patzt Kahn in der Bundesliga und verletzt sich. Die Verantwortlichen des FC Bayern fordern eine endgültige Entscheidung, die dann auch getroffen wird - zugunsten von Jens Lehmann.

Oliver Kahn hat nach Aussagen aller Beteiligten die Entscheidung gegen ihn während des Turniers nie auch nur ansatzweise in Frage gestellt - im Gegenteil. Alle Spieler und auch der Trainerstab lobten nach dem Turnier seine Rolle innerhalb der Mannschaft.

Das persönliche Verhältnis zwischen den beiden Konkurrenten verständlicherweise nicht mehr das Beste. Umso überraschender die Geste von Oliver Kahn vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien, als er sich zu Jens Lehmann begibt und ihm für das Elfmeterschießen alles Gute wünscht.

Dass man seinem Mannschaftskameraden vor einem Elfmeterschießen keinen Fehler wünscht, ist zwar selbstverständlich, aber diese Geste hat auch Jens Lehmann sehr beeindruckt, wie dieser später in einem Interview berichtet.

Die Qualifikation - mit einer Regeländerung und mehreren Überraschungen

Erstnals war der Titelverteidiger nicht mehr automatisch qualifiziert.

In der Europa-Qualifikation gab es eine Überraschung: Die Türkei, beim Turnier zuvor noch Dritter geworden, schied in den Play-Offs der Gruppenzweiten gegen die Schweiz aus. Dabei kam es nach dem Rückspiel in der Türkei zu tätlichen Angriffen türkischer Spieler und von Sicherheitskräften auf Spieler der Schweizer Mannschaft. Konsequenz: Sperren für mehrere Spieler und eine Heimspielsperre für die Türkei, die die folgenden drei Qualifikationsspiele für die EM 2008 nicht im eigenen Land austragen durfte. Sie Spiele wurden stattessen in Frankfurt gespielt.

Bemerkenswert, auch der Gruppensieg von Serbien-Montenegro in der Gruppe 7 vor Spanien. Belgien wurde in dieser Gruppe sogar nur Vierter.

Überraschungen auch in Afrika: Kamerun und Nigeria, die seit 1990 bzw. 1994 bei allen Turnieren dabei gewesen waren, schieden aus. Dafür setzten sich mit Angola und Togo zwei Teams durch, die zuvor noch nie an eiern WM teilgenommen hatten.

Auch Uruguay schied in der Qualifikation aus; in den Kontinental-Play-Offs behielt Australien die Oberhand.

Die Gruppenspiele

Auch dieses Mal gab es wieder 32 Mannschaften, die in acht Vierergruppen die Achtelfinalteilnehmer ausspielten.

In den Gruppen A und B gab es klare Verhältnisse: In Gruppe A setzte sich Deutschland mit drei Siegen durch; Gruppenzweiter wurde Ecuador vor Polen und Costa Rica. Sieger der Gruppe B wurde England vor Schweden, Paraguay und den chancenlosen WM-Neuling Trinidad und Tobago.

In der Gruppe C, der stärksten Gruppe der Vorrunde, setzte sich Argentinien als Gruppenerster mit drei Siegen vor den Niederlanden durch. Die hoch eingeschätzte Mannschaft der Elfenbeinküste wurde nur Dritter vor Tschechien. Nach den in dieser Gruppe gezeigten Leistungen mauserte sich Argentinien zum ersten Titelfavoriten.

Portugal gewann die Gruppe D mit drei Siegen; Zweiter wurde Mexiko vor Angola, das sich erstmals für eine WM qualifiziert hatte. Überraschend spielten die Afrikaner 0:0 gegen Mexiko, kam aber dennoch nicht über Rang drei in der Gruppe hinaus. Der Iran wurde Gruppenletzter

Die Gruppe E brachte nur eine kleine Überraschung: Das 0:0 zwischen Italien und den USA. Dennoch gewann Italien die Gruppe vor Ghana und Tschechien.

Überraschend schied in der Gruppe F Kroatien gegen Australien aus. Damit waren die Australier das erste Team aus dem ozeanischen Kontinentalverband, das die Vorrunde überstand und in die K.o.-Runde einzog.

Eine kleine Überraschung gab es auch in der Gruppe G, in der sich die Schweiz als Gruppensieger vor Frankreich durchsetzte.

In der Gruppe H gewann Spanien vor der Ukraine. Tunesien und Saudi.-Arabien bleiben chancenlos.

Das Achtelfinale mit der "Schlacht von Nürnberg"

Nach den Gruppenspielen ergaben sich drei Partien, in denen es keinen wirklichen Favoriten gab. In den übrigen fünf Spielen setzte sich jeweils der klare Favorit durch.

Allerdings war der Verlauf einiger dieser Spiele etwas unerwartet. So konnten die Australier gegen Italien das ganze Spiel mithalten. Allerdings musste Italien fast die gesamte zweite Halbzeit mit einem Mann weniger auskommen (Materazzi war vom Platz gestellt worden). Erst in der 5. Minute der Nachspielzeit gewann Italien durch einen von Francesco Totti verwandelten Elfmeter. 

Auch Brasilien tat sich gegen Ghana weitaus schwerer, als es das Endergebnis von 3:0 vermuten lässt. Ghana war lange ebenbürtig, nutzte aber seine Chancen nicht.

Mexiko machte den Argentiniern das Leben unerwartet schwer. Der Favorit gewann nach frühem Rückstand erst in der Verlängerung mit 2:1.

Deutschland gewann gegen Schweden durch zwei Tore von Podolski mit 2:0. Nachdem Schweden danach noch einen Platzverweis hinnehmen und fast eine Stunde in Unterzahl spielen musste, war das Spiel endgültig entschieden. zu allem Überfluss vergaben die Schweden in der 53. Minute noch einen Elfmeter.

Gegen die Schweiz war Ukraine eigentlich der Außenseiter. Doch nach 120 torlosen Minuten gewannen die Ukrainer das Elfmeterschießen, bei kein Schweizer Spieler seinen Elfmeter verwandeln konnte.

In einem der besten Spiele des Turniers schieden die favorisierten Spanier wie bei vielen Turnieren zuvor früher aus, als man es vorher erwarten konnte. Spanien war zwar früh in Führung gegangen, verlor schließlich aber 1:3 gegen Frankreich.

Das Spiel zwischen Portugal und den Niederlanden wurde später als "Schlacht von Nürnberg" bezeichnet. Es gab 16 Gelbe Karten und vier Platzverweise, bisher ein Rekord in der WM-Geschichte; ähnlich war es bisher nur 2002 im Spiel zwischen Kamerun und Deutschland zugegangen. Neben die vielen Fouls in dem überharten Spiel gab es auch (den Umständen entsprechend) guten Fußball zu sehen. Maniche entschied das Spiel in der 23. Minute, Ronaldo musste nach einem Foul bereits in der ersten Halbzeit verletzt ausgewechselt werden.

England kam durch einen knappen 1:0 - Sieg gegen Ecuador ins Viertelfinale.

Das Viertelfinale - Lehmanns "Elfmeter-Zettel"

Außenseiter Ukrainer hatte im Spiel gegen Italien in der ersten Halbzeit eine ganze Reihe von Chancen, um in Führung zu gehen. Letztlich setzten sich die Italiener aber ungefährdet mit 3:0 durch.

Frankreich gewann gegen unmotiviert wirkende Brasilianer mit 1:0. Brasilien war damit zum ersten Mal seit 1990 nicht mehr in einem WM-Finale vertreten.

Spannend wurde es im Spiel zwischen Portugal und England. Wayne Rooney wurde in der 62. Minute wegen einer Tätlichkeit vom Platz gestellt. Nach 120 Minuten stand es 0:0; so dass das Elfmeterschießen die Entscheidung bringen musste. Torhüter Ricardo wehrte drei Elfmeter der Engländer ab; das war bis dahin noch keinem Keeper gelungen.

Im Viertelfinale traf Deutschland auf Argentinien. In einem hochspannenden Spiel ging nach torloser erster Halbzeit zunächst Argentinien mit 1:0 in Führung, ehe Miroslav Klose in der 80. Minuten den Ausgleich erzielte. Da die Verlängerung torlos blieb, musste auch in diesem Spiel das Elfmeterschießen entscheiden.

Legendär wurde dieses Elfmeterschießen, durch einen Zettel, den der deutsche Torhüter Jens Lehmann in seinem Schienbeinschoner versteckt hatte. Auf diesem waren die potenziellen Elfmeterschützen vermerkt und dabei unter anderem Hinweise gegeben, auf welche Weise diese in den meisten Fällen ihre Elfmeter schossen. Vor jedem Elfmeter zog Lehmann diesen Zettel hervor, verunsicherte damit die Argentinier teilweise und konnte zwei Elfmeter abwehren. Alle deutschen Schützen trafen, womit Deutschland das Halbfinale erreicht hatten.

Die Halbfinalspiele - Europa unter sich

Nachdem Argentinien und Brasilien im Viertelfinale gescheitert waren, standen erstmals seit 1982 nur noch europäische Mannschaften unter den letzten Vier.

Deutschland bekam es im ersten Halbfinalspiel mit Angstgegner Italien zu tun. Noch nie hatte Deutschland gegen Italien das Weiterkommen geschafft. Und auch dieses Mal sollte es nicht für die in diesem Spiel favorisierten Deutschen reichen.

Trotz vieler Chancen auf beiden Seiten fiel in der regulären Spielzeit kein Tor. Doch die Taktik der Italiener setzte sich durch: Die Einwechslung eines dritten Stürmers hatten die Deutschen nicht erwartet.

Dies sollte wesentlich zur Entscheidung für die Italiener beitragen. In der 119. Minute erzielte Fabio Grosso für die Italiener das 1:0, dem Alessandro del Piero zwei Minuten später das 2:0 folgen ließ.

Im zweiten Halbfinale gewann Spanien gegen Portugal mit 1:0 durch einen von Zinedine Zidane verwandelten Elfmeter. Kurz vor Spielende vergab Luis Figo noch eine Großchance, so dass es beim Sieg der Franzosen blieb.

Die Finalspiele

Spiel um Platz drei

In einem munteren Spiel wurde Oliver Kahn zum letzten Mal in der Nationalmannschaft eingesetzt. 

In der ersten Hälfte fiel kein Tor, nicht zuletzt, weil Kahn mehrere Chancen der Portugiesen vereitelte. Bastian Schweinsteiger erzielte in der 56. Minute das 1:0; ein Freistoß von ihm wurde von Petit zum 2:0 abgefälscht. In der 78. Minute erzielte Schweinsteiger auch das 3:0, bevor Nuno Gomes zum 3:1 verkürzen konnte.

 

Das Endspiel - einschließlich eines unrühmlichen Höhepunkts

Das Finale war eine Neuauflage des EM-Finals von 2000, in dem Frankreich durch Golden Goal gewonnen hatte.

Das Endergebnis stand bereits nach zwanzig Minuten fest. Zidane hatte Frankreich zunächst in Führung gebracht, bevor Materazzi den Ausgleich erzielte. Bei diesem 1:1 blieb es auch nach 90 Minuten. 

In der Verlängerung war Frankreich zunächst klar überlegen; Zidane hatte mit einem Kopfball noch die beste Chance, das Finale zu entscheiden, doch Buffon konnte den Ball Parieren.

Zum negativen Höhepunkt kam es zehn Minuten vor Abpfiff der Partie. Nachdem Zidane von Materazzi durch mehrere Beleidigungen seiner Familie provoziert wurde, ließ sich Zidane zu einem Kopfstoß hinreißen und wurde vom Platz gestellt.

Zum zweiten Mal in der WM-Geschichte wurde Titel durch Elfmeterschießen ermittelt werden. Hatte 1994 Italien noch das Elfmeterschießen im Endspiel verloren, gingen sie diesmal als Sieger vom Platz. Alle ihrer Schützen hatten getroffen, bei den Franzosen hatte David Trezeguet seinen Elfmeter an die Latte gesetzt.

Kettenhund, am 02.08.2018
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Bildquelle:
Bild: freestockgallery.de (Wendepunkte der Geschichte – was wäre gewesen, wenn?)

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