Etwas über den Autor

Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider studierte in Innsbruck Philosophie, Mathematik und Physik. Somit ist er prädestiniert, ein solches Buch zu schreiben. Er habilitierte 1970 über "Geometrie und Wirklichkeit" – also einer der Schnittstellen von Mathematik und Philosophie. Seine Forschung und Lehre umfasst die Philosophie der Naturwissenschaft(en), Naturphilosophie und Wissenschaftsheorie, Kosmologie und Interpretation der Quantenmechanik als auch die Themen Chaos, Ordnung und Selbstorganisation.

Ein Buch in drei Teilen

Abgesehen vom Vorwort und dem Sach- und Personenregister ist das Buch in drei Teile gegliedert.

  1. Mathematik, Bildung und die zwei Kulturen
  2. Die Eigenheit der mathematischen Rationalität
  3. Objekte oder Phantome?

Dass es/Daß es auf ausdrücklichen Wunsch des Autors in unreformierter Rechtschreibung erschienen ist, ist eine Arabeske im Gegensatz zur Idee, den Fließtext des Buches in betont einführender Art und Weise zu verfassen und speziellere Erörterungen in Anmerkungen unterzubringen. Diese Anmerkungen stehen als Fußnoten auf den Seiten und nicht in einem Anhang am Schluss, der zurecht im Akademiejargon den sperrigen Begriff Apparat verdient und dem Leser viel Blättern abnötigt, während eine Fußnote vom geübten Leser schnell erfasst werden kann.

 

Wider die Bildungsverengung à la Schwanitz

Im Jahre 1999 hat der Hamburger Anglist und Philosoph Dietrich Schwanitz in seinem Bestseller "Bildung – Alles was man wissen muß/ss." die provozierende These vertreten, naturwissenschaftliches und mathematisches Wissen gehöre nicht zu den zu kultivierenden Bildungsgütern. Zwar gab es Proteste, aber die Auswirkungen solche Denkweisen bei pädagogischen und politischen Entscheidern kann man heute noch an PISA und sonstigen Studien ablesen.

Zurecht zieht Kanitscheider gegen diese verarmende, unrealistische und die menschliche Vernunft beleidigende Auffassung von hehren Bildungswerten zu Felde. Dabei reicht das argumentative Spektrum von Helfern wie Karl Popper bis zu – heutzutage international so notwendigen – transkulturellen Aspekten der Mathematik, Allein dieser Hauptabschnitt ist die Lektüre des Buches wert.

Was ist mathematisch real?

Der Hauptteil des Buches ist der Eigenheit der mathematischen Realität gewidmet. Das Themenfeld ist weit: Von den mythischen Anfängen über intuitive Voraussetzungen, Fragen der Sicherheit und Notwendigkeit bis hin zur absoluten Unentscheidbarkeit.
Nicht immer leicht zu lesen und zu verstehen. Aber umso not-wendiger, um die Bildungs-Not zu wenden.

Gegenstand der Mathematik

Im dritten Hauptteil des Buches befasst Kanitscheider sich und seine Leser mit dem "Gegenstand" der Mathematik. Es geht um Logik und Paradoxien, den Begriff des Unendlichen, Logizismus und Platonismus, Zufall und Notwendigkeit.

Den Schluss bilden Betrachtungen über die Mathematik als Leitkultur von Wissenschaft. Mathematik hat einen allumfassenden Charakter, der die immer noch gepflegte Dichotomie von Natur- und Geisteswissenschaften überwindet. Logik, Semantik und Methodologie sowie Formal- und Strukturwissenschaften überwanden diese Zweiteilung schon immer aus sich heraus. Moderne Forschungen zu Selbstorganisation, Synergetik. Thermodynamik, Wirtschaftsphänomenen, Neurowissenschaften, Ökologie und Soziologie als auch Psychologie belegen die Notwendigkeit mathematischen Verständnisses und damit mathematischer Bildung eindrucksvoll.

Fazit

Das Engagement für einen nicht verengten Begriff von Bildung ist angesichts fortschreitender schulischer und universitärer Verflachung dringend erforderlich. Somit ist es nur 'recht und billig, dass der Autor dem Leser einiges an Kenntnissen oder Willen nachzuschlagen, abverlangt. 

Bibliografische Angaben

Bernulf Kanitscheider: Kleine Philosophie der Mathematik. Mathematik, Bildung und Kulturen. – Gebunden mit Lesebändchen und Schutzumschlag. Format 22 × 13,5 cm. 200 Seiten. ISBN 978-3-77776-2637-6. S. Hirzel Verlag Stuttgart 2017

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