Statistik: bürokratisches Folterwerkzeug oder hilfreiches Entscheidungsmittel?
Von Sinn, Unsinn und Missverständnissen rund um die statistische DatenerfassungBeim Stichwort Statistik fällt den meisten Zeitgenossen vermutlich zuerst folgender Kalauer ein: "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!" Je nach Quelle wird dieses Zitat dem NS-Propagandaminister Goebbels zugeschrieben oder auch dem britischen Staatsmann Winston Churchill. Letzterer soll übrigens ein großer Fan statistischer Daten gewesen sein.
Tatsächlich ist die Statistik aber eine methodische Hilfswissenschaft und dient der Erfassung, Bündelung und Interpretation von Datenmengen, die sonst unüberschaubar wären. Unterteilt wird diese HilfswissenschaftilfswissenschaftH in amtliche (Internationale Zahlen, Bevölkerungsdaten, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften) und nichtamtliche (empirisch, also erforschend bzw. durch Sammlung von Erfahrungswerten, Darstellungen von Interessenverbänden sowie rein innerbetriebliche Zahlenwerke in der Wirtschaft) Statistiken.
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Vom Nutzen der Statistik
In Bulgarien kam das Ende des Kommunismus scheibchenweise. Die Staatspartei verstand es, mit neuem Personal und dem Versprechen der Besserung ihre Macht auch nach 1989 auf Jahre hin zu erhalten. Während in anderen ehemaligen Ostblockstaaten langsam das westliche und marktwirtschaftliche Staatsmodell Erfolge zeigte, wurde Bulgarien zum Armenhaus Europas. Zwar bemühten sich auch die Postkommunisten um marktwirtschaftliche Ansätze, doch fehlte ihnen das Wissen darüber, was eigentlich im Lande produziert oder importiert wurde, welche Güter vorhanden waren und in welchen Wirtschaftszweigen wieviel Menschen tätig waren. Es gab schlichtweg keine Behörde, die aussagefähige Statistiken dazu erstellen konnte.
Dieses kleine Beispiel zeigt bereits, dass viele Entscheidungen in heutigen Gesellschaften auf statistischen Daten fußen und welche verhängnisvollen Folgen ihr Fehlen haben kann. Investitionen großer Unternehmen hängen davon ab, welche konsumrelevanten Bevölkerungsgruppen sich wie entwickeln. Regierungen und Parlamente planen ihre Haushalte anhand prognostizierter Einnahmen und Ausgaben, was wiederum solide Datengrundlagen erfordert...
Auch die Wissenschaft benötigt Statistiken, um bei experimentellen Forschungen das Ergebnis richtig einzuordnen, eventuelle Zufälle auszugleichen und Veränderungen zu erklären. Werbefachleute richten ihre Strategien danach aus, welche Zielgruppe wie und in welchem Umfang zu erreichen ist. Auch Wahlprognosen und Hochrechnungen basieren auf aufbereiteten Statistiken. All diese Dinge werden unter anderem anhand von Umfragen ermittelt. Pharmaindustrie und Medizin sind ebenfalls auf Statistiken angewiesen, um die Wirksamkeit Medikamente oder einer Handlungsmethoden inklusive möglicher Nebenwirkungen richtig beurteilen zu können.
Nicht zuletzt ist ein beliebtes parlamentarisches Kontrollinstrument ohne statistische Landesämter oder das statistische Bundesamt undenkbar: Die so genannte Kleine Anfrage berührt häufig Themen, welche ohne statistische Daten schlichtweg nicht zu beantworten wären. Wenn beispielsweise ein Oppositionspolitiker nach der Entwicklung der Kriminalität fragt, kann dies anhand absoluter Zahlen oder relativ zur Bevölkerungsentwicklung dargestellt werden…
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Kritik und Missverständnisse rund um die Statistik
Warum aber hat die Statistik dennoch einen so schlechten Ruf? Vermutlich gibt es ein ganzes Bündel an Missverständnissen darüber, was diese methodische Zahlenerfassung eigentlich leistet:
Deutung: Eine Statistik an sich ist erst einmal neutral. Sie stellt einfach einen mathematisch ermittelten Sachverhalt dar. Wie dieser zu interpretieren ist, gehört dann bereits in das Feld der subjektiven Wahrheiten. Das reine Zahlenwerk kann nichts dafür.
Missbrauch: Die Quelle aller Kritiken an der Statistik dürfte aber eben genau der Umstand sein, dass ihre Ergebnisse gern im eigenen Sinne interpretiert und umgedeutet werden, wobei Verallgemeinerungen und Weglassungen häufig zum Einsatz kommen. Auf der anderen Seite werden ihre Urheber und das Zahlenmaterial selbst gern angezweifelt, falls das statistische Ergebnis nicht den eigenen Erwartungen entspricht. Nicht zuletzt tragen zum Misstrauen natürlich auch jene Auftrags-Statistiken bei, deren Ergebnis bereits vorformuliert ist oder erkennbar erwartet wird.
Transparenz: Statistiker sind natürlich bestrebt, eine Fragestellung anhand des Zahlenmaterials möglichst genau zu beantworten. Deshalb gibt es allerhand Rechenmethoden, Gewichtungen und so weiter, die der Öffentlichkeit meist verborgen bleiben und sie anderenfalls langweilen oder verwirren würde. Dies geschieht aber in der Regel nicht aus unlauteren Beweggründen heraus. Auch ein Chirurg erklärt schließlich nicht erst ausführlich, welches Hilfsmittel er für welchen Eingriff nutzt, welches Präparat der Anästhesist verwendet und wer das OP-Besteck hergestellt hat… Dennoch machen eben manche Zeitgenossen ihre Kritik an der vermeintlich fehlenden Transparenz fest.
Zeitfaktor: Statistiken stellen immer das zahlenmäßige Ergebnis eines vergangenen Zeitraums dar. Nicht wenige Menschen interpretieren dieses aber als allgemeingütige und ewig währende Tatsache. Besonders verbreitet ist dieses Phänomen im Bereich der Anlageberatung. Zeiten und Umstände ändern sich jedoch. Von einer Statistik auf die Zukunft zu schließen, ist daher nie ganz risikofrei.
Unangenehme Wahrheiten: Nicht zuletzt macht eine seriöse Statistik auch Tatsachen deutlich, die so mancher Mitbürger lieber ausblenden würde. So, wie einfache Mathematik uns zeigt, ob unser Geld diesen Monat reicht oder auch nicht, zeigt eine Statistik in wesentlich komplexerem Umfang auf, welche unangenehmen Wahrheiten wir zur Kenntnis nehmen sollten.