Digitale Demenz - Macht zu viel Surfen im Internet blöd?
Der Hirnforscher Manfred Spitzer ist der Ansicht, dass Medienkompetenz im Kindesalter Quatsch ist und Googeln kein Wissen vermittelt. Er spricht von digitaler Demenz und frühzeitiger Verblödung.Wer miteinander redet, weiß mehr als der, der nur mit Google "spricht"
Medienforscher bezeichnen Manfred Spitzer gerne als Sarrazin der Computerkritik. Er straft sie Lügen, denn er ist weit witziger als der ehemalige Berliner Finanzsenator. Seine Thesen belegt er mit zahlreichen wissenschaftlichen Studien, an denen selbst die eingefleischtesten Computerfreaks nicht vorbei kommen. " Es geht nicht ohne Computer", räumt er ein, warnt aber vor den Risiken und Nebenwirkungen. Seine These: Inflationäres Googeln und Surfen im Internet macht nicht schlau, sondern dumm. Das reale Erfassen von Zusammenhängen, der Kontakt mit anderen Menschen, die Berührung, die sinnliche Wahrnehmung und die Fähigkeit zur Empathie fördern die Intelligenz und vermitteln echtes Wissen. Seine mit wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen untermauerte Empfehlung: "Wer miteinander geredet hat, weiß mehr". Mobil surfen im Internet mit Smartphones sieht er als besonders bedrohlich an, weil es seiner Ansicht nach nicht möglich ist, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun: auf dem Smartphone Mails und SMS schreiben oder im Internet surfen und parallel einem Vortrag zuhören. Multitasking, diesen Begriff verwendet Spitzer zwar, sagt aber, dass kein Mensch diese Kunst beherrscht. "Noch nicht einmal Frauen!" ergänzt er und hat mit dieser Aussage die Lacher auf seiner Seite. "Menschen können nicht gleichzeitig zwei Bedeutungssträngen folgen, genauso wenig wie Menschen fliegen können", erklärt der Professor.
Schreiben und reden macht schlau
Der Ulmer Professor fasst zusammen: Je mehr Zeit ein Jugendlicher vor dem Bildschirm verbringt, desto mehr entwickelt er sich zum "sozialen Analphabeten". Die digitalen sozialen Netzwerke wie Facebook sind seiner Ansicht nach keine Alternative zur echten Kommunikation mit anderen Menschen. Die virtuellen Kontakte hätten keine Mimik, keine Gestik, keine Emotionen. "Nirgends wird mehr gelogen und betrogen als im Internet", so Spitzer.Die Bestrebungen in den Bildungseinrichtungen, die Kinder schon möglichst früh mit digitalen Medien auszustatten, sieht er als bedenklich an:. "Sie müssen die Welt in der Hand gehabt haben, um darüber nachdenken zu können". Er belegt seine Kritik mit einer Studie aus China, wonach 50 Prozent der Schüler nur noch Kürzel in den Computer eintippen und nicht mehr fähig sind selbst zu schreiben. "Die können noch nicht mal ein Pappschild mit ‚Hilfe!‘ beschriften!".
Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Ver... |
Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens |
Mentale Stärke: Was unserem Verstand gut tut |
Kinder lernen viel und schnell
"Das Hirn ist das mit Abstand dynamischste Organ", erklärt der Wissenschaftler. Seiner Erläuterung nach wird die Hirnstruktur dichter, je mehr sie trainiert wird. Selbst Eiweißablagerungen, bekannt als Morbus Alzheimer, führen laut Spitzer nicht zur Demenz. Je früher der Geist kontinuierlich trainiert wird, umso länger dauert der Abstieg, behauptet er. Die Antwort auf die Frage, was man denn tun kann, um dem geistigen Verfall vorzubeugen, ist seiner Meinung nach nicht Kreuzworträtsel oder Sudoku lösen. "Vergessen Sie den ganzen Kram, schaffen Sie sich einen Enkel an", so Spitzers Rat. Kreuzworträtsel seien viel zu einfach. Ein kleines Kind in seiner Komplexität und seinem Wissensdurst fordere den Geist deutlich mehr. Kinder lernten schnell und viel. Diese Fähigkeit sei ein Geschenk, das gefördert werden müsse. Je mehr das Lernen gepflegt werde, umso länger bleibe der Mensch geistig fit. Jeder Euro, der in einen Kindergarten und in die Bildung von jungen Menschen gesteckt werde, lohne sich am meisten. Mit dieser Meinung steht der Ulmer Professor nicht allein. Eine These, die viele Profis im Bereich Bildung und Erziehung fast schon gebetsmühlenartig im Munde führen, von politisch Verantwortlichen aber nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt wird. Das ärgert den Wissenschaftler, der den Bildungs-, Gesundheits- und Sozialministerien in Land und Bund kein gutes Zeugnis ausstellt.
Das Gehirn ist kein Schuhkarton
"Unser Gehirn ist kein Schuhkarton. Je mehr Wissen drin ist, umso mehr passt noch rein", erklärt Spitzer und sagt: "Wenn da oben ganz viel drin ist, dann brauchen Sie gar nicht mehr so viel Hirn". Je früher das natürliche Lernen durch die Dauerberieselung mit digitalen Medien eingeschränkt werde, umso fataler seien die Folgen. "Wenn Sie eine Playstation verschenken, verschenken Sie Schulprobleme und schlechte Noten", warnt der Hirnforscher in seinen Vorträgen und stellt die politisch Verantwortlichen in den Senkel. "Wir werden systematisch fehlinformiert", kritisiert er und verweist auf Empfehlungen von Spitzenpolitikern, die mit einer Sony-Werbung für Spielkonsolen gleichzusetzen ist. "Der IT-Industrie geht es nicht um Bildung, sondern darum, möglichst viel Geld zu verdienen". Ein völliges Medienverbot fordert Spitzer nicht, aber einen sorgsamen und wohl dosierten Umgang mit den digitalen Medien.
Digitale Demenz ist das Thema von Manfred Spitzer (Bild: Ruth Weitz)
Ein Doppeldoktor mit Professur: Manfred Spitzer
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, geboren 1958 in Lengfeld in der Nähe von Darmstadt, studierte Medizin, Psychologie und Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und habilitierte sich anschließend für das Fach Psychiatrie. Zweimal war er Gastprofessor an der Harvard University. Er leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen. Spitzer publizierte zahlreiche Bücher, darunter die Bestseller "Lernen" und "Vorsicht Bildschirm!" sowie "Digitale Demenz", das im August 2012 erschien und wochenlang auf der Spiegel-Bestseller-Liste zu finden war. Auf Bayern Alpha moderiert er wöchentlich die Sendereihe "Geist und Gehirn". Manfred Spitzer ist einer der bedeutendsten deutschen Gehirnforscher und genießt weltweit Anerkennung, auch wenn er von Medienforschern scharf kritisiert wird. Kaum jemand kann wissenschaftliche Erkenntnisse derart unterhaltsam und anschaulich präsentieren. Seine Bücher wurden ins Englische, Japanische, Spanische, Polnische und Portugiesische übersetzt. Er entwickelte mit dem Transferzentrum das Konzept zu "Spielen macht Schule", einem Wettbewerb für Grundschulen.
© Ruth Weitz, freie Journalistin, Autorin, Texterin, Bildjournalistin
Bildquelle:
johannes flörsch
(So findest du die Sternschnuppen der Perseiden)
Karin Scherbart
(Wie macht man einen Regenbogen selbst?)