Was genau ist eine Tierwanderung und warum wandern Tiere eigentlich?

Der erste Teil dieser Frage kann auch heute noch nicht ganz eindeutig beantwortet werden: Eine allgemeingültige Definition des Begriffes "Tierwanderung" gibt es bisher nicht.

Wenn Tiere sich auf die Reise machen, dann geht es meist darum, neuen Lebensraum zu finden – das kann ganz unterschiedliche Gründe haben.

Oft haben die Tiere ein festes Ziel im Visier, folgen einer vorgeschriebenen Route. Vielleicht sogar einer Route, die schon Eltern und Großeltern vor ihnen erkundet haben.

Häufig findet eine Tierwanderung zu einer ganz bestimmten Zeit des Jahres statt.

Tierwanderungen machen es Tieren möglich, ihr Leben nicht nur in einem einzigen Gebiet, sondern in mehreren Lebensräumen zu verbringen. Meistens hat das den Grund, dass ihnen ihr ursprünglicher Lebensraum nicht ausreichend Futter zur Verfügung stellt.

Rentiere legen bei ihren Wanderungen besonders lange Strecken zurück

Warum wandern Tiere?

Dafür gibt es unterschiedliche Gründe:

  • In ihrem Lebensraum wird das Futter knapp oder bestimmte Nahrungsquellen stehen nicht zu allen Jahreszeiten zur Verfügung.

  • Einige Tierarten wandern, weil sie Nährstoffe brauchen, die sie nicht zu jeder Zeit in einem einzigen Lebensraum finden können. Ein Beispiel dafür sind die riesigen Gnuherden Afrikas: Während der Regenzeit sind die Gnuherden in den mineralstoffreichen Ebenen der südöstlichen Serengeti in Tansania zu finden. Gegen Ende Mai oder Anfang Juni endet die Regenzeit, und die Gräser verwelken. Die Gnus ziehen dann in einer Kolonne nordwärts über den Mara-Fluss in die Masai-Mara-Ebene in Südkenia. Dort finden sie aufgrund von Schauern vereinzelte Regionen mit starkem Graswachstum. Das Gras hier hat jedoch einen schweren Phosphormangel, so dass die Gnus mit dem Beginn der Regenzeit gegen Ende des Jahres in die Serengeti zurückkehren. (Quelle: Wikipedia)

  • Auch der Schutz vor kalten Temperaturen und kalten Jahreszeiten kann für Tiere ein Grund sein, sich auf die Reise in wärmere Gebiete zu begeben.

  • Die "Familienplanung" kann ein Argument sein: Tiere wandern an andere Orte, um einen Partner zu suchen, Junge zur Welt zu bringen oder Nachwuchs aufzuziehen.

  • Einige Tierarten suchen sich einen sicheren Ort, an dem sie sich ungestört mausern oder häuten können.

  • Manchmal lässt ihnen auch die ursprüngliche Heimat keine andere Chance: Einige Tiere müssen wandern, weil Platz und Lebensraum in ihrem Ursprungsgebiet einfach zu knapp geworden sind.

Interessant: Nicht immer machen sich alle Tiere einer bestimmten Art auf die Reise. Manchmal sind es nur Teile einer Population, manchmal nur die weiblichen oder nur die männlichen Tiere. Nicht alle Tiere einer bestimmten Art wählen außerdem immer dieselbe "Reiseroute".

Wie orientieren sich Tiere auf ihren Wanderungen?

  • Durch sichtbare Wegweiser wie besonders markante geografische Besonderheiten, aber auch durch die Sonne, die Sterne oder Polarlichter

  • Durch Geruch, Gehör oder Geschmack: Viele Vögel können sich zum Beispiel anhand des Magnetfeldes der Erde orientieren, viele Meeresbewohner können die Wasserqualität, die Strömungen und die Wellenbewegungen "lesen"

Wie gelingt es Tieren, auf ihren langen Wanderungen zu überleben? Welche "Sicherheitsvorkehrungen" können sie treffen?

Naturforscher machen immer wieder darauf aufmerksam: Ja, Tierwanderungen können strapaziös sein, riskant, gefährlich und entbehrungsreich. Viele Tiere überleben diese Wanderungen nicht. Dennoch sind die Wanderungen für Tiere weniger Überlebenskampf als Überlebenschance. Vogelexperten betonen zum Beispiel, dass auch Standvögel, die ihrem Ursprungsgebiet treu bleiben, möglicherweise durch ihre Ortstreue große Risiken eingehen. Ein strenger Winter etwa kann dem gesamten Bestand gefährlich werden.

So schützen sich Tiere auf ihren Wanderungen:

  • Sie schließen sich zu größeren Gruppen zusammen – so bieten sie sich gegenseitig Orientierung, wärmen sich in kalten Nächten und sind auch vor Angreifern besser geschützt.

  • Günstige Strömungen oder günstige Winde werden gezielt genutzt, um sich die Reise etwas leichter zu machen.

  • Für viele Tiere ist es wichtig, an ausgesuchten Rastplätzen Pause zu machen, um sich zu erholen und neue Energie zu tanken.

  • Einige Tierarten legen sich vor ihren Wanderungen Fett- und Energiereserven an.

  • Manche Tiere verändern sich sogar körperlich, um den Anforderungen einer langen Reise besser gewachsen zu sein: Es kommt zum Beispiel vor, dass unwichtigere Organe schrumpfen, weil sie nicht benötigt werden oder das Tier zu schwer machen würden. Auf der anderen Seite können Vögel eine stärkere Brustmuskulatur entwickeln, die ihnen das Fliegen über weite Entfernungen leichter macht. Der Liechtensteinische Ornithologische Landesverband schreibt zum "Phänomen Vogelzug": "Langdistanzflieger sind imstande, Darm und Leber stark zu vergrössern, damit die Nahrung schnell verwertet werden kann und so die Flugmuskeln gestärkt werden. Der Rest wird als "Treibstoff”in Form von Fett abgespeichert, der Körper besteht dann aus bis zu 55 Prozent Fett (beim Menschen gilt ein Wert von über 30 % als fettleibig). Wenn nun der Vogel zur langen Reise in den Süden aufbricht, sind die vergrösserten Organe jedoch nur noch Ballast. Deshalb "essen” die Vögel ihre eigenen Organe, die bis zu 25 Prozent schrumpfen."

Gnu-Wanderung in Afrika: Überquerung des Flusses Mara

Spektakuläre Tierwanderungen

Wenn diese Tiere auf Wanderung gehen, dann fasziniert das auch die Menschen.

Lederrückenschildkröten wandern zurück zum Ort ihrer Geburt, um dort ihre Eier abzulegen. Dabei überqueren sie den pazifischen Ozean und legen beinahe 20 000 Kilometer zurück. Sonne und Meeresströmungen helfen ihnen bei der Navigation.

Bekannt für ihre langen Wanderungen, die alljährlich bis zu 12 000 Kilometer umfassen können, sind auch die Grauwale und Buckelwale. Den Sommer verbringen sie zur Jungenaufzucht in wärmeren tropischen Gewässern, im Winter zieht es sie dann wieder zurück in kühlere arktische Gewässer, wo sie bevorzugt nach Nahrung suchen.

Libellen gehören zu den Insekten, die auf ihren Wanderungen am weitesten ziehen. Indische Libellen können bis zu ihren Zielorten in Ost- oder Südafrika 14 000 – 18 000 Kilometer zurücklegen. Man vermutet, dass sie dabei dem Regen folgen bzw. sich an der Regenzeit orientieren. Wenn diese Libellen auf Wanderung gehen, sind dabei meist bis zu vier Generationen beteiligt.

Zu den bekanntesten und beeindruckendsten Tierwanderungen der Welt schließen sich die Gnus, eine afrikanische Antilopenart, zusammen. Millionen von Tieren machen sich auf den Weg, um mineralstoffreiche Nahrungsgründe zu finden (siehe oben: "Warum wandern Tiere?") Diesen Wanderungen schließen sich oft auch Zebras und Gazellen an – für die Raubtiere der Savanne sind diese ziehenden Herden im wahrsten Sinne des Wortes ein "gefundenes Fressen".

Ein ganz besonders buntes Spektakel sind die Wanderungen der Monarchfalter, einer auffällig gefärbten Schmetterlingsart. Sie zieht es aus ihren Heimatgebieten in Nordamerika 4 000 – 5 000 Kilometer weiter ins Winterquartier in Mexiko. Dabei sind die Insekten in gewaltigen Schwärmen unterwegs und können sogar den atlantischen Ozean überqueren. Interessant dabei ist, dass die Tiere ihren Weg eigentlich gar nicht kennen: Wenn sich die Falter aus Nordamerika auf den Weg machen, dann landen sie in Mexiko genau dort, wo ihre Großeltern vor einigen Monaten ihre Reise begonnen haben.

Kein Landsäugetier wandert weiter als die nordamerikanischen Rentiere (Karibus). Sie legen mehr als 5 000 Kilometer pro Jahr zurück – im Sommer ziehen sie in höher gelegenen Gegenden ihre Jungen auf, den Winter verbringen sie in bewaldeten Gebieten, um dort Schutz vor der Kälte und Futter zu finden. Rentierherden können bis zu 100 000 Tiere umfassen, andere Quellen sprechen gar von einer halben Million wandernder Karibus.

Auch die Wanderung der Lachse ist beeindruckend, denn die Fische müssen dabei einige Hindernisse überwinden. Lachse wandern von ihrem Heimatgewässer in den Ozean und wieder zurück ins Gewässer, in dem sie geboren wurden, um dort zu laichen. Dabei legen sie Hunderte von Kilometern zurück, können sich von Salzwasser auf Süßwasser umstellen und umgekehrt. Sie können kilometerweit gegen den Strom schwimmen, Hindernisse wie Wasserfälle überspringen und Höhen von Tausenden von Metern "erklimmen", um in höher gelegene Gebirgsbäche zu schwimmen. Ihr Heimatgewässer erkennen sie an dessen charakteristischem Geruch.

Wenn die afrikanischen Palmflughunde (eine Fledermausart) wandern, dann sieht das besonders beeindruckend aus: Bis zu 8 Millionen Palmflughunde können gemeinsam unterwegs sein, um ihren saisonal wachsenden Lieblingsfrüchten nachzujagen.

Wenn auf der australischen Weihnachtsinsel (Christmas Island) die roten Landkrabben wandern, dann freuen sich auch die Menschen. Praktisch über Nacht tauchen die Weihnachtsinselkrabben in Massen auf den Straßen der Insel auf. Gekommen sind sie aus dem Regenwald, zur Eiablage ziehen sie an die Küsten. Auf Christmas Island werden Straßen gesperrt, Brücken errichtet und wer kann, hilft den Tieren mit einem Rechen über die Straße. Dabei geht es meist recht gesellig zu – für Mensch und Tier.

Wenn sie wandern, erregen sie ganz besonderes Aufsehen: Monarchfalter

Phänomen Vogelzug

Tausende wandernder Rentiere, riesige Gnuherden oder von Krabben überschwemmte Straßen kann man in Deutschland kaum sehen. Doch der alljährliche Vogelzug, der im Oktober seinen Höhepunkt erreicht, bietet auch Vogelfreunden in ganz Europa faszinierende Schauspiele. Wer Glück hat, kann einen Schwarm Stare bei seinem berühmten "Vogelballett", dem für die Stare so typischen Formationsflug beobachten (im Englischen auch als "murmuration" bezeichnet).

Beeindruckend sind für die meisten Beobachter vor allem diejenigen Zugvögel, die sich wie Kraniche, Störche oder Gänse zu großeren Verbünden zusammenschließen.

Doch wenn man es recht bedenkt, ist die Leistung unserer kleinen Singvögel, die sich ganz alleine auf die weite Reise machen, nicht weniger bewundernswert. Als Einzelkämpfer müssen sie große Entfernungen überwinden, dabei Wind und Wetter trotzen und Gefahren wie Fressfeinden oder Vogelfallen aus dem Weg gehen.

Lars Lachmann, NABU-Vogelschutzexperte, bittet mit einer Petition um Unterstützung: Stoppt die Zugvogeljagd in Ägypten: "Viele der gefangenen Vogelarten stehen in Europa auf der Roten Liste. Viele sind vom Aussterben bedroht und werden in Europa mit großem Aufwand geschützt. Manche Vögel fliegen bis zu 1.000 Kilometer am Tag, ohne auch nur einmal zu rasten. Sie vollbringen Unglaubliches – und das jeden Herbst aufs Neue. Doch statt Respekt und Anerkennung für ihre einmalige Leistung erwartet viele Zugvögel ein qualvoller Tod."

Immer schwieriger zu bewältigen ist für Zugvögel auch der Verlust des Lebensraumes durch Landwirtschaft und Zersiedelung: Es fehlen geeignete Rastplätze, Ruhe- und Brutgebiete.

Übrigens: Spannend ist es natürlich nicht nur, Zugvögel in der Luft oder auf Rastplätzen zu beobachten. Auch im eigenen Garten kann man zum Beispiel nach Wintergästen Ausschau halten. Denn was sich da so am Futterhäuschen einfindet, sind nicht (nur) die alten Bekannten aus Frühjahr und Sommer. Da kann es schon sein, dass sich Seidenschwänze aus der Taiga, Wacholderdrosseln aus Nordeuropa oder Bergfinken aus Skandinavien zum Winterbesuch in Deutschland einfinden.

Das "Vogelballett" der Stare
Beeindruckende Bilder: Tierwanderungen "hautnah" erleben
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Die Wanderungen der Tiere
Michaela, am 16.10.2013
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Bildquelle:
Claudia Steininger (Wie können wir den Tieren im Winter helfen?)
Claudia Steininger (Erste Hilfe für Tiere in Not: Tierrettung durch die Tierambulanz – ...)

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