Love Alien: Dokumentarfilm von Wolfram Huke
Wie ist das, mit 30 Jahren noch nie eine Beziehung gehabt zu haben? Filmemacher Wolfram Huke stellt im Dokumentarfilm "Love Alien" einen solchen Menschen vor: Sich selbst!Es erscheint paradox: Obwohl die "sexuelle Befreiung" zum buchstäblichen Fallenlassen sämtlicher Hüllen im Mainstream geführt hat, selbst Kinder und Jugendliche explizite Sprache verwenden und der Anblick praktisch nackter Frauenleiber auf Plakatwänden völlig alltäglich geworden ist, hatten viele erwachsene Männer und Frauen noch nie eine Beziehung. Groteskerweise ist Absenz von Sex oder lebenslange Beziehungslosigkeit somit zu einem der letzten echten Tabus unserer Gesellschaft geworden. Wer nun ganz klischeehaft vermuten möchte, dass diese Menschen soziale Außenseiter seien, beziehungsunfähig oder gar psychisch gestört, irrt.
Makel Beziehungslosigkeit
Regisseur Wolfram Huke bricht mit seinem Dokumentarfilm "Love Alien" eben jenes meist unzutreffende Klischee gekonnt auf, indem er sich selbst als Protagonisten einführt. Denn Wolfram Huke ist intelligent, selbstbewusst, steht mitten im Leben und ist somit gewiss keiner, von dem man annehmen würde, dass er mit 30 nicht einfach bloß Single, sondern noch Jungfrau und beziehungslos ist. Wie viele Erwachsene durchs Leben gehen, ohne jemals eine Beziehung geführt zu haben, ist spekulativ. Schließlich schämen sich viele Betroffene, diesen "Makel" in einer sexuell aufgeladenen Gesellschaft zu gestehen.
Nicht so Wolfram Huke, der ab seinem 29. Geburtstag ein Jahr lang sich selbst dabei begleitet, wie er auf Partnersuche geht, sich mit einer Freundin über die Problematik austauscht und die Hilfe einer Psychotherapeutin sowie zweier Style-Beraterinnen in Anspruch nimmt.
Dieses Jahr komprimiert sein Dokumentarfilm "Love Alien" auf knapp 70 Minuten, die erstaunlich kurzweilig sind. Zu verdanken ist dieser Umstand insbesondere den abwechslungsreichen Gesprächspartnern, die tiefe Einsichten nicht nur in Hukes Leben, sondern in unsere Gesellschaft als solche gewähren.
So kommen neben Huke selbst eine Freundin, die gleichfalls ohne Beziehungserfahrungen ist, eine kroatische Internetbekanntschaft und Hukes Mutter zu Wort. Letztere spricht sehr offen über ihre Ansichten zum Thema Liebe und Partnerschaft, die sich mit jenen ihres Sohnes nicht unbedingt decken. Überhaupt ist das Verhältnis zu seinen Eltern distanziert und kühl, was auch im Gespräch mit einer Psychotherapeutin thematisiert wird.
Styling fürs Love Alien
Rückschlüsse auf den Filmemacher und Protagonisten lassen sich aus solchen Erkenntnissen jedoch kaum ziehen: Allzu simple Problem-Lösungs-Ansätze werden vermieden, sodass "Love Alien" nicht in psychoanalytisches Befindlichkeitskino abgleitet – zum Glück! Denn was diesen Dokumentarfilm des Weiteren auszeichnet, ist eine augenzwinkernde Selbstironie, die dem anfangs schwer wirkenden Thema der Beziehungslosigkeit eine süßliche Note verleiht.
Wenn etwa zwei junge Styling-Beraterinnen Hukes Kleiderschrank durchwühlen und die Kleidung als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit verstanden wissen wollen, wirkt der Ernst, mit dem derlei Beratungstipps vorgetragen werden, kurios. Ganz so, als könnte Liebe mit der passenden Kleidung, ein paar Pfund weniger auf den Rippen und einer neuen Frisur an der Lebenskasse abgeholt werden.
Freilich: An melancholischen Momenten mangelt es in "Love Alien" beileibe nicht, und so manches dürfte den meisten Zusehern bekannt vorkommen. Beispielsweise die Einsamkeit, wenn man als Single nach Hause in eine Wohnung kommt, in der niemand auf einen wartet, oder wenn Hauke aus sich herausgeht und nach einigen gemeinsam verbrachten, mit Gesprächen und Lachen angefüllten Tagen eine gefühlvolle SMS an eine Frau schreibt und keine Antwort erhält.
Unterhaltsamer Dokumentarfilm: "Love Alien"
Anders als Morgan Spurlock in seinem umstrittenen Dokumentarfilm "Super Size Me", vermeidet es Wolfram Huke betulich, den Zuschauer dahingehend zu manipulieren, ihn zu bemitleiden oder den Eindruck zu erwecken, einem Egozentriker über die Schulter zu gucken.
Huke setzt Menschen und Gefühle in Szene, und überlässt die Interpretation dessen dem Zuschauer. Woran es letztendlich liegt, dass ein intelligenter, humorvoller und sympathischer junger Mann wie Huke keine Partnerin findet, bleibt ungeklärt.
Doch ist dies auch nicht erklärtes Ziel von "Love Alien", der wie jeder gute Dokumentarfilm beobachtet, den Zuschauer für ein bestimmtes Thema interessiert, verschiedene Standpunkte beleuchtet und keine vorgegebenen Ansichten transportiert.
Fazit: "Love Alien" ist leichter, als es die Thematik vermuten bzw. befürchten ließe. Und wie Wolfram Hukes Dokumentarfilm zeigt, ist die Liebe "ein seltsames Spiel", wie weiland Connie Francis sang. Ein Spiel ohne geschriebene Regeln, möchte man ergänzen, und gerade deshalb so aufregend und unvorhersehbar. Anstatt einer peinlichen Freakshow, gewährt der Film interessante, berührende und amüsante Einblicke in eines der letzten Tabuthemen unserer Zeit. Somit schafft "Love Alien" den schwierigen Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung.
Originaltitel: Love Alien
Regie: Wolfram Huke
Produktionsland und -jahr: D, 2012
Filmlänge: ca. 72 Minuten
Verleih: Film Kino Text
Deutscher Kinostart: 16.05.2013
FSK: Freigegeben ab 0 Jahren
Bildquelle:
http://www.amazon.de
(Horrorfilme: Nach wahrer Begebenheit oder frei erfunden?)