Erzählen

Was passiert, wenn man eine Quelle aus vergangenen Tagen liest oder erforscht? Es bilden sich Bilder/Vorstellungen vom Inhalt der Quelle im Kopf des Betrachters. Er ordnet und bewertet. Der Verfasser der Quelle hat ebenfalls geordnet und bewertet. Das heißt, in allen uns vorliegenden Quellen (und auch in der Literatur) finden wir vorgefasste Erzählungen. Wir können darum niemals die Geschichte erkennen, sondern immer nur ganz bestimmte Blickwinkel auf etwas. Jede Geschichte ist zunächst eine Erzählung.

 

Der Geschichtsschreiber schafft durch seine Erzählungen ein Vergleichsmaterial, mit dem die Leser aktuelle Prozesse verstehen können. Die Geschichte liefert vergangene Veränderungen, mit denen die Gegenwart gedeutet werden kann. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen somit in einem Zusammenhang, denn der Historiker liefert Orientierungshilfen für eine Deutung der Gegenwart und eine Gestaltung der Zukunft.

 

Beispiel:

Das Wissen um die Ursachen und den Anlass eines Krieges in der Vergangenheit, kann dazu beitragen, in Zukunft solche Ursachen rechtzeitig aufzuspüren und zu beseitigen, noch ehe die Gefahr eines Krieges Wirklichkeit werden kann.

Geschichte wird geschrieben. (Bild: Karl-Heinz Laube / pixelio.de)

Erklären

Beim Erklären werden Zusammenhänge hergestellt, um Ursache-Wirkungs-Mechanismen erkennen und deuten zu können. Es geht um die Herausstellung von Gesetzmäßigkeiten, mit denen man Tatsachen ergründen kann. Gibt es in der Geschichte Gesetze? Gibt es vielleicht bestimmte Regelungen, nach denen Geschichte abläuft? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es eines ganz bestimmten Verständnisses des Wortes "Gesetzmäßigkeit". Denn im Allgemeinen wird die Meinung abgelehnt, dass Geschichte über Gesetze abläuft. Allerdings gibt es innerhalb der verschiedenen Paradigmen, nach denen Geschichte erzählt und erklärt wird, bestimmte Gesetzmäßigkeiten. Jede Form einer Ursachen-Wirkung-Beschreibung ist eine gesetzte Erklärung.

 

Erklären heißt, etwas mit Sinn füllen. Geschichte füllt sich nicht selbst mit Sinn. Es ist immer der Mensch, der Geschichte "erfindet", der sie auch mit Sinn erfüllt. Die Sinnhaftigkeit von Geschichte ergibt sich über die Erzählung, denn wie etwas erklärt wird, hängt davon ab, welche Geschichte erzählt werden soll. Es ist beispielsweise ein Unterschied, ob ein Christ oder ein Kommunist Geschichte deutet.

 

Geschichte soll – so zumindest das Ideal – aufklären und zu einer besseren Welt beitragen, indem vergangene Phänomene beschrieben und erklärt werden. Dabei wird meist zu einseitig gedacht, denn oftmals werden ganz banale Ursachenzusammenhänge erstellt, die bei näherer Betrachtung nicht haltbar sind. Ereignis A soll Ereignis B auslösen. Aber dieses Schema "F" ist bei weitem nicht ausreichend, um historische Phänomene in ihrer Gänze begreifen zu können. Die Monokausalität ist eine Folge des zu starken rationalen Denkens. Rückwärtig betrachtet, erkennen wir, dass die Geschichte, so wie sie verlief (bzw. so wie sie gedacht wird), gar nicht hätte anders sein können. Und an der Geschichtsschreibung wird die starke Verbindung zur Philosophie offensichtlich: Hat der Mensch einen freien Willen und kann er außerhalb von Gesetzmäßigkeiten handeln? Ein Kausalzusammenhang, der nur zwei Ereignisse berücksichtigt, nämlich eine Ursache und eine Wirkung, ist zu kurzsichtig. In Wirklichkeit gibt es unendlich viele Ursachen, die zu einem ganz bestimmten Ereignis geführt haben. Außerdem hat eine einzige Ursache immer verschiedene Wirkungen. Der Historiker forscht nach diesen Ursachen und stellt so viele wie möglich hervor, um schließlich eine "Hauptursache" näher betrachten zu können.

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